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Auf Buddhas Spuren

Wie die buddhistische Lehre den Austausch entlang der Seidenstraße prägte.

Wie »klingt« die alte Seidenstraße? Welche Saiten dieser Straße schwingen bis heute nach? Der chinesische Export von Seide brachte den deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen dazu, 1877 erstmals von der »Seidenstraße« zu sprechen. Dabei war schon ihm klar: Das war keine Einbahnstraße von Chinas Exportwaren in den Westen – und sie war keine tosende Autobahn für den bloßen Austausch materieller Güter. Entlang sprachlicher und kultureller Begegnungen auf Tausenden von Kilometern entwickelte sich ein dynamischer Austausch, und so dürfte auch Musik einen großen Anteil an der friedlichen Verständigung der Menschen gehabt haben.

Chinesische Seide, persische Saiten

Die traditionellen Instrumente der Seidenstraße, vorgestellt in kurzen Videos.

Wer alte Texte und Bilder studiert, staunt über die Größe der Orchester und die Vielfalt ihrer Instrumente am chinesischen Kaiserhof der Tang-Dynastie. Nicht alles ist geblieben. Weithin bekannt ist aber bis heute das traditionelle chinesische Instrument Pipa. Bei dieser Schalenhalslaute verrät der Name so gut wie alles: Das ursprünglich persische Instrument wurde später auch von Chinesen am Kaiserhof gespielt. Doch dazu musste ein neuer Name für das fremdartige Instrument gefunden werden: pi für das Zupfen mit dem Zeigefinger, pa für den Daumen. Während chinesische Seide im Westen der letzte Schrei war, fanden also persische Saiten und viele andere fremde Instrumente im fernöstlichen China größten Anklang!

Eine Pipa spielende buddhistische Halbgottheit in einer Höhlenmalerei von Dunhuang

»Persischen Ursprungs, später von Chinesen am Kaiserhofe gespielt, pi für den Zeigefinger, pa für den Daumen. So klang die Seidenstraße.«

Die Lehre von der Leere

Wesentlich stiller, aber nicht ohne eine musikalische Komponente, fand die buddhistische Lehre über die Berge und Wüsten der Seidenstraße ihren Weg nach China. Es war die Lehre von der »Leere«: Alles ist vergänglich und ohne festen Bestand. Nicht nihilistisch sollte das verstanden werden, hatte doch der historische Buddha etwa 500 vor Christus den »Mittleren Weg« gelehrt. Natürlich spielte für seine Lebenspraxis im alten Indien die asketische Selbstkultivierung eine große Rolle, und er hatte dafür eigens den Weg in die Hauslosigkeit beschritten. Es ging ihm letztendlich aber beim Nirvana, dem »Erlöschen«, um die Befreiung des Geistes von sämtlichen Zwängen, sowohl von der Anhaftung am weltlichen Dasein, als auch von der extremen Selbstkasteiung. Der von Buddha gegründete Mönchs- und Nonnenorden spezialisierte sich auf diese Geistesschulung und entwickelte sie weiter. Aber auch unter Laien bildete sich eine Frömmigkeit mit unterschiedlichsten Facetten heraus.

»Dem historischen Buddha ging es um die Befreiung des Geistes von sämtlichen Zwängen.«

Von Zentralasien nach China – und umgekehrt

»Das Herz-Sūtra ist eine der Schriften, die ihren Weg nach Osten fanden – und dort auswendig gelernt, rezitiert und gesungen wurden.«

Gut Tausend Jahre bis ins 11. Jahrhundert prägte die buddhistische Religion maßgeblich die alte Seidenstraße, am bekanntesten sind heute die Höhlen von Dunhuang mit ihren Malereien und unschätzbaren Textfunden. Doch auch dort ging es in verschiedene Richtungen: Keineswegs waren nur buddhistische Meister aus Zentralasien nach China unterwegs, das nahm im Laufe der Zeit eher ab. Umgekehrt zeugen der ausführliche Reisebericht und der darauf basierende chinesische Roman von der mehrfach verfilmten »Reise in den Westen«. Diese trat der Mönch Xuanzang im 7. Jh. an, wie vor und nach ihm auch noch so manch anderer, um buddhistische Schriften in Indien zu suchen, die er anschließend ins Chinesische übersetzte.

