Klaus Mäkelä

Klaus Mäkelä im Portrait

Von jetzt auf gleich weltbekannt: Über den finnischen Star-Dirigenten Klaus Mäkelä.

Text: Helmut Mauró, Dezember 2024

 

Das gibt es, aber nicht allzu oft: Dass ein sehr junger Dirigent von jetzt auf gleich weltberühmt ist. Dass alle Orchester ihn haben wollen, dass ihm Positionen angeboten werden, um die sich ältere Kolleg:innen vergeblich bemühten. Willem Mengelberg übernahm 1895 mit 24 Jahren das Concertgebouworkest in Amsterdam, Leonard Bernstein wurde 1943 als 25-Jähriger schlagartig bekannt, nachdem er in der New Yorker Carnegie Hall kurzfristig für den berühmten Bruno Walter eingesprungen war. Das Konzert wurde im Radio übertragen; am nächsten Tag war der Name Bernstein in aller Munde.

Heute ist es der Finne Klaus Mäkelä, der 2020 mit 24 Jahren Chefdirigent des Oslo Philharmonic wurde, ein Jahr später auch Musikdirektor des Orchestre de Paris; 2027 wird er Chef des Concertgebouw und des Chicago Symphony. Als Gastdirigent musiziert er mit den renommiertesten Orchestern, darunter London Philharmonic, Orchestre Philharmonique de Radio France, die Münchner und die Wiener Philharmoniker.

Klaus Mäkelä
Klaus Mäkelä © Jérôme Bonnet / Orchestre de Paris

Dabei funktioniert eine Dirigentenlaufbahn heute in vielerlei Hinsicht anders. Das Radio gibt es noch, es ist aber nicht mehr ausschlaggebend für eine Karriere. Die Medienlandschaft ist so vielfältig geworden und so gierig nach Neuheiten, dass jeder berühmt werden kann. Zumindest für einen Augenblick. Andy Warhol hat es vorausgesagt, und es ist alltägliche Wahrheit geworden. Die Kehrseite: Auch Künstler:innen, die es verdient hätten, länger im Gedächtnis zu bleiben, verschwinden nach kurzer Publicity wieder in der Flut neuer Nachrichten.

Nicht so Klaus Mäkelä, der, noch jünger als einst Bernstein, bereits mit 22 Jahren eine Weltkarriere startete und eben­falls in der Carnegie Hall mit stehenden Ovationen gefeiert wurde. Wie ist das möglich, was können diese Begabungen, was andere talentierte Jungdirigenten nicht können?

Musik als Gegenentwurf :Ewig statt schnelllebig

Zunächst einmal versteht Mäkelä seine Kunst – wie die klassische Musik überhaupt – als Gegenentwurf zur kurzatmigen Nachrichtenflut und hektischen, gleichwohl zunehmend bruchstückhaften Kommunikation auf allen Ebenen. Internet-Nachrichten für den Augenblick gegen Information für die Ewigkeit in der Musik. Das ist für Mäkelä heute die größte Revolution: sich eine Stunde lang eine Sinfonie anzuhören. Zum Beispiel die Erste von Jean ­Sibelius, dem finnischen Nationalkomponisten. Mäkelä hat 2021 mit dem Oslo Philharmonic alle sieben aufgenommen. Sie klingen so frisch und neu und unmittelbar, als spielten sie die Musiker zum ersten Mal, mit schier jugendlichem Engagement, mit innerer Begeisterung. Mäkelä wirkt dabei weniger als Antreiber, vielmehr oft so, als müsse er die Musiker:innen ein wenig zurückhalten, damit sie ihr Pulver nicht gleich in den ersten Takten verschießen.

Aber welche Landschaften sich da entfalten! Finnische natürlich. Dieses weite Land, das von nicht einmal sechs Millionen Menschen bevölkert ist und fast ebenso vielen Saunen. Warum ist Sibelius so finnisch?

