Asmik Grigiorian

Asmik Grigorian: »pure Emotion und Ehrlichkeit«

Die litauische Opernsängerin im Porträt: Über das Geheimnis ihrer Bühnenpräsenz, den Neubeginn ihrer Karriere und die Nachwirkungen ihrer legendären »Salome«-Interpretation.

Viele Karrieren im Opernbetrieb verlaufen wie ein langsam ansteigendes Crescendo. Erst wird man Mitglied in einem Ensemble, arbeitet sich nach vorn, singt die eine oder andere Hauptrolle oder springt für einen großen Namen ein. Und mit viel Fleiß und Talent und noch mehr Glück landet man am Ende vielleicht selbst am Gipfel des Opernolymps.

Asmik Grigorians Sprung an ebendiese Spitze kam eher einem lauten Fortissimo-Knall gleich, als sie 2018 bei den Salzburger Festspielen als Salome in Richard Strauss’ gleichnamiger Oper einen Sensationsauftritt hinlegte. So intensiv und ausdrucksstark hatte man diese exzentrische Rolle, in der sich ein scheinbar naives Mädchen krank vor Begehren in einen rauschhaften Wahn steigert und zum mordlüsternen Racheengel mutiert, lange nicht gesehen.

Asmik Grigorian in der Elbphilharmonie

am 24. Mai 2022 im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg mit einem Liederabend im Kleinen Saal der Elbphilharmonie

Ein Welterfolg und seine Konsequenzen

»Ich muss akzeptieren, dass die Salome mich den Rest meines Lebens begleiten wird.«

Asmik Grigorian

Beim Schlussapplaus ging der Regisseur Romeo Castellucci vor ihr auf die Knie – und mit ihm das Salzburger Publikum und die versammelte Kritik. »Die Salome aller Salomes«, bilanzierte die Financial Times, und die F.A.Z. malte sich aus, wie »Richard Strauss im Himmel selig gelächelt haben« musste. Bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift Opernwelt wurde Grigorian im Anschluss mit nie dagewesener Mehrheit zur Sängerin des Jahres gekürt. Und auch wenn sie vorher längst keine Unbekannte auf der Opernbühne mehr war – von nun an galt sie als Star.

»Ich muss akzeptieren, dass die Salome mich den Rest meines Lebens begleiten wird«, sagte Grigorian mit ein paar Monaten Abstand. »Sie war ein riesiges Geschenk für mich, weil ich seither eine große Auswahl habe. Ich kann mit den besten Opernleuten der Welt arbeiten, und das ist so wichtig für mich, denn meine Arbeit ist mein Zuhause. Aber gleichzeitig bedeutet das natürlich eine große Herausforderung. Mit Salome haben sich die Maßstäbe nach oben verschoben. Viele Leute gehen davon aus, dass ich jetzt von Rolle zu Rolle immer weiter über mich hinauswachse, immer besser werde. Und vielleicht kommt dieser Gedanke gar nicht nur von außen, sondern auch von mir selbst.«

Das Leben spüren

Die Oper wurde der 1981 im litauischen Vilnius geborenen Sängerin buchstäblich in die Wiege gelegt: Ihr Vater war der bekannte armenische Tenor Gegam Grigorian, die Mutter, ebenfalls Sopranistin und Gesangsprofessorin, wurde ihre erste Lehrerin. Grigorian studierte an der litauischen Musik- und Theaterakademie und war mit Anfang 20 Gründungsmitglied der Vilnius City Opera, an der sie auch heute noch einmal im Jahr auftritt. Von ihrem Elternhaus sei sie allerdings weniger musikalisch geprägt worden als vielmehr in Bezug auf ihre Persönlichkeit: »Von meinem Vater habe ich die Fähigkeit erhalten, das Leben zu spüren. Das ist das größte Geschenk, das ich von ihm bekommen habe. Von meiner Mutter habe ich vermutlich die Empathie und auch diese enorme Disziplin.«

 

»Es war eine gefährliche Zeit! Ich habe mich fast selbst getötet.«

Asmik Grigorian

Krise und Neuanfang

Disziplin brauchte Grigorian schon früh in ihrem Leben. Noch als Studentin wurde sie zum ersten Mal Mutter und musste ihr Leben zwischen Bühne und ihrem Sohn organisieren. »Ich brauchte Geld, deshalb habe ich ständig gearbeitet. Es war eine gefährliche Zeit! Ich habe mich fast selbst getötet. Mit dreißig war ich total fertig. Meine Stimme war in einem sehr schlechten Zustand. Da entschied ich: Ich beginne einfach nochmal von vorne.«   