Das »Herz-Sūtra« ist eine solcher Schriften und konfrontiert Buddhismusforscher bis heute mit der Frage, wie es genau seinen Weg nach Osten gefunden hat. Seine Wirkung ist aber unbestritten: Nicht nur in China, sondern auch in Korea, Japan, Vietnam wird es als Quintessenz der buddhistischen Lehre verstanden, auswendig gelernt und rezitiert, oder auch gesungen und in unterschiedlichster Weise vertont. Ein Text voller Weisheit, dessen einfachster Satz lautet »Form ist Leere, Leere ist Form«, und aus dessen Sprache in musikalisierter Verwandlung seit über 1500 Jahren spirituelle Funken sprühen. Wie nahe liegt es, dass auch der namhafte Gegenwartskomponist Tan Dun, dessen Konzert in der Elbphilharmonie im April 2020 leider ausfallen musste, in seiner »Buddha Passion«, diesen kurzen Text, bestehend aus 260 Schriftzeichen, künstlerisch verarbeitet hat.

Eine Abbildung des Mönchs Xuanzang (602-664), der über die Seidenstraße nach Indien reiste, um buddhistische Schriften zu suchen

Tan Dun: Buddha Passion

Inspiriert von jahrhundertealten, buddhistischen Tempeln entlang der chinesischen Seidenstraße schuf Tan Dun, der bedeutendste chinesische Komponist der Gegenwart, das opulent besetzte Oratorium »Buddha Passion«

Zeugnis einer lebendigen Entwicklung

Zwar haben die buddhistischen Überlieferungen und eine tiefgründige Gelehrsamkeit aus Indien und entlang der Seidenstraße zur Herausbildung eines umfassenden Kanons geführt. Aber die Seidenstraße ist vor allem Zeugnis einer lebendigen Entwicklung. So hat die immer populärere Verehrung unendlich vieler Buddhas aus allen Zeiten und allen Richtungen einen regelrechten Kult befördert, der sich um Amitābha, den Buddha im »Reinen Land des Westens«, rankt. Wieder sind hier die Rituale einer mantrahaften Anrufung des Buddha Amitābha von besonderer musikalischer Qualität – und vergegenwärtigen zugleich die Qualitäten des Buddha, der sich der Rettung aller Lebewesen annimmt.

»Der Mönch Bodhidharma brachte im 6. Jahrhundert den Klang der Stille nach China und meditierte neun Jahre in einer Höhle.«

Was unter der alten Seidenstraße verstanden werden kann, sind aber auch andere Wege und noch viel leisere Töne. So ist auch der Handelsweg über die Südmeere als Teil der seidenstraßenartigen Vernetzung im ersten Jahrtausend bedeutsam geworden. Bis in den tiefen Süden soll im 6. Jahrhundert Bodhidharma nach China gelangt sein. Nicht die Worte waren ihm wichtig. Nicht das Klosterleben, aber auch nicht der Kaiserhof konnten ihm etwas bedeuten. Neun Jahre soll er in einer Höhle nahe des heutigen Shaolin-Klosters meditiert haben. Im Chan, auf Sanskrit dhyāna, also der Versenkung sah er die Praxis des Mittleren Wegs. Doch auch diese Ausrichtung, die in Japan und weltweit als Zen-Buddhismus bekannt wurde, fand schließlich in Worten ihren Ausdruck. Musikalisch gesprochen verhilft noch heute das berühmte Rätsel eines japanischen Mönches aus dem 18. Jahrhundert zu voller Erleuchtung, wenn sich Musikfreunde oder Elbphilharmonie-Besucher von ihm inspirieren lassen würden, insbesondere zwischen den Sätzen eines Konzertes, wenn sie sich weise fragen: »Wie klingt das Klatschen einer Hand?«

Text: Dr. Carsten Krause, Research Fellow, Numata-Zentrum für Buddhismuskunde, Universität Hamburg. Stand: 8.4.2020

Chan – das Schriftzeichen für »Versenkung«

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