Belcea Quartet

Das Belcea Quartet spielt Brahms I

Das Streichquartett und Amihai Grosz, Solo-Bratschist der Berliner Philharmoniker, spielen Kammermusik von Johannes Brahms. Verfügbar bis 23.5.2022.

Video verfügbar bis 23.5.2022

Als eines der besten Streichquartette unserer Zeit kennen und schätzen Kammermusik-Aficionados und Musikkritiker in aller Welt das Belcea Quartet. Im Rahmen des digital stattfindenden Internationalen Musikfests Hamburg 2021 beschäftigt sich das Ensemble an zwei aufeinanderfolgenden Abenden mit Johannes Brahms’ Werken für Streichquartett, -quintett und -sextett und lädt dazu herausragende Gäste ein. Im ersten Konzert stehen das gewichtige Streichquartett op. 51/1 sowie das zweite Streichquintett op. 111 auf dem Programm – ein spätes, kühnes Werk des Hamburger Komponisten. Für Letzteres stößt der Solo-Bratschist der Berliner Philharmoniker, Amihai Grosz, zum Quartett.

 

Hinweis: Alle Konzerte des Internationalen Musikfests 2021 stehen als kostenlose Streams zur Verfügung und sind nach der Erstausstrahlung für den gesamten Festivalzeitraum abrufbar.

Alle Konzerte des Musikfests 2021 auf einen Blick.

Corina Belcea über Brahms’ Werke für Streichensemble

Besetzung

Belcea Quartet
Corina Belcea Violine
Axel Schacher Violine
Krzysztof Chorzelski Viola
Antoine Lederlin Violoncello

Amihai Grosz Viola

Programm

Johannes Brahms (1833–1897)
Streichquartett c-Moll op. 51/1 (1873)
Streichquintett Nr. 2 G-Dur op. 111 (1890)

Dauer: ca. 60 Minuten

Die Künstler

Belcea Quartet

Amihai Grosz – Viola

Amihai  mit Bratsche
Amihai mit Bratsche © Edith Held

Den Riesen im Nacken :Brahms, Beethoven und die Kammermusik

»Es ist wirklich zu schade, dass Brahms uns nur drei Streichquartette hinterlassen hat«, seufzte Krzysztof Chorzelski einmal, Bratschist des Belcea Quartet. »Aber diese drei haben es dafür wirklich in sich.«

Damit bringt er ein zentrales Charakteristikum von Brahms’ Kammermusik (und Sinfonik) auf den Punkt: Überschaubare Quantität und überragende Qualität verhalten sich hier wie zwei Seiten einer Medaille. Der Grund dafür trägt einen Namen: Ludwig van Beethoven. Er hatte mit seiner Musik Maßstäbe gesetzt, an denen sich noch lange nach seinem Tod niemand messen lassen wollte. »Wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen«, klagte Franz Schubert, und Brahms schrieb dem befreundeten Dirigenten Hermann Levi enerviert: »Du hast ja keinen Begriff davon, wie unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.«

»Du hast ja keinen Begriff davon, wie unsereinem zumute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.«

Johannes Brahms

In Brahms’ Fall wirkte es sich zusätzlich kontraproduktiv aus, dass sein Kollege Robert Schumann ihn 1853 in einem legendären Zeitungsartikel faktisch zum Nachfolger Beethovens ausgerufen hatte. Unter dem Druck dieser Erwartungshaltung entwickelte Brahms eine regelrechte Neurose und ließ von jenen Gattungen, in denen Beethoven die größten Errungenschaften erzielt hatte, erst einmal die Finger: Sinfonie und Streichquartett. Ein bereits komponiertes Quartett in h-Moll, das Schumann sogar schon seinem Verleger empfohlen hatte, verfeuerte Brahms kurzerhand im Kamin. Nur auf dem Klavier, seinem eigenen Instrument, fühlte er sich sicher genug, dem übermächtigen Vorbild Paroli zu bieten.

Johannes Brahms, 1880. Adolf Neumann: Die Gartenlaube
Johannes Brahms, 1880. Adolf Neumann: Die Gartenlaube © Wikimedia Commons

Ringkampf mit Beethoven :Johannes Brahms: Streichquartett op. 51/1

Über 20 Jahre sollten vergehen, bevor Brahms’ offizielles erstes Streichquartett und die erste Sinfonie im Konzert erklangen. Wie viele Skizzen, Studien und Entwürfe der Komponist in dieser großen Zeitspanne anfertige und wieder entsorgte, wird man wohl nie erfahren – 20 vollständige Quartette, behauptete er einmal und ergänzte:

»Als ich das letzte Mal in Hamburg war, ging ich auf den Dachboden. Die ganze Kammer war mit meinen Noten tapeziert, sogar die Decke. Ich brauchte mich nur auf den Rücken zu legen, um meine Sonaten und Quartette zu bewundern. Sie machten sich sehr gut. Dann hab’ ich es alles heruntergerissen und verbrannt – besser ich tu’s, als andere!«

Johannes Brahms

Erst im Alter von 40 Jahren veröffentlichte er seine ersten beiden Streichquartette unter der gemeinsamen Opusnummer 51 – obwohl sie, wie briefliche Nachfragen von seinen Freunden Joseph Joachim und Clara Schumann beweisen, bereits seit Jahren in der Schublade gelegen hatten. Inzwischen jedoch hatte Brahms in Wien die Künstlerische Leitung der Gesellschaft der Musikfreunde übernommen, was seinem Selbstvertrauen offenbar Aufschwung gab.

