Caterina Lichtenberg & Mike Marshall

»Die Mandoline erlebt gerade eine Renaissance«

Die Mandolinisten Caterina Lichtenberg und Mike Marshall über J. S. Bach und Bluegrass – und warum man beides wunderbar im Konzert kombinieren kann.

Sie sind beide äußerst gefragte Mandolinisten, kommen aber aus zwei völlig unterschiedlichen Welten: Caterina Lichtenberg und Mike Marshall. Lichtenberg hat als klassische Mandolinistin die weltweit einzige Professur für dieses Instrument an der Hochschule Köln inne und ist im Barock zu Hause; Marshall ist in Florida aufgewachsen, sein künstlerischer Hintergrund liegt in der US-amerikanischen Spielweise der Mandoline, im Bluegrass. Am 28. Mai 2023 bringen die beiden, die auch privat ein Paar sind, ihre musikalischen Welten im Konzert zusammen.

Interview mit Caterina Lichtenberg und Mike Marshall

2023 ist das »Jahr der Mandoline«. Sie haben gleich mehrere Mandolinen in ganz verschiedenen Bauarten in der Elbphilharmonie dabei. Welche genau?

Mike Marshall: Ich habe meine Gibson-Mandoline dabei, ein Instrument im amerikanischen Stil mit flachem Boden, gewölbter Decke und f-Löchern, das ist das traditionelle Bluegrass-Instrument. Dann eine Mandola, auch von der Firma Gibson, die wie eine Viola gestimmt ist. Und schließlich das Mandoloncello, das etwa so groß ist wie eine Gitarre und der Stimmung des Cellos entspricht. Die Mandolinenfamilie ähnelt also in vielerlei Hinsicht der Geigenfamilie.

Caterina Lichtenberg: Ich spiele als Hauptinstrument die klassische neapolitanische Mandoline, die nicht flach ist, sondern einen Bauch hat. Für die Werke von Beethoven verwende ich ein Originalinstrument aus dem 18. Jahrhundert, einer Vinaccia-Mandoline mit Darmsaiten, die mit einem Federkiel gespielt wird – ein ganz anderer Klang.

Caterina Lichtenberg / Mike Marshall
Die Mandolinen-Sammlung von Mike Marshall und Caterina Lichtenberg © Claudia Kempf

Gibt es bei den Mandolinen auch diese legendären, sündhaft teuren Originalinstrumente, wie bei den Geigen?

Lichtenberg: Mein Vinaccia-Instrument stammt aus einer ähnlichen Zeit wie die Stradivari-Violinen – sie wird aber nicht so teuer gehandelt und ist erschwinglich. Die hochwertigen modernen neapolitanischen Mandolinen sind sehr gefragt, man muss jahrelang warten, um eine zu erhalten, aber auch sie sind noch bezahlbar. Anders als manche Mandolinen in Amerika …

Marshall: Mein Instrument ist tatsächlich so etwas wie der »heilige Gral« der Gibson-Mandolinen. Anfang des 20. Jahrhunderts baute die Firma Gibson erstmals Instrumente mit f-Löchern. Lloyd Loar, der Akustikingenieur, signierte die ersten 150 Stück. Wer in Amerika so ein Instrument besitzt, hütet es wie einen Schatz.

Sie spielen in der Elbphilharmonie auch ein Stück eines Mandolinenbauers, Raffaele Calace (Duetti op. 97). Ein Mann mit vielen Talenten?

Lichtenberg: Oh, ja! Er war ein Zeitgenosse von Giacomo Puccini, gewissermaßen der »Puccini der Mandoline«. Er baute eigene Instrumente, die immer noch als sehr hochwertig gelten, zudem war er Komponist und schrieb wunderschöne Musik, wie etwa seine Solo-Preludes und seine Konzerte für Mandoline. Dazu war er auch Pädagoge und schrieb ein sechsbändiges Schulwerk, welches noch heute verwendet wird. Er konzertierte mit der Mandoline und hat unter anderem Anfang des 20. Jahrhunderts in Japan gespielt, was damals eine große Sache war. Und er war Vater von fünf Kindern. Heute führen seine Enkel sein Unternehmen weiter und bauen noch immer Mandolinen.

Marshall: In der Geschichte der Mandoline gab es immer wieder Phasen, in denen das Instrument sehr populär war, viel geforscht und komponiert wurde. Calace repräsentiert den Höhepunkt der romantischen neapolitanischen Ära. Davor und danach lag die Mandoline zeitweise in einem Dornröschenschlaf. Ich glaube, jetzt gerade erleben wir wieder eine Renaissance des Instruments! Wunderbar, dass in der Elbphilharmonie in den letzten Monaten so viele tolle Mandolinisten zu Gast waren!

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»Als ich nach Amerika kam und diese coolen Leute sah, die diese groovige Musik spielten – auf der Mandoline! –, war das eine ganz neue Welt für mich.«

Caterina Lichtenberg

Ihr Programm wechselt zwischen Bach, Beethoven, Mozart auf der einen Seite und Bluegrass und Eigenkompositionen auf der anderen Seite. Was gefällt Ihnen an dieser Kombination?

Marshall: Es ist eigentlich unsere persönliche Geschichte. Als Caterina und ich uns 2007 kennengelernten, kamen wir geografisch und musikalisch aus völlig unterschiedlichen Welten: Caterina aus Deutschland und der barocken, klassisch-europäischen Tradition, ich aus den USA und der amerikanischen Art, Mandoline zu spielen, also aus dem Bluegrass. Es war von Anfang an unser Ziel, diese Welten zusammenzubringen. Voneinander zu lernen war immer ein Teil unserer Beziehung.

