Ibrahim Maalouf

Ibrahim Maalouf im Portrait

Musik, die keine Grenzen kennt: über den französisch-libanesischen Trompeter Ibrahim Maalouf.

Unter all den Instrumenten, die von Europa aus in die Welt der arabischen Musik Eingang fanden, nimmt die Trompete vielleicht die spannendste Rolle ein. Sie hätte diese Rolle allerdings nie in einem solchen Maße ausgefüllt, wäre nicht eines Tages ein junger Libanese auf den Plan getreten. Zwischen europäischer Klassik, arabischer Tradition, französischem Chanson, amerikanischem Jazz und global formuliertem Rock und Pop verströmt Ibrahim Maalouf ein kosmopolitisches Charisma – und seine Trompete ist dafür das strahlende Werkzeug.

Mehrgleisiger Werdegang

Man kann im Internet noch ein zwanzig Jahre altes Video finden, auf dem das damalige Wunderkind seine glanzvolle Virtuosität in einem barocken Trompetenkonzert herausschmettert. Ibrahim Maaloufs musikalischer Weg war von Anfang an mehrgleisig. 1980 in Beirut geboren, ist seine Kindheit, wie die so vieler Libanesen, geografisch gebrochen: Bedingt durch den Bürgerkrieg verließ die Familie ihre Heimat in Richtung Frankreich, wo sich der junge Exilant auch musikalisch im Spagat zwischen Orient und Okzident übte.

Vater Nassim hatte bereits in den Sechzigern eine Trompete mit vier Ventilen entwickelt, mithilfe derer sich die arabischen Vierteltonskalen spielen lassen. »Sein Traum war es, dass sich diese Trompete im ganzen arabischen Raum verbreitet«, erinnert sich Maalouf. »Aber für die Hersteller war das zu aufwendig. Bis heute gibt es nur wenige Instrumente dieser Bauart, und ich bin einer der wenigen, die diese Tradition fortführen.«

Ibrahim Maalouf
Ibrahim Maalouf © Denis Rouvre

Wie eine menschliche Brücke

Maalouf wächst aber nicht nur mit diesem speziellen Instrument auf, sondern verfolgt am Pariser Konservatorium auch eine Karriere in abendländischer Klassik, wird sogar Meisterschüler der Trompeten-Ikone Maurice André. Daneben fasziniert ihn die Welt des Jazz, und man findet ihn nicht nur als Solisten vor Orchestern, sondern auch auf den Bühnen der Pariser Clubs. Bereits als junger Erwachsener hat Maalouf in vielen musikalischen Welten sicheren Tritt gefasst. »Ich habe das Privileg, mit einem Instrument, das an sich okzidental ist, orientalische Musik zu spielen«, sagt er schon zu Beginn seiner internationalen Laufbahn. »Und deshalb fühle ich mich wirklich wie eine menschliche Brücke. Dazu kommt, dass ich durch die andauernden Reisen zwischen dem Libanon und Frankreich beide Identitäten in mir spüre.«

Die festen Bande zu seinem Heimatland und den dortigen Verwandten bleiben bestehen, ebenso wie die starke Verbindung zum Kosmos der arabischen Musik. Aus diesen verschiedenen Lebenslinien schöpft Maalouf seine individuelle musikalische Sprache – die er in den Jahren 2007 bis 2011 auf einer ambitionierten CD-Trilogie mit den Kapiteln »Diasporas«, »Diachronism« und »Diagnostic« vorstellt. Auf dem programmatisch benannten Debüt »Diasporas« paart er elektronische Beats, Rock- und Jazz-Vokabular mit orientalischen Melodien. Solidarität mit den Communities, die in der Fremde leben, möchte er mit dem Werk ausdrücken und stellt an den Anfang des Albums den Klang einer U-Bahn als Sinnbild des globalen Miteinanders: »Schwarze, Araber, Juden, Christen, Chinesen reisen hier zusammen, und ich stelle mir vor, dass es eine U-Bahn gibt, die den Passagier in zwei Minuten von Paris nach Beirut, dann weiter nach Tokio und New York bringt.«

Ibrahim Maalouf: »Diasporas«

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Ibrahim Maalouf
Ibrahim Maalouf Ibrahim Maalouf © Joseph Bagur

Die Distanzen, die auf dem Erstling überbrückt werden, sind in der Tat beachtlich: Eine Hommage an Vater Nassim mit einem Viertelton- Blasorchester stellt er neben eine Verbeugung vor Dizzy Gillespie mit seiner Version von dessen Klassiker »A Night In Tunisia«. Die beiden folgenden Alben, »Diachronism« (2009) und »Diagnostic« (2011), erweitert Maalouf um viele weitere Elemente: Man hört ihn erstmals am Klavier, er lässt sich von den Fanfaren des Balkans inspirieren, von brasilianischen Trommel- und kubanischen Salsa-Orchestern, von Heavy Metal und von Michael Jackson. Zwischen zarten Intros und rockigem Klanggewitter faltet sich das Ausdrucksspektrum auf.

Schon im Jahr darauf zog sich Maalouf für seine CD »Wind« ganz auf ein jazziges Idiom in Quintett-Besetzung zurück, das freilich stark mit Orientalismen aufgeladen ist. Das Album – im Auftrag der Cinémathèque française entstanden – ist eine Vertonung von René Clairs Stummfilm »Die Beute des Windes« (1926). In der bildgewaltigen und geheimnisvollen Geschichte wird ein Pilot durch einen Sturm gezwungen, in einem Park zu landen, und gerät in den Bannkreis der Comtesse des nahen Schlosses. Eine Steilvorlage für Maalouf, der hier musikalisch seinem Idol Miles Davis huldigt und dessen legendärem Soundtrack zu Louis Malles »Fahrstuhl zum Schafott« (1958). »Das ist eine der wenigen Kompositionen, die meine Liebe zur Trompete ganz direkt entzündet haben«, bekennt Maalouf.

40 Tracks zum 40. Geburtstag

»Wind« ist Maaloufs erster von vielen Soundtracks – und übrigens auch die erste Zusammenarbeit mit dem New Yorker Drummer Clarence Penn und dem niederländischen Pianisten Frank Woeste, die beide zu langjährigen Wegbegleitern werden sollten. 2013 dann experimentiert er auf »Illusions« mit Mehrfachbesetzungen und überträgt als Solist vor anderen Trompeten den Antwortgesang des arabischen Lieds in seine Klangwelt. Und für die opulenten Fusionklänge seiner »Levantinischen Symphonie« (2018) wagt er sich auch an Chor und Orchester. Seinen 40. Geburtstag wiederum feierte Maalouf dann 2020 auf dem Doppelalbum »40 Mélodies« vorwiegend in intimer Zwiesprache mit einer Gitarre – ergänzt freilich um Einladungen an zahlreiche Gäste von Sting über den Bassisten Marcus Miller bis zum Kronos Quartet.

Ibrahim Maalouf: »Beirut« (40 Melodies)

Nur zwei Jahre später umfasste seine Diskografie mit »First Noel« (2021) und »Capacity to Love« (2022) zwei weitere wegweisende Album. Jeder neue Track zeigt einmal mehr die umfassende Offenheit Ibrahim Maaloufs, der weder stilistische noch historische noch geschlechterspezifische Trennlinien kennt.

 

Text: Stefan Franzen, Stand: Februar 2023

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