Florence Price

Weibliche Noten

Zwölf Komponistinnen, die man kennen(lernen) sollte.

»Wenn Sie eine Frau sind und Komponistin sein wollen, sollten Sie reich heiraten.«

Dozent einer Kompositionsklasse im Jahr 2000

»Ich dachte wirklich, das kann man nur machen, wenn man ein Mann ist«, erzählt Lisa Streich über das Komponieren. Im Alter von knapp 20 Jahren in Berlin habe sie erstmals den Namen eines weiblichen Komponisten auf einem Konzertprogramm gelesen. Mittlerweile ist Lisa Streich selbst Komponistin und wurde 2021 mit dem Claussen-Simon-Kompositionspreis der gleichnamigen Stiftung ausgezeichnet. Und zum Glück stehen heutzutage deutlich mehr Komponistinnen im Licht der Öffentlichkeit als noch vor – sagen wir – 50 Jahren. Doch komponierende Frauen gibt es natürlich schon ebenso lange wie komponierende Männer. Ein guter Zeitpunkt also, ein paar von ihnen vorzustellen.

Auf Augenhöhe :Maddalena Casulana Mezari (um 1544 – nach 1586)

Maddalena Casulana Mezari hatte keine Scheu, in aktuellen musikalischen Debatten kräftig mitzumischen: Selbstbewusst widmete sich die Italienerin der wichtigsten Gattung ihrer Epoche, dem Madrigal (ein weltliches, meist mehrstimmiges Vokalstück). Sie vertonte Texte von Dichtergrößen wie Francesco Petrarca und wählte dabei gern Gedichte aus, die bereits von einem oder mehreren berühmten Kollegen in Musik gesetzt worden waren – ein direkter Vergleich, den sie nicht zu scheuen brauchte. Soweit man heute weiß, ist Maddalena Casulana die erste Komponistin, die eigene Werke veröffentlichte. Die Widmungen in ihren Madrigalbüchern zeigen, dass sie Verbindungen zu hochrangigen Mäzenen in ganz Norditalien pflegte. Zudem war sie als Lautenistin, Sängerin und Komponistin weit über die Grenzen ihrer Heimat hinaus berühmt.

Maddalena Casulana Mezari, »Vaghʼ amorosi aucelli«

Spitzenverdienerin :Francesca Caccini (1587–1640)

Sie galt als beste Sängerin ihrer Zeit und spielte mehrere Instrumente; Fürstenhöfe von Paris bis Rom konkurrierten um ihre Dienste und sie wurde schließlich (nach ihrem Kollegen Jacopo Peri) zur wichtigsten und bestbezahlten Musikerin des Florentiner Hofs. Und mehr noch: Möglicherweise war Francesca Caccini die erste Frau überhaupt, die eine Oper komponierte. »La liberazione di Ruggiero dallʼisola dʼAlcina« (»Die Befreiung Ruggieros von der Insel der Alcina« – ein damals äußerst beliebter Opernstoff, den auch Händel deutlich später noch vertonte) glänzt durch hochdramatische Situationen, virtuose Gesangsnummern und abwechslungsreiche Tänze. Mehrere CD-Einspielungen zeugen von der musikalischen Qualität der Oper, die auch nach fast 400 Jahren noch aufgeführt wird. Mindestens fünf weitere Bühnenwerke aus Caccinis Feder sind verloren; erhalten ist eine Reihe ein- und mehrstimmiger Vokalkompositionen – alle in einer für ihre Zeit fortschrittlichen Musiksprache.

Francesca Caccini, »Qual temerario core« aus »La liberazione ...«

»Eine sensationell schöne Oper«

Berthold Schneider, Opernintendant in Wuppertal, über »La liberazione di Ruggiero dallʼisola dʼAlcina«

In zwei Welten zu Hause :Antonia Bembo (1640 – ca. 1710)

1676 floh Antonia Bembo vor ihrem gewalttätigen Mann nach Paris; ihre drei Kinder musste sie in Venedig zurücklassen. In Paris engagierte Ludwig XIV. Antonia Bembo als Sängerin an seinen Hof. Dafür erhielt sie eine lebenslange Pension sowie Unterkunft in einem Frauenkonvent. Die Beschäftigung beim König ließ Antonia Bembo viel Zeit zum Komponieren: In der Abgeschiedenheit der Klostergemeinschaft schuf sie sechs Bände geistlicher und weltlicher Vokalmusik sowie eine Oper – das macht sie zu einer der produktivsten Komponistinnen ihrer Zeit. Zudem nahm sie sich die Freiheit, ohne Rücksicht auf Erwartungen und Konventionen ihre ganz eigene Musiksprache zu entwickeln. In Bembos Werken verbinden sich italienische und französische Einflüsse zu einem neuen Ganzen, das es bis dahin so noch nicht gegeben hatte.

