Mehdi Qamoum

5 Fragen an Mehdi Qamoum

Der marokkanische Musiker über Trance-Rituale und die spirituelle Bedeutung der Musik.

Die faszinierenden Basslinien und polyrhythmischen Trommeln der Gnawa haben bereits Musiker wie Bob Marley, Jimmy Hendrix oder Cat Stevens angezogen, die alle nach Marokko gepilgert sind. Warum ist diese Musik auch für Jazz und Pop so attraktiv?

Von Jazz bis Pop haben die meisten Musikrichtungen ihre Wurzeln in Afrika. Was die Rhythmen der Gnawa-Musik angeht, ist es nur natürlich, dass sie das Interesse internationaler Künstler weckten. Denn diese spüren darin eine Verbindung zu ihren Wurzeln. Die Instrumente sind aus natürlichen Materialien gefertigt, ihre Frequenzen ähneln jenen der natürlichen Klänge der Erde. Dazu kann jeder Mensch eine intuitive Verbindung herstellen.

Was fasziniert Sie an der Gnawa-Musik?

Mich fasziniert die Erfahrung von Trance (»Tsoukina«), die man bei Gnawa-Sitzungen erleben kann. Es ist für mich hochspannend, die Macht des Klangs auf diese Weise zu spüren: Klang schafft Leben, Klang kann glücklich oder traurig machen. Die sich wiederholenden Rhythmen der Gnawa-Musik ermöglichen es dem Gehirn, sich in der Frequenz der sogenannten »Theta-Wellen« zu bewegen (Anm.: neuronale Aktivitäten im Frequenzbereich von 4 bis 8 Hz, typisch bei Schläfrigkeit, Unaufmerksamkeit und leichten Schlafphasen) – und somit die göttlichen Vorteile der Trance zu erfahren.

Sie praktizieren das sogenannte »Lila-Ritual«. Was ist daran so einzigartig?

»Lila« bedeutet »Nacht« auf Arabisch. Eine »Lila« kann mehr als zwölf Stunden dauern und wird in der Regel in intimer Runde durchgeführt, um einen sicheren Ort zu schaffen, an dem die Menschen in Trance geraten und durch die Musik geheilt werden können. Es handelt sich um eine Kombination aus vielfältigen Heilsitzungen, angeleitet von assoziativer Musik.

Mehdi Qamoum: L’Bouhala

Nun halten Sie auch eine rituelle Soiree in der Elbphilharmonie. Wie kann man sich einen solchen Rahmen vorstellen?

Viele Künstler sind in der Hamburger Elbphilharmonie aufgetreten und haben eine wunderbare Energie in diesem Raum hinterlassen. Ich fühle mich wie ein Gefäß für die Musik der Gnawa, die ihren Weg in den Saal findet und ihre Präsenz zeigt.

Wie erreicht man einen Trance-Zustand? Und was bringt er den Teilnehmenden?

Trance ist eine spirituelle Reise in die eigene innere Welt, damit Veränderung oder Heilung in der Außenwelt stattfinden kann. Die Kombination von Farben, die eine bestimmte Energie verströmen, mit sich wiederholenden Rhythmen und Gesängen der Gnawa-Musik, ermöglicht es den Teilnehmenden, in einen Zustand der Trance einzutreten. Oder eben Heilung zu finden, je nachdem, welches Ziel sie verfolgen.

 

Fragen: Anastasia Päßler, Stand: 10.11.2022

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