Collage »Les Adieux«

Patricia Kopatchinskaja: Les Adieux

Wie viel Zeit haben wir noch auf der Erde? Die quirlige Violinistin spricht über ihr neues Projekt.

Es gibt wohl kaum eine Musikerin, die über ein derart weit gefasstes künstlerisches Spektrum verfügt wie Patricia Kopatchinskaja. Neben der Hingabe an ihr Instrument überschreitet die moldauisch-österreichisch-schweizerische Geigerin bei ihren Auftritten häufig die Grenze zum Szenischen. So auch in ihrem aktuellen Projekt »Les Adieux«, in dem sie sich mit dem Klimawandel und Naturschutz auseinandersetzt. Wie viel Zeit haben wir noch auf der Erde? Wann werden die natürlichen Ressourcen verbraucht sein, wann zwingen uns Naturkatastrophen, steigende Meeresspiegel und neuartige Krankheiten in die Knie? In »Les Adieux« versammelt Kopatchinskaja gleich mehrere Werke, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, und fügt sie zu einem szenischen Konzert zusammen. Dabei wird sie begleitet von dem zukunftsgewandten Mahler Chamber Orchestra, mit dem sie eine lange Zusammenarbeit verbindet. Die visuelle Gestaltung übernimmt die vielfach ausgezeichnete Bühnenbildnerin Lani Tran-Duc. Im Interview beantworten sie Fragen rund um das neue Projekt.

 

Patricia Kopatchinskaja

Patricia Kopatchinskaja
Patricia Kopatchinskaja © Maxim Schulz


Sie sind bekannt für Ihre unkonventionellen Projekte, die weder vor Traditionen noch vor deren Erneuerung scheuen. Hadern Sie auch mal damit, Stücken von Beethoven oder Schumann einen neuen Anstrich zu verpassen?

Es geht mir nicht darum, einen neuen Anstrich zu verpassen. Mein Ziel ist es, zum eigentlichen Kern eines Stückes vorzustoßen – zu seiner Bedeutung im Hier und Jetzt, für uns.


Begegnet Ihnen dabei manchmal auch Gegenwind?

Ich würde sagen, ich selbst bin mein größter Gegenwind!


Was macht für Sie eine gute Interpretation eines Stückes aus?

Bei einer wirklich guten Interpretation sitze ich auf der Stuhlkante und kann nicht aufhören, aufzupassen und mich zu wundern.


Ihre Projekte sind sehr kreativ und oft auch multimedial. Wie entstehen die Ideen zu neuen Projekten bei Ihnen, was treibt Sie bei der Ideenfindung an?

Mein Antrieb ist die Suche nach dem Sinn. Und dann mache ich weiter wie bei einer Traumanalyse: jede Assoziation ist erlaubt. Aber auch der Input meiner Mitdenker ist wichtig – mit ihren Ideen bereichern sie die Palette des künstlerischen Ausdrucks ungemein. Denn es ist ein ganzes Team an kreativen Leuten, das hinter den Projekten steht.  

 

»Les Adieux« »Les Adieux« © Daniel Dittus
»Les Adieux« »Les Adieux« © Daniel Dittus
Patricia Kopatchinskaja Patricia Kopatchinskaja © Daniel Dittus
»Les Adieux« »Les Adieux« © Daniel Dittus

In der Laeiszhalle treten Sie Mitte Mai 2022 mit einem neuen Projekt auf. Wie entstand die Idee zu »Les Adieux«?

Natur und Umwelt in Verbindung mit Beethovens »Pastorale« sind heute beliebte Festivalmottos. Wir erforschen mit dem Projekt, was die »Pastorale« nach 200 Jahren für uns bedeutet – und gehen dabei auch darauf ein, wie sich unsere Spezies auf diesem Planeten bislang aufgeführt hat.
 

»Eine Inszenierung muss aus der Musik heraus entstehen. Dann verschmelzen die Grenzen zwischen dem Visuellen und der Musik.«


Oft sind Ihre Konzerte inszeniert, Sie haben sogar ganze musikalische Filme gedreht. Was ist Ihnen bei der visuellen Gestaltung von Konzerten wichtig?

Visuelle Gestaltung gab es schon immer. Die »Sieben letzten Worte« von Haydn beispielsweise wurden in einer schwarz verhängten Kapelle uraufgeführt. Wichtig ist, dass die Inszenierung nicht zum Selbstzweck oder Regietheater wird, sondern aus der Musik herauskommt und diese unterstützt. Ich habe nie mit einem Regisseur gearbeitet, sondern alles selbst mit den Musikern ausprobiert. Wenn es stimmig ist, dann wird es nicht als inszeniert empfunden, sondern die Grenzen zwischen dem Visuellen und der Musik verschmelzen zu einer einzigen vielschichtigen Geschichte.


Das Thema Umwelt ist Ihnen sowohl privat als auch in Ihrer Kunst ein wichtiges Anliegen. Wo muss der Kulturbetrieb Ihrer Meinung nach noch lernen?