Antonia Bembo, »Ne me fait point sentir«

Vielfach begabt :Elisabetta de Gambarini (1730–1765)

Elisabetta de Gambarini war ein echtes Multitalent: Die in England geborene Tochter italienischer Adliger war nicht nur eine bemerkenswerte Sängerin, die als Solistin bei den Uraufführungen von Händels »Occasional Oratorio« und »Judas Maccabaeus« mitwirkte. Sie spielte auch Orgel, Cembalo und Klavier, dirigierte und malte. Ihr hervorragender Ruf machte es ihr möglich, eigene Konzerte zu veranstalten – damals höchst ungewöhnlich für eine Frau! Und nicht zuletzt war Elisabetta de Gambarini Komponistin: 1748 veröffentlichte sie als erste Britin eine Sammlung von Cembalokompositionen. Subskribenten der Ausgabe waren neben Herzogen, Grafen, Baronen und hochrangigen Militärs auch keine Geringeren als Georg Friedrich Händel und sein damals ebenso bekannter Komponistenkollege Francesco Geminiani.

Elisabetta de Gambarini, Cembalosonate Nr. 5 C-Dur

Per Du mit Haydn und Mozart :Marianna von Martines (1744–1812)

»Ihre Musik zu hören, ist wirklich eine Entdeckung – eigentümlich vertraut und doch wieder ganz anders.«

Melanie Unseld, Musikwissenschaftlerin

Marianna von Martines lebte als Kind unter einem Dach mit Joseph Haydn, Nicola Porpora und dem berühmten Librettisten Pietro Trapassi (besser bekannt als Metastasio, Autor von gefühlt 90% aller Opernlibretti des 18. Jahrhunderts). Der junge Haydn gab der Siebenjährigen Klavierunterricht und Metastasio förderte ihr musikalisches Talent nach Kräften. Ihre ersten Auftritte hatte Marianna von Martines am kaiserlichen Hof in Wien, wo Kaiser Joseph II. ihr persönlich die Noten umblätterte. In der Folge erlangte die junge Künstlerin große Bekanntheit als Sängerin und Pianistin und gestaltete mit ihren musikalischen Salons das Musikleben Wiens maßgeblich mit. Sie verkehrte mit Berühmtheiten wie Antonio Salieri, Haydn und Mozart, der angeblich eigene Kompositionen mit ihr im Duett spielte. Schon im Alter von 16 Jahren trat Marianna von Martines mit einer Messe als Komponistin in Erscheinung. Es folgten Werke für Cembalo und Orchester sowie Vokalmusik, darunter auch ein Oratorium. 1773 wurde sie als erste Frau in die Accademia Filarmonica von Bologna aufgenommen.

Marianna von Martines, »Berenice, ah, che fai«

Pionierin :Louise Farrenc (1804–1875)

Wer im 19. Jahrhundert in Frankreich als Komponist Karriere machen wollte, schrieb Opern. Louise Farrenc aber zog es vor, Sinfonien zu schreiben. Kammermusik. Klaviermusik. Werke, kurz gesagt, in der Tradition der Klassik und Romantik – die in Frankreich damals noch wenig bekannt und zudem als »deutsch« verpönt war. Inspiriert hat sie hierzu vermutlich ihr Kompositionslehrer Anton Reicha, der diese Musik als einer der ersten nach Frankreich brachte. Neben Komposition studierte Louise Farrenc Klavier bei den Starkünstlern ihrer Zeit: Ignaz Moscheles und Johann Nepomuk Hummel. Lange verfolgte sie eine erfolgreiche Karriere als Pianistin.

1842 erhielt Louise Farrenc einen Ruf als Professorin für Klavier an das Pariser Conservatoire – als erste Frau Europas hatte sie ein solches Amt inne (und erwirkte nach acht Jahren immerhin auch eine Angleichung ihres Gehalts an das ihres Kollegen Henri Herz). Ihre Kammermusik ebenso wie ihre drei Sinfonien wurden zu ihren Lebzeiten regelmäßig aufgeführt und kein Geringerer als Robert Schumann rezensierte ihr Air russe varié op. 17 für Klavier sehr positiv. Der ganz breite Publikumszuspruch blieb Louise Farrenc verwehrt – vielleicht, weil sie keine Opern schrieb –, dennoch kann sie heute als eine Pionierin der klassisch-romantischen Musik in Frankreich gelten.

