John Zorn in der Elbphilharmonie 2017

»John Zorn hat immer eine sehr klare Vorstellung«

Über John Zorn und seine Musik: ein Interview mit dem Hamburger Zorn-Experten Axel Zielke.

Wenn John Zorn auf dem Programm steht, ist so gut wie alles möglich: von Jazz bis Metal, vom Streichquartett bis zu fetten Elektro-Sounds. Der New Yorker Saxofonist und Komponist ist ein absolutes Unikat, seine Musik passt in keine Schublade. Dabei ist er nicht nur extrem vielseitig, sondern auch unfassbar produktiv: Seit vielen Jahren bringt er fast monatlich ein Album nach dem anderen heraus, und keines gleicht dem anderen.

In einem Interview führt der Hamburger Zorn-Experte Axel Zielke in den faszinierenden Schaffenskosmos des Ausnahme-Musikers ein.

Reflektor John Zorn

Musiker, Komponist, Freigeist – im März 2022 präsentierten John Zorn und enge Wegbegleiter sein facettenreiches Schaffen von Jazz bis Noise.

Axel Zielke
Axel Zielke © Miriam Holzapfel

Ein guter Einstieg?

Wie würden Sie jemandem, der den Namen John Zorn noch nie gehört hat, dessen Musik beschreiben?

Es ist unmöglich, John Zorn einem bestimmten Stil zuzuordnen; seine Musik ist extrem abwechslungsreich und vielschichtig. In seinem Schaffen lässt sich alles finden zwischen Klassik, Metal und Hardcore, freier Improvisation, Jazz, Exotica, Rock, Atonalität, Filmmusik, Ambient und Blues; sogar eine LP mit Weihnachtsmusik hat er veröffentlicht.
 

Lassen sich die Alben denn jeweils unterschiedlichen Musikrichtungen zuordnen?

Oft versammeln sich auf einem Album oder sogar innerhalb eines Songs ganz verschiedene Stile. Die Musik wechselt manchmal völlig unerwartet und abrupt, aber natürlich nie ohne einen inneren Zusammenhang. Ein extremes Beispiel dafür ist »Speedfreaks« von der Naked City Platte »Torture Garden«. In einer Art jump-cut-style geht es im atemberaubenden Tempo durch 32 einzelne musikalische Blöcke, und das in weniger als einer Minute! Trotz der permanenten Veränderungen behält »Speedfreaks« aber einen beständigen Puls, der alle Elemente miteinander verbindet. 

»Speedfreaks« – live

Was könnte man sich zum Einstieg gut anhören?

Da gibt es natürlich ganz verschiedene Möglichkeiten... Empfehlen könnte ich unter anderem »Tharsis« vom New Masada Quartet. Masada zählt zu den bekanntesten Zorn-Projekten: Es hat seinen Ursprung in den frühen 90er Jahren und er setzt sich in diesem Rahmen auch mit seinen jüdischen Wurzeln auseinander. So legt er zahlreichen Kompositionen Tonskalen aus der jüdischen Klezmer-Musik zugrunde. Das erste Masada-Songbook wurde zunächst gespielt vom Masada Quartet mit Bass, Schlagzeug, Trompete und Saxofon. Über die Jahre komponierte er ein zweites und drittes Songbook und rief Masada-Formationen in ganz unterschiedlichen Besetzungen ins Leben.

John Zorn Masada Quartet
John Zorn Masada Quartet © Unbezeichnet

Im New Masada Quartet wird die Trompete durch eine Gitarre ersetzt; es spielen Kenny Wollesen am Schlagzeug, Julian Lage an der Gitarre, Jorge Roeder am Bass und John Zorn selbst am Saxofon. Somit bietet »Tharsis« auch die Gelegenheit, ihn als Saxofonisten kennenzulernen.

»Tharsis«

Ein guter Einstieg ist auch »The Divine Comedy« vom ersten Album des Orgeltrios Simulacrum. Die Gruppe besteht bis heute. Simulacrum mit John Medeski (Orgel), Kenny Grohowski (Schlagzeug) und Matt Hollenberg (Gitarre) ist ein Beispiel für Zorns Projekte mit Anleihen aus Heavy Metal, Hardcore und Noise. »The Divine Comedy« ist mit über zwölf Minuten ein verhältnismäßig langer Song mit viel Abwechslung und verschiedensten Parts, die von Jazz über Rock bis hin zu brachialem Metal reichen.