Das Umweltthema ist in aller Munde, trotzdem steigen die Treibhausgase jedes Jahr immer schneller – und damit auch die Erderwärmung. Für mich geht es hier nicht um Meinungen, das sind Fakten. Um das zu ändern müssten endlich alle mithelfen!

Lani Tran-Duc

Lani Tran-Duc
Lani Tran-Duc © unbezeichnet


Das Projekt »Les Adieux« in der Laeiszhalle gestalten Sie zusammen mit Patricia Kopatchinskaja. Was reizt Sie an der Zusammenarbeit mit ihr?

Patricia und mich beschäftigen im Grunde die gleichen Themen in der Welt, das macht sie für mich zu einer Verbündeten. Ich liebe an ihr, dass sie in ihren Projekten auch ein Anliegen jenseits der Musik hat. In unseren gemeinsamen Arbeiten suche ich nach der passenden Raumsetzung für das, was Patricia mit ihrer Stückauswahl erzählen will und hoffe, dass sich die Atmosphäre dann transportiert. Natürlich immer mit Blick auf das Wichtigste, auf die Musik.


In diesem Projekt geht es um die Zerstörung der Umwelt. Wie passt das in das historisch prunkvolle Ambiente der Laeiszhalle? Wie gehen Sie als Ausstatterin mit dem Raum um?

Da wir die Konzerte oft für mehrere ganz unterschiedliche Orte planen, muss ich so entwerfen, dass der Raum die Atmosphäre erzählt, und trotzdem flexibel bleiben. Dabei spielen auch das Licht von Markus Güdel und die Projektionen der Videokünstlerinnen Tabea Rothfuchs und Ruth Stofer eine wichtige Rolle. Für »Les Adieux« möchte Patricia das Bild einer Prozession und eines Begräbnisses transportieren. Wir Menschen zerstören unsere Welt, Flora und Fauna, uns selbst. Ich hatte die Idee, einen riesigen Trauerschleier als leichte Skulptur über das Orchester zu hängen, der gleichzeitig Projektionsfläche und Spielrequisit ist. Eine Raumveränderung ist mir bei meinen Entwürfen immer sehr wichtig, ich suche nach einer Raum-Dramaturgie, die auf ihre eigene Weise eine Geschichte erzählt.

Annette zu Castell / Mahler Chamber Orchestra

Mahler Chamber Orchestra
Mahler Chamber Orchestra © Geoffroy Schied

 

Worauf freuen Sie sich besonders im Blick auf die Zusammenarbeit mit Patricia Kopatchinskaja?

Patricia Kopatchinskaja tut alles mit einem Gefühl der Dringlichkeit und zwingenden Notwendigkeit. Das gilt für jede Note, die sie spielt, und für jede Botschaft, die sie durch ihre Auftritte vermitteln will. Dennoch gibt es bei ihr immer auch Elemente der Freude, der Verspieltheit und der reinen Virtuosität.


Was möchten Sie mit dem Projekt vermitteln?

Bei all unserem Wissen über das Artensterben und den Klimawandel, und dem Wissen, dass allein der Mensch dafür verantwortlich ist, stellt sich ein Gefühl der Trauer ein. Eine Trauer um die Welt, die wir für immer zu verlieren drohen. Patricia Kopatchinskaja hat das Konzept der Aufführung auf dieser Grundlage entwickelt, und wir hoffen, dass wir es schaffen, diese Gefühle auf die Bühne zu bringen und sichtbar zu machen. Und dass der Abend letztlich auch dazu beiträgt, in unserem Publikum ein dringendes Verantwortungsgefühl emotional zu verankern.


Finden Sie, dass Künstler eine politische Verantwortung haben?

Jeder trägt im Rahmen seiner Möglichkeiten politische Verantwortung. Auf der Bühne zu stehen bedeutet mehr Sichtbarkeit und damit auch mehr Verantwortung. Es bietet auch die Möglichkeit, Botschaften emotional zu vermitteln, was zu einem nachhaltigen Verständnis beiträgt, aber auch eine sehr sorgfältige Auswahl der Botschaften erfordert, die man vermitteln möchte.


Wie gehen Sie im Orchester mit dem Thema Klimaschutz um?

Das Mahler Chamber Orchestra beschäftigt sich intensiv mit der Frage nach der eigenen Reaktion auf den Klimawandel und auf andere Umweltprobleme. Wir messen unseren CO2-Fußabdruck und entwickeln Benchmarks und Einsparungsziele. Außerdem versuchen wir, unsere Reiseplanung so effizient wie möglich zu gestalten, in zertifizierten Hotels in der Nähe der Veranstaltungsorte zu übernachten und so oft wie möglich öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Vor allem aber berücksichtigen wir bei unserer Planung künstlerische, finanzielle und ökologische Faktoren gleichermaßen und arbeiten an der Sensibilisierung unseres globalen Netzwerks.

Interview: Anastasia Päßler, Stand: 10. März 2022

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