Louise Farrenc, Sinfonie Nr. 3 g-Moll op. 36

»Eine Frau, die festen Schrittes und erhobenen Hauptes den schweren Weg geht, den heutzutage nur wenige Männer zu beschreiten vermögen.«

Thérèse Wartel, Revue et Gazette musicale de Paris, 31.3.1850

Wilde Ehe :Augusta Holmès (1847–1903)

»Gleichzeitig eine bemerkenswerte Pianistin, Dichterin und Komponistin.«

Gazette artistique de Nantes 15. Januar 1891

Die Männer lagen der blonden Schönheit scharenweise zu Füßen: César Franck war in sie verliebt, Camille Saint-Saëns machte ihr gleich mehrere Heiratsanträge und auch Franz Liszt gehörte angeblich zu ihren Verehrern. Augusta Holmès jedoch lehnte es ab, sich konventionell zu binden – und sie hatte es auch nicht nötig. Als Alleinerbin ihres Vaters war die irischstämmige Französin finanziell unabhängig. Statt sich einen Ehemann zu suchen, lebte sie lieber unverheiratet mit dem Dichter Catulle Mendès zusammen, mit dem sie fünf Kinder hatte.

Holmès spielte Klavier und Orgel, zudem war sie eine begabte Sängerin. Ihre Werke stehen stilistisch denen von César Franck und Richard Wagner nahe. Zu ihren erfolgreichsten Kompositionen gehören die sinfonische Dichtung »Irlande« und insbesondere die »Ode triomphale en lʼhonneur du Centenaire de 1789«, ein Auftragswerk zur Hundertjahrfeier der französischen Revolution, das 1889 während der Pariser Weltausstellung uraufgeführt wurde. Mitwirkende: 300 Orchestermusiker und 900 Chorsänger.

Augusta Holmès, »Irlande«

Innere Emigration :Mel Bonis (1858–1937)

Im Gegensatz zu vielen ihrer Komponistenkolleg:innen kam Mélanie Bonis aus einfachen Verhältnissen. Auf Vermittlung von César Franck konnte sie dennoch ein Studium am Pariser Conservatoire beginnen. Als ein Kommilitone Mélanie allerdings einen Heiratsantrag machte, verboten ihre Eltern ihr, das Studium zu beenden und verheirateten sie mit dem deutlich älteren Albert Domange, einem reichen Witwer, der fünf Kinder mit in die Ehe brachte. Ihre musikalischen Interessen verfolgte Bonis durch die Zusammenarbeit mit ihrem ehemaligen Verehrer weiter. Daraus wurde eine Liebesbeziehung, der schließlich ihre uneheliche Tochter Madeleine entsprang. Nach deren Geburt begann für Bonis ihre intensivste Schaffensphase – wohl auch, um ihrer emotionalen Zerrissenheit Ausdruck zu verleihen. Mel Bonis hinterließ etwa 300 Kompositionen: Kammer- und Vokalmusik, Klavier- und Orgelkompositionen sowie elf Werke für Orchester. Ihre Musiksprache ist spätromantisch und dem Impressionismus zuneigend. Sie zählt heute zu den bedeutendsten französischen Komponistinnen der Wende zum 20. Jahrhundert.

Mel Bonis, Cantique de Jean Racine

»Ich hätte nie geglaubt, dass eine Frau so etwas schreiben kann.«

Camille Saint-Saëns

»Ein wirklicher Komponist« :Ethel Smyth (1858–1944)

»Ich unterbrach sie, um zu Mahler hinüberzustürzen und ihn zu beschwören, mit mir zu kommen – mir spiele die Engländerin ihr Werk vor und sie sei ein wirklicher Komponist […] Als wir uns trennten, stand ich völlig im Bann des Gehörten und ihrer Person.«