Genau wie bei seinen Klavierquartetten, Konzertouvertüren oder Klarinettensonaten nutzte Brahms die paarweise Publikation, um die musikalischen Charaktere nicht innerhalb eines Stückes ausgleichen zu müssen, sondern im Gegenteil extremer zeichnen zu können und die Balance durch die Gegenüberstellung herzustellen. So zeichnet diese beiden Werke ein starker Dunkel-Hell-Kontrast aus. Einen finstereren Beginn als den des ersten Streichquartetts kann man sich kaum vorstellen; aggressive Repetitionen treiben hier ein nervöses, aufsteigendes Thema vor sich her. Sein punktierter Rhythmus schwappt sogar in die lyrische Romanze an zweiter Stelle hinüber und kehrt im Finale mit Wucht zurück.

»Den Kampf mit dem Vorbild Beethoven kann man in fast jedem Takt hören.«

Krzysztof Chorzelski

So kommentiert Krzysztof Chorzelski stellvertretend für seine Kollegen. »Allein schon die Tonart c-Moll ist typisch Beethoven. Es ist sicher kein Zufall, dass Brahms sowohl sein erstes Quartett als auch seine erste Sinfonie in c-Moll schrieb.«

Text: Clemens Matuschek

Abschied mit Ansage :Johannes Brahms: Streichquintett Nr. 2

Letzte Werke umgibt seit jeher ein gewisser Mythos, eine Erwartung des Jenseitigen, als grabe sich die Ahnung des nahen Abschieds unweigerlich in die Noten ein. »Schwanengesänge« nennt man sie auch: Mozarts Requiem, Mahlers Neunte, Schuberts Streichquintett in C-Dur – und um ein Haar auch Brahms’ zweites Streichquintett. Zumindest hatte sich der gebürtige Hamburger Komponist 1890 in den Kopf gesetzt, mit diesem Stück seine Karriere zu beenden. »Sie können mit diesem Zettel Abschied nehmen von meinen Noten«, eröffnete er seinem Verleger, »weil es überhaupt Zeit ist, aufzuhören …«

»Sie können mit diesem Zettel Abschied nehmen von meinen Noten, weil es überhaupt Zeit ist, aufzuhören …«

Johannes Brahms

Nun, nach Abschied klingt dieses Quintett auf den ersten Blick nicht. Das überschwängliche Thema im Cello zu Beginn des ersten Satzes rauscht enthusiastisch von den tiefen Registern in die Höhe, forsch schrubben die Begleitstimmen dazu. Je weiter die Musik voranschreitet, umso deutlicher zeigen sich jedoch kleine Brüche: Bittersüße Vorhalte trüben die folgenden Wiener-Walzer-Melodien, in denen Brahms den Hut vor seinem Freund Johann Strauss zieht; asymmetrische Rhythmen sabotieren den launigen Dreiertakt.

Johannes Brahms & Johann Strauß (Sohn) in Bad Ischl (1894, Rudolf Krziwanek)
Johannes Brahms & Johann Strauß (Sohn) in Bad Ischl (1894, Rudolf Krziwanek) © Österreichische Nationalbibliothek

Einen weichen, wehmütigen Tonfall schlägt dann auch das »wunderbar knappe Adagio« an – so lobte es Brahms’ Lieblingsgeiger Joseph Joachim. Seine Begeisterung entzündete sich vermutlich nicht nur am innigen Charakter und den kühnen Harmonien des Satzes. Die dominierende Tonfolge f-a-gis-e, vorgestellt von der Bratsche, enthält zudem die Anfangsbuchstaben von Joachims selbstgewähltem Lebensmotto »frei, aber einsam«. Diese Anspielung dürfte dem Geiger nicht entgangen sein, schließlich hatte Brahms ihm schon 1853 zusammen mit Robert Schumann und dessen Schüler Albert Dietrich die sogenannte »F.A.E.-Sonate« gewidmet, die die drei Töne ebenfalls als Ausgangsmaterial nutzt.

Es wirkt fast, als zögen in diesem Satz musikalische Erinnerungen des alternden Brahms vorbei. Dazu gehören auch die bebenden Tremoli, die gezupften Töne und übermäßigen Tonschritte: kleine Verweise auf die ungarische Volksmusik, die Brahms zeitlebens liebte.

Ebenfalls »all’ongarese« gespielt wird der schnellere dritte Satz, der den melancholischen Charakter fortführt: Die Geigenmelodie besteht ausschließlich aus sogenannten Seufzermotiven, kleinen fallenden Gesten. Erst das Finale kehrt zurück zum Überschwang des Beginns und schwillt an zu einem temperamentvollen Csárdás, dem ungarischen Volkstanz, den Brahms häufig bei Auftritten virtuoser Roma-Kapellen im Wiener Prater gehört hatte – eine weitere liebgewonnene Erinnerung.

Auch wenn es als Abschied gemeint war: Das zweite Streichquintett ist sicher nicht das düsterste Werk von Johannes Brahms. Vielleicht aber eines der kontrastreichsten. Denn in ihm blitzen Stimmungen, Stile und Erinnerungen eines ganzen Lebens auf.

Und wie ging es mit Brahms weiter? Glücklicherweise war seine schöpferische Abstinenz nur von kurzer Dauer. Schon im darauffolgenden Jahr begegnete er dem begnadeten Klarinettisten Richard Mühlfeld – und griff erneut zur Feder.

Text: Laura Etspüler

Gefördert durch die Kühne-Stiftung, die Behörde für Kultur und Medien Hamburg, die Stiftung Elbphilharmonie und den Förderkreis Internationales Musikfest Hamburg

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