Der Musiker Mäkelä denkt auch über solche Fragen nach, und er denkt gerne ein bisschen außerhalb des gewohnten Rahmens: Vielleicht müsste man die Frage umgekehrt stellen. Mäkelä sagte einmal zu Recht, Sibelius sei deshalb so finnisch, weil er die kulturelle Identität des Landes selber maßgeblich bestimmt hat. Wichtiger ist dem Dirigenten Mäkelä über alle Naturbilder und realen Bezüge hinweg, mit welcher emotionalen Intensität der Komponist Sibelius arbeitet. Wie er gleichzeitig Gefühl und gedankliche Klarheit zusammenbringt. Vielleicht ist es das, was ihn so besonders und so finnisch macht: die Verbindung von lebendiger Natur und unendlicher Ruhe. Aber, auch das hat Mäkelä einmal in einem Interview gesagt, Sibelius habe sich natürlich als europäischer Komponist verstanden. Er studierte auch in Berlin und Wien, hat gehört und gelesen, was seine Zeitgenossen geschrieben haben, und sich durchaus im Verbund etwa mit Bruckner und Strauss gesehen.

Klaus Mäkelä dirigiert Sibelius
Klaus Mäkelä
Klaus Mäkelä Klaus Mäkelä © Kaupo Kikkas

Spätestens hier ist man geneigt, zu vergleichen. Wie atmen die Streicher bei Sibelius, wie bei Strauss, wie dröhnt das Blech bei Bruckner, wie tönt es bei Sibelius? Mäkeläs Repertoire ist mittlerweile enorm gewachsen und kontrastreich. Außer den Sibelius-Sinfonien hat er sich inzwischen großer Sinfonik von Claude Debussy, Igor Strawinsky und Dmitri Schostakowitsch gewidmet, im Konzert und auf CD. Aber gerade bei Sibelius klingen die Bläser des Oslo Philharmonic ungewohnt elegant. So, wie man es bei einem zwar erstklassigen, aber bisher doch nicht ganz an der Weltspitze agierenden Orchester kaum erwarten würde.

Diesen Bläserklang hat sich Mäkelä vom Orchestre de Paris abgehört. Solch einen eleganten und gleichzeitig sehr expressiven Klang habe er in seinem ganzen Leben noch nicht gehört, gestand er einmal voller Bewunderung. Und er beschreibt, wie ihn ein Stück geradezu süchtig macht, weil er immer wieder etwas Neues darin entdeckt. Das behauptet zwar ziemlich jeder Musiker, aber bei Mäkelä hat man immer den Eindruck, er wolle es beim nächsten Mal nicht nur irgendwie anders, sondern auf jeden Fall besser machen. Noch genauer hinhören, noch mehr Details ans Licht bringen, die aus dem Ganzen ein etwas größeres Ganzes machen.

Zwischen zwei Stühlen

Als Dirigent:in sitzt man dabei immer zwischen zwei Stühlen. Mindestens. Man muss den spezifischen Klangcharakter eines Orchesters pflegen und herausstellen, andererseits auch die besonderen Charaktereigenschaften der gespielten Werke entwickeln. Das verlangt Können, Wissen und eine Erfahrung, die man als Mittzwanziger normalerweise nicht hat. Offenbar gelingt es aber der finnischen Sibelius-Akademie, ihren Student:innen solche Erfahrungen zu vermitteln oder zu ermöglichen. Eine inzwischen ansehnliche Reihe berühmter Dirigenten kommt von dort und unterrichtet auch, darunter Jorma Panula, Sakari Oramo, Jukka-Pekka Saraste, Esa-Pekka Salonen.

Die Studierenden lernen nicht nur, Partituren zu lesen und sonstige Basisfähigkeiten für diesen Beruf. Sie haben auch ständig ein Orchester zur Verfügung, mit dem sie arbeiten können. Kein großes, aber immerhin. Die Proben werden auf Video aufgenommen, und die Selbstkritik, die daraus folgt, ist ja immer die härteste, selbst wenn man sie nicht verbalisiert. Da kann keine Lehrer-Schelte mithalten. Der wichtigste Satz seines Lehrers sei für ihn gewesen: »Vertraue den Musiker:innen«, sagt Mäkelä. In den Videoaufnahmen, die von jeder Dirigierprobe angefertigt wurden, konnte er dann selber sehen, wie weit er diesem Motto folgte, und auch dem zweiten wichtigen Hinweis: »Unterstütze sie, aber störe nicht.«