Heute, sagt sie, sei sie froh, dass ihr das alles so früh passierte. »Hätte ich diesen Absturz damals nicht gehabt, würde er vielleicht heute passieren.« So aber kann Grigorian mittlerweile auf ein Repertoire von über 60 Partien zurückgreifen, auch ihre Stimmkrise hat sie längst überwunden, ebenso die Panikattacken, die sie seit den frühen Musikschultagen begleiten, wie sie einmal ganz offen in einem Interview erzählte. Inzwischen hat Grigorian noch eine junge Tochter, die sie oft auf ihren Reisen begleitet. Und falls wieder einmal alles zu viel wird, weiß sie, was zu tun ist: »Immer nach Hilfe fragen. Und sich Pausen gönnen. Nun bin ich in der Situation, in der ich es endlich genießen kann, Sängerin zu sein.« 

 

»Vielleicht ist das meine Aufgabe im Leben: die Leute zum Weinen und Fühlen zu bringen.«

Asmik Grigorian

Die Empathische

Ihren Erfolg verdankt Asmik Grigorian – neben ihrer Stimme natürlich – vor allem ihrer überragenden Bühnenpräsenz. Sie ist eine begnadete Schauspielerin, auch wenn sie das selbst so nicht sagen würde: »Ich habe es nicht gelernt. Und ich kann auch gar nicht behaupten, dass ich wüsste, wie man spielt. Ich nehme mein ganzes Spiel aus der Realität. Das hat wohl damit zu tun, dass ich ein sehr empathischer Mensch bin. Ich fühle mich schnell in andere Menschen ein, was im Leben nicht immer angenehm ist. Aber auf der Bühne hilft mir diese Eigenschaft natürlich sehr.«

Ihrem Spiel haftet denn auch nichts Unnatürliches oder Einstudiertes an wie bei so vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen, denen man das Training vorm heimischen Spiegel förmlich ansieht. Auf der anderen Seite kann sie so aber auch keine klare Grenze zwischen Bühne und Leben ziehen, zwischen sich und den Rollen, die sie verkörpert: »Sie sind immer bei mir, ich lerne von ihnen.«

Asmik Grigorian
Asmik Grigorian © Algirdas Bakas

»Für mich ist das Wichtigste, meine Geschichte zu erzählen, zu sagen, was ich hier fühle.«

Asmik Grigorian

 

Auch ihre Salome war keine ferne mythologische Figur, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, verletzlich, mit all seinen Abgründen und Widersprüchen. Vielleicht ging ihre Darstellung gerade deshalb so unter die Haut. Grigorian sieht in den abstrakten Opernfiguren eben stets die menschliche Seite: »Wir sind alle Menschen und kämpfen mit den gleichen Problemen. Für mich ist das Wichtigste, meine Geschichte zu erzählen, zu sagen, was ich hier fühle. Diese pure Emotion und Ehrlichkeit gibt jedem Einzelnen im Publikum die Möglichkeit, auszuwählen, was er sehen und aus der Geschichte lernen will.« Und sie fügt an: »Vielleicht ist das meine Aufgabe im Leben: die Leute zum Weinen und Fühlen zu bringen.«

Die erste Aufnahme

Dass Grigorian für die Bühne brennt, zeigt sich auch darin, dass so gut wie keine Aufnahmen von ihr existieren. Einige wenige Opernauftritte, darunter die Salzburger »Salome«, sind zwar als Mitschnitt dokumentiert, aber den Weg ins Tonstudio hat die Sängerin lange gescheut. Bis jetzt. Mit dem litauisch-russischen Pianisten Lukas Geniušas hat sie Anfang 2022 ein Album mit Liedern von Sergej Rachmaninow aufgenommen und so mit 40 Jahren ihr CD-Debüt vorgelegt.

Asmik Grigorian and Lukas Geniušas: »Rachmaninov songs«

Gemeinsam präsentieren die beiden das Programm in dieser Saison an ausgewählten Konzerthäusern, darunter auch in der Elbphilharmonie. So ergibt sich in Hamburg die seltene Gelegenheit, diese einzigartige Sängerin abseits der Opernbühne am 24. Mai 2022 im kleinen Rahmen des Liederabends zu erleben. Es wird wohl vorerst eine der letzten Möglichkeiten bleiben, denn Asmik Grigorians Kalender ist voll mit Opernproduktionen in der ganzen Welt. All die Figuren, die in ihr wohnen und ein Teil von ihr geworden sind, drängen eben auf die Bühne.

 

Text: Simon Chlosta, Stand: 6.4.2022

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