»The Divine Comedy«

Wem dieses Klangbeispiel zu extrem ist, kann es mit »Crossing The Abyss« von Chaos Magick versuchen. Die Chaos-Magick-Besetzung umfasst das Simulacrum Trio plus den Pianisten Brian Marsella. In der Gänze weist auch dieses Album einen deutlichen Metal-Einfluss auf, der in »Crossing The Abyss« allerdings zugunsten eines treibenden, Funk-artigen Grooves mit feurigen Soli zurücktritt.

»Crossing The Abyss«

Einen spannenden Kontrast hierzu bildet »Easy Time« von der eingängigen Platte »Songs For Petra«, die John Zorn für die New Yorker Sängerin Petra Haden schuf. Die Texte stammen von Jesse Harris, der auch mit Norah Jones zusammenarbeitet.

»Easy Time«

Freiräume für Interpreten

Wie viel Spielraum zur Improvisation lässt Zorn den Interpreten, und wie gestaltet er diesen Spielraum?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten – je nach Musik variiert der Raum zur Improvisation sehr stark. Manchmal schreibt er alles ganz genau auf, aber in Projekten wie bei dem Game-Piece »Cobra« sind die Musiker komplett frei. Hier existiert wie in einem Spiel zwar ein Regelwerk, das zum Beispiel Anweisungen zur Konstellation der Spieler oder zur Lautstärke gibt, aber was sie dann spielen, entscheiden die Musiker spontan. Auch das Timing der »Spielzüge« liegt bei ihnen.

Welche Rolle spielt John Zorn dabei als Komponist?

Bei allem Freiraum für Improvisation hat John Zorn immer eine sehr klare Vorstellung von seinen Projekten. Der jeweilige Spielraum, den er seinen Musikern lässt, ist wohlüberlegt und klar umrissen. So beobachtet man ihn manchmal sogar als eine Art Dirigenten, der per Handzeichen von außen Einfluss auf das Geschehen nimmt und bestimmt, wer mit einem Solo an der Reihe ist und wann es beendet ist.

John Zorn in Hamburg

Welche der Formationen, mit denen er nach Hamburg kommt, sollte man auf keinen Fall verpassen?

Nicht verpassen sollte man den Auftritt des originären Masada Quartets aus den frühen 90er Jahren! Wer weiß, wann man diese Formation in Hamburg nochmal erleben kann – und ob überhaupt. Masada ist ein essenzielles Zorn-Projekt, das Zusammenspiel des Quartetts ist umwerfend. In dieser Musik stecken wahnsinnig viele Ideen und man kann sich der Energie und Intensität nicht entziehen.

John Zorn Masada Quartet
John Zorn Masada Quartet © Unbezeichnet

Grundsätzlich sind alle Veranstaltungen hochspannend, man kann die Auswahl vielleicht von dem eigenen Musikgeschmack abhängig machen. Wer sich für menschliche Stimmen begeistern kann, muss sich den Auftritt von Barbara Hannigan im Kalender markieren.

 

»John Zorn zeigt, dass Musik alles darf.«

Was fasziniert Sie so an John Zorn, dass Sie sogar Ihre Examensarbeit über ihn geschrieben haben?

Ich bin 1990 auf John Zorn gestoßen, damals war ich 15 Jahre alt. Zu der Zeit gab es noch kein Internet, und um neue Musik zu entdecken, musste man oft auch mal ein Risiko eingehen. Bei der Lektüre eines Mailorderkatalogs ist mir die LP »Torture Garden« von der Band Naked City aufgefallen. In einem kurzen Text dazu war sinngemäß die Rede davon, dass gestandene Jazz-Musiker in Mikrokompositionen Grindcore und jeden anderen Stil spielen, den man sich vorstellen kann.

Diese Beschreibung sowie Bandname und Albumtitel haben ausgereicht, dass ich die Platte einfach bestellt habe. Einige Zeit später kam sie dann mit der Post und hat mein Leben und die Art wie ich Musik höre verändert. Ich hatte zu dem Zeitpunkt schon einen vielseitigen Musikgeschmack und habe Hip Hop, Jazz, Soul, Punk und Metal gehört. In meiner Wahrnehmung waren das bis dahin aber alles separate Genres. Mit Naked City sind in meinem Kopf viele Barrieren gefallen, die Platte hat mir offenbart, dass alle Genres gleichwertig sind und das Musik alles darf.

 


Interview: Tom R. Schulz und Julika von Werder (18. Februar 2022)

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