Klaus Mäkelä im Portrait

Das Wichtigste aber ist, konkret mit Musiker:innen zu proben. Das gibt es nicht überall für Dirigier-Student:innen, obwohl es doch essenziell ist. Je früher man lernt, mit Menschen an der Musik zu arbeiten, desto weniger gerät man später in Gefahr, abstrakte Pläne zu schmieden, die die Musiker:innen nicht nachvollziehen können. Mäkelä hat aus dieser Zeit viel in die Gegenwart mitgenommen. Er gibt Impulse, muntert auf, schreckt auf, lässt die Musiker:innen keine Sekunde aus dem Blick. Er ist ganz nah bei ihnen, scheint einer von ihnen zu sein. Was er in gewisser Weise auch ist. Denn er hat nicht nur Dirigieren, sondern auch Cello studiert – und demonstriert das manchmal in kleinen Zugaben. Allerdings hatte er auch gute Startbedingungen für seinen Beruf. Der Vater ist Cellist, die Mutter Pianistin, der Großvater war Geiger. Bereits in jungen Jahren hatte er die Chance, an der Sibelius-Akademie zu studieren, zunächst als Cellist.

Spielen, denken, empfinden

Das sind nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Dirigenten: das eigene Spiel vor allem, die ganz persönliche Aneignung von Musik, die Einverleibung einer fremden Komposition in das eigene Denken und Empfinden, bevor man sie als neu gestaltetes Werk wieder nach außen trägt. Spielt man selbst ein Instrument, steigt die Chance, dass man erst gar nicht an der Oberfläche kleben bleibt, und sei sie noch so glänzend und effektvoll. Man muss sich hineinwagen und Schwierigkeiten bewältigen, technische und mentale, muss jedes Mal ein bisschen neu denken lernen. Und das geschieht, auch wenn man allein im Kämmerchen übt, immer im Austausch mit anderen. Mit dem Komponisten, den man verstehen will, mit dem zu erwartenden Publikum, dem man etwas vermitteln will. Es ist ein komplexerer und auch sozialerer Prozess, als er in aller Regel beim reinen Komponieren vorherrscht.

 

»Als Dirigent lernt man nie aus, denn Musik ist immer ein Dialog und immer in Bewegung.«

Klaus Mäkelä

 

Das überträgt sich eher unterschwellig auch auf das Publikum, wie man im Sommer 2024 in Mäkeläs Debüt-Konzert bei den Salzburger Festspielen erleben konnte. Schon in den ersten Takten von Tschaikowskys Violinkonzert, es ist ja nur eine schlichte Streichermelodie, horchte man auf. Wie genau da jeder Ton geformt wird. Mäkelä bewegt sich zielgerichtet, nie aktivistisch, schiebt ein bisschen an, zieht vorne weg. Er lässt sich von der Musik nicht treiben und erlaubt auch den Musiker:innen nicht, sich in Tschaikowskys Klangrausch zu verlieren. Er ist dem Geschehen ein oder zwei Momente voraus, jedes Detail zählt und stützt das Ganze, jedes Instrument ist ge­fordert. Sein Ansatz wird hier ganz deutlich. Er will alles Emotionale aus der Musik selbst heraus entstehen lassen und sie nicht im Gefühligen ertränken. Mäkelä konzentriert sich ganz auf das Innermusikalische, aus dem sich alles andere ohnehin ergibt.

Eines ist klar, und das weiß auch Mäkelä sehr genau: Nicht das Reden mit dem Orchester, das Erklären oder gar das Erzwingen bringt am Ende das beste Ergebnis. Es ist schlichtweg die Persönlichkeit des Dirigenten, die den Unterschied macht – seine schiere Präsenz vor dem Orchester, mit allem, was die Musiker:innen über ihn wissen, ihm andichten oder einfach unerklärlich spüren. Und genau so kommt er auch beim Publikum an. Aber doch mit dem Unterschied, dass im besten Fall die Persönlichkeit des Dirigenten hinter der Musik zu schwinden beginnt, dass sich der Pultstar unmerklich auflöst in reiner Klangerzählung. Nur dann wird die Musik groß, nur dann ist auch der Dirigent ein wirklich großer Musiker. Das mag auch der Grund sein, warum oft junge Musiker:innen über ihren jugendlichen Elan hinaus insgesamt überzeugender sind. Sie sind bescheidener, demütiger als viele allwissende Großmeister. Die Schwierigkeit ist, diesen Zustand nicht aufzugeben. Mäkelä hat ihn sich bis heute offenbar ganz gut erhalten.

 

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 1/25).

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