Francesca Verunelli

Neu gehört: Francesca Verunelli

Fragen an die Komponist:innen des Neue-Musik-Festivals »Elbphilharmonie Visions«.

Der Klang der Gegenwart im Großen Saal: Beim Festival »Elbphilharmonie Visions« steht ausschließlich zeitgenössische Musik auf dem Programm. Das ist nicht nur musikalisch spannend, sondern bietet auch die großartige Chance, den Komponist:innen Fragen zu ihren Werken und zum Komponieren selbst zu stellen. Wie funktioniert Komponieren überhaupt? Haben sie vorher schon eine konkrete Vorstellung von dem Werk oder entsteht es erst beim Schreiben? Was für eine Rolle spielt die Umgebung? Und was wünschen sie sich für ihre Musik?

Davon berichten die Komponist:innen des Festivals in Kurzinterviews – in dieser Ausgabe mit der italienischen Komponistin Francesca Verunelli. Bei »Elbphilharmonie Visions« steht ihr Werk »From Scratch« auf dem Programm.

Porträt-Film über Francesca Verunelli :A portrait of Francesca Verunelli

Was inspiriert Sie als Komponist:in? Welche Rolle spielt das Außermusikalische?
Musik zu hören, hat mich immer tief berührt; es ist eine meiner frühesten Erinnerungen. Ich staune immer wieder über die besondere Kraft von Musik, etwas von unserer Menschlichkeit zu vermitteln und uns mit anderen zu verbinden. Es gibt etwas im Klang, das mich unwiderstehlich anzieht und mich dazu bringt, spezifische emotionale Reaktionen zu ergründen und sie lebendig werden zu lassen.

Es ist unmöglich zu sagen, welche Rolle das Außermusikalische spielt. Als Künstlerin bin ich vollständig von meinen eigenen Lebenserfahrungen geprägt. Ich bin ein Filter der Welt, wie jeder andere Mensch auch. Wenn ich also etwas erschaffe, spiegelt es wider, wie ich zur Welt gehöre und wie ich das Leben um mich herum wahrnehme, weshalb es in gewisser Weise sehr politisch ist. Aber ich glaube, dass Musik das Geheimnis von Leben und Tod berühren kann und muss – sie ist nicht und sollte nicht eine intellektuelle Übung oder etwas Abstraktes sein.


Ist Ihre innerliche Vorstellung von einem Werk schon ausgeprägt, ehe Sie sich daran machen, es zu komponieren?
Ich kann nichts schreiben, wenn ich diese Vision nicht habe. Ich würde sagen, dass eine solche Vision dabei gleichzeitig sehr stark und sehr vage ist. Obwohl sie ein klares inneres Gefühl dafür vermittelt, was das Stück sein wird, ist es immer noch ein weiter Weg, das zu finden und umzusetzen.
 

Wie würden Sie den Klang unserer Zeit beschreiben?
Ich denke, beim klang unserer Zeit geht es vor allem darum, wie etwas von den Zuhörer:innen unserer Zeit erlebt wird. Musik ist viel mehr als ein Artefakt an sich, und in der Tat sagen historische oder ästhetische Analysen nicht wirklich etwas darüber aus, was Musik für uns und in uns tut. Musik trägt unsere Gegenwart und unser Menschsein mehr als alles andere, weil sie auch Dinge vermittelt, die nicht gesagt, nicht verbalisiert werden können, aber uns trotzdem so stark repräsentieren.
 

Was braucht zeitgenössische Musik, um die Liebe des Publikums zu gewinnen?
Gar nichts. Jeder Mensch, der aus irgendeinem musikalischen Kontext kommt, ist ein sehr guter Zuhörer, wenn er mit offenen Ohren ins Konzert geht und bereit ist, sich auf das Unbekannte einzulassen. Aber jede Musik – sogar und vielleicht besonders die Musik, die aus der Vergangenheit stammt – sollte man mit neune Ohren hören als wäre sie unbekannt, um ihr wahrhaft zu begegnen.
 

Was möchten Sie dem Publikum über Ihr Werk mit auf den Weg ins Konzert geben?
Von meiner Seite aus müssen die Zuhörer:innen nichts wissen – einfach erleben, was die Musik in ihnen erzeugt. Natürlich kann es manchmal helfen, etwas über den kreativen Kontext eines Stückes zu wissen, damit man sich beim Hören wohler fühlen. Im Fall von »From Scratch« gab es dieses Gefühl, dass in jedem Geräusch bereits eine verborgene Harmonie steckt. »From Scratch« bedeutet, von nichts zu beginnen, aber auch, dass das Stück mit den Schlagwerkern beginnt, die die Metalloberfläche eines Instruments kratzen. Dieses Stück versucht, das, was wir als »Geräusch« im Gegensatz zu »Harmonie« wahrnehmen, zu untergraben, indem es nahtlos von einer Wahrnehmung zur anderen und umgekehrt übergeht.

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