Lichtenberg: Als ich Mike damals auf dem Mandolinensymposium kennenlernte, das er gemeinsam mit David Grisman leitete, dachte ich: »Oh, mein Gott, was ist das?« Mein Bruder hat Jazz studiert, und ich mochte den Jazz und andere musikalische Stile sehr. Aber die Mandolinenszene war für mich bis dahin rein klassisch. Als ich dann nach Amerika kam und all diese coolen Leute sah, die diese groovige Musik spielten – auf der Mandoline! –, war das eine ganz neue Welt für mich. Mike Marshall, Hamilton de Holanda, Chris Thile, alle an einem Ort, auf diesem Festival. So etwas hatte ich in meinem Leben noch nicht gesehen. Ich war positiv geschockt! Wir wollen in unseren Konzerten diese strengen Grenzen überwinden, unsere beiden Welten zeigen. Ein Werk von Mozart zu hören im Wechsel mit Bluegrass – das ist wie bei einem guten Essen, wo man verschiedene Gänge mit unterschiedlichen Geschmackswelten erleben kann. Und auf die Musik übertragen, kann es die Ohren für Neues öffnen.

Sie spielen auch brasilianische Musik: Caterina Lichtenberg & Mike Marshall mit »Nao me Toques«

»Voneinander zu lernen war immer ein Teil unserer Beziehung.«

Mike Marshall

Der Musik von Johann Sebastian Bach widmeten Sie 2015 ein ganzes Album. Ist das eine gemeinsame Leidenschaft von Ihnen?

Marshall: Ja, ganz klar! Bach ist für uns beide unser absoluter Lieblingskomponist, wie für viele Musiker. Und so haben wir begonnen, seine Musik im Duo zu erforschen. Die Bach-Werke, die wir im Konzert spielen (Duetto Nr. 2 F-Dur BWV 803 und Duetto Nr. 3 G-Dur BWV 804) , sind ursprünglich für Orgel oder Cembalo geschrieben, Caterina übernimmt die Noten für die rechte Hand, ich die für die linke, auf dem Mandoloncello. Es sind meist kontrapunktische Kompositionen ohne gehäufte Akkordfolgen. Und so können wir die Werke ohne größere Änderungen spielen.

Mike Marshall spielt das berühmte Prélude aus Bachs Cello-Suite Nr. 1 – auf dem Mandoloncello.

In Hamburg spielen Sie vier Originalwerke von Beethoven für Mandoline (Vier Stücke für Mandoline und Cembalo WoO 43 & 44). Das mag für einige Leute neu sein, dass Beethoven Musik für Mandoline geschrieben hat. Was war der Status des Instruments zu seiner Zeit?

Lichtenberg: Mitte des 18. Jahrhunderts war die Hochzeit der Mandoline. Sie war zunächst in Italien und dann in Paris und Lyon sehr beliebt, aber mit der Französischen Revolution gab es einen großen Einschnitt. Um 1800 tauchte die Mandoline dann wieder im Wiener Kulturraum auf. Hier entstanden viele schöne Kompositionen; von Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Nepomuk Hummel, Ludwig van Beethoven und vielen anderen. Beethoven schrieb seine Werke für Mandoline 1796 in Prag, nachdem er in einem Salon die Comtesse Josephine von Clary-Aldringen (später Clamm-Gallas) kennengelernt hatte. Beethoven war 26, sie war 19 und zu diesem Zeitpunkt bereits verlobt. Beide spielten sicher im Duo zusammen, vielleicht hatte er auch ein Auge auf sie geworfen. Diese Mandolinenwerke wurden später im Clam-Gallas-Familienarchiv entdeckt, zusammen mit Lehrbüchern und vielen anderen Werken. Der musikalische Nachlass zeigt, dass Josephine eine sehr gute Musikerin war – und dass die Mandoline einen gewissen Stellenwert im damaligen Musikleben hatte.

Und dann sind im Konzert auch eigene Kompositionen von Ihnen zu hören: »Cat Got the Mouse«, »Big Man from Syracuse«, … haben diese Titel eine bestimmte Bedeutung?

Marshall: »Cat Got the Mouse« habe ich nach der Geburt unserer zweiten Tochter geschrieben. »Cat« bezieht sich auf Caterina, und die Maus auf unser »Mäuschen«, wie Caterina das Baby gerne nannte. Vor allem aber habe ich in dem Stück versucht, einige der Techniken einzubauen, die Caterina verwendet und die aus der frühen klassischen Epoche der Mandoline stammen. Etwa das Cross-Picking, eine sehr fortschrittliche Art, zwei, drei und vier Saiten in sich wiederholenden Bewegungen zu spielen, um einen harfen­ähnlichen Effekt zu erzeugen. Diese Techniken aus dem 18. Jahrhundert habe ich in meine eigene, amerikanische Musiksprache eingebettet.

»Big Man from Syracuse« ist ein Lied, das ich für einen befreundeten Banjospieler aus Syracuse, New York schrieb. Auch hier war es der Versuch, neue Techniken, Banjo-Techniken, auf die Mandoline zu übertragen. Und wieder sind meine musikalischen Wurzeln zu hören, es klingt fast wie ein amerikanisches Fiddle-Tune oder ein Banjo-Song. Wir sind eben, wer wir sind ...

Interview: François Kremer, Stand: 20.5.2023

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