Bruno Walter

»Die Geringschätzung gegen Komponistinnen im Allgemeinen ist von einer unbekümmert resoluten, keinem Hindernis ausweichenden, in froher Energie ihren Weg gehenden Engländerin über den Haufen gerannt – fast hättʼ ich gesagt: geboxt – worden«, so ist es 1911 in der Zeitschrift »Merkur« zu lesen. Die Engländerin, von der die Rede ist, heißt Ethel Smyth, studierte in Leipzig bei Carl Reinecke und Heinrich von Herzogenberg, rang sogar Brahms lobende Worte über eines ihrer Werke ab und schaffte es, die Aufführung ihrer insgesamt sechs Opern an renommierten Bühnen wie Covent Garden in London oder der New Yorker »Met« zu erwirken. Dirigentengrößen wie Bruno Walter (der sie Gustav Mahler gegenüber begeistert als »wirklichen Komponisten« bezeichnete), Arthur Nikisch und Thomas Beecham schätzten ihre Werke. Stilistisch orientierte Smyth sich an der deutschen Spätromantik, erst an Brahms und seinem Umfeld, später auch an Wagner. Im Alter ertaubte sie und wandte sich zunehmend der Schriftstellerei zu.

Ethel Smyth, Ouvertüre zu »The Wreckers«

Am Puls der Zeit :Dora Pejačević (1885–1923)

Üppige spätromantische Klänge, angereichert mit impressionistischer Harmonik. Orchesterpracht wie bei Richard Strauss mit einem Schuss Expressionismus: Die Musik von Dora Pejačević brachte die musikalische Moderne nach Kroatien. Mit ihren Orchester- und Kammermusikwerken trug die Tochter eines kroatischen Grafen und einer ungarischen Baronin dazu bei, die Musik ihres Landes an die aktuellen Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts anzuschließen und ihr auch international zu Anerkennung zu verhelfen. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Dora Pejačević in München, wo sie im Alter von nur 38 Jahren starb.

Dora Pejačević, Sinfonie fis-Moll

Geschieden, weiblich, schwarz :Florence Price (1887–1953)

Sie war die erste afroamerikanische Frau, von der ein Werk durch ein großes amerikanisches Orchester aufgeführt wurde: Florence Price. Geboren in Little Rock, studierte Price in Boston Klavier und Orgel sowie in Chicago Komposition, Orchestration und Orgel. Nach der Scheidung von ihrem gewalttätigen Ehemann lebte sie bei ihrer Schülerin und Freundin Margaret Bonds. 1932 gewann sie mit ihrer Sinfonie e-Moll den Ersten Preis bei den Wanamaker Foundation Awards (beim gleichen Wettbewerb gewann sie zudem mit ihrer Klaviersonate den dritten Preis). Die Sinfonie wurde am 15. Juni 1933 vom Chicago Symphony Orchestra zur Uraufführung gebracht. Neben vier Sinfonien schrieb Price weitere Orchesterwerke sowie Lieder, Stücke für Violine, für Orgel und für Klavier und eine Reihe kammermusikalischer Werke. Ihre Musik verbindet die europäische Tradition insbesondere der Romantik mit Elementen von Gospels und Spirituals.

Florence Price, Sinfonie Nr. 1 e-Moll

Wegweiserin :Lili Boulanger (1893–1918)

Dass eine Frau den renommierten Prix de Rome des Pariser Konservatoriums gewinnt, war vorher noch nie da gewesen. Mit ihrer Kantate »Faust et Hélène« gelang Lili Boulanger dieser Coup 1913 – nach nur einem Jahr des Kompositionsstudiums. Kurz darauf schloss sie einen Vertrag mit dem renommierten Musikverlag Ricordi, was der noch nicht 20-Jährigen zu Bekanntheit und ihrer Musik zu Aufführungen verhalf. Von einem sehr durch Debussy geprägten Stil ausgehend, entwickelte Lili Boulanger in ihren überwiegend vokalen Werken bald eine ganz eigene, ausdrucksstarke musikalische Sprache, die bereits auf die großen Oratorienkompositionen Arthur Honeggers vorausweist. Gesundheitlich zeitlebens geschwächt, starb Lili Boulanger mit nur 24 Jahren im März 1918. Ihre letzte Komposition, ein Pie Jesu, diktierte sie ihrer Schwester Nadia in die Feder.

Lili Boulanger, Psalm 130

»Mlle Lili Boulanger hat im diesjährigen Rom-Wettbewerb über alle männlichen Konkurrenten triumphiert und gewann den Ersten Großen Rompreis auf Anhieb mit Souveränität, Tempo und Leichtigkeit; was die übrigen Kandidaten einigermaßen verstört zurückgelassen hat.«

Zeitung »Musica« (1913)

Text: Juliane Weigel-Krämer, Stand: 01.03.2021

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