Çiğdem Aslan

5 Fragen an Çiğdem Aslan

Çiğdem Aslan singt den »griechischen Blues« – und findet in ihm ein Zuhause.

Çiğdem Aslan ist eine Sängerin mit alevitisch-kurdischen Wurzeln. Geboren in Istanbul, lebt sie heute in London. In ihrer Musik aber reist sie zurück an die Ägäis, singt Volkslieder aus Anatolien, vom Balkan und aus Griechenland. Ihr Konzert beim Musikfest Hamburg ist Teil der Reihe »Blues der Großstadt« (1. bis 12. Mai 2019 in der Elbphilharmonie): In der vierteiligen Konzertserie versammelten sich Künstler, die, wie Aslan, zwischen zwei Kulturen hin- und hergerissen sind. Denn einerseits bewegen sie sich in den traditionellen Stilen ihrer musikalischen Vorfahren, andererseits leben sie nun mal in der Gegenwart, in den schnelllebigen Metropolen wie London, Paris oder Berlin. Von dort aus blicken sie zurück auf die traditionellen Genres – den greichischen Rembetiko, finnischen Tango, algerischen Raï oder jüdischen Klezmer – und füllen sie mit neuem Leben.

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Frau Aslan, Sie leben in London: Was bedeutet Ihnen die Stadt?

London, mit seiner ganzen Diversität, ist ein Treffpunkt vieler Kulturen und musikalischer Stile. Sie können miteinander in Kontakt treten, sich vermischen, eine Kultur kann hier aber auch für sich stehen, ohne sich verstellen oder verstecken zu müssen. In vielen Teilen der Welt gibt es eine zunehmende Intoleranz gegenüber dem »Anderen«. Aber in London spürt man das nur wenig. Hoffentlich bleibt das so.

02

Sie singen den Rembetiko, der manchmal als »griechischer Blues« bezeichnet wird. Wie würden Sie den Stil beschreiben?

Rembetiko ist ein urbanes Musikgenre, das das Leben der Armen und Vertriebenen spiegelt. Es beschreibt die Freude, die Trauer, die Schwierigkeiten des Alltags. Ich zitiere aus dem Buch »Road to Rembetika« der Autorin Gail Holst: »Das Besondere am Rembetiko war die Kombination aus der traditionellen Musik auf der einen Seite und den Texten auf der anderen Seite – denn in diesen ging es oft um das Großstadtleben mit seinen Schattenwelten, um die nicht so anständigen Seiten der Gesellschaft.«

Çiğdem Aslan
Çiğdem Aslan © Tara Darby

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Gesungen wurde der Rembetiko zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem von Flüchtlingen, die sich nach dem Griechisch-Türkischen Krieg plötzlich in den griechischen Städten wiederfanden. Sie haben mal gesagt: »Musik kann ein Zuhause sein«. Wie meinen Sie das?

Schon immer haben Leute im Exil in ihrer Volksmusik Zuversicht gefunden – indem sie die Lieder gesungen haben oder sich versammelt haben, um sie zu hören. Sich an Elementen seiner eigenen Kultur festzuhalten ist eine Art, damit umzugehen, weg von »zu Hause« zu sein. Die Geschichte wiederholt sich ja leider. Was Leute vor hundert Jahren erlebt haben beim Bevölkerungstausch zwischen der Türkei und Griechenland passiert jetzt wieder in Syrien. Millionen von Flüchtlingen sind in aller Welt verstreut, untergebracht in Flüchtlingscamps. Ich habe das Camp im französischen Calais besucht, und dort erlebt, wie vertraute Klänge Menschen ein Lachen ins Gesicht zaubern können. Ich bin nicht so naiv, zu denken, dass damit alles in Ordnung ist. Aber vielleicht gibt es Leuten Kraft.

»Ich bin nicht so naiv, zu denken, dass damit alles in Ordnung ist. Aber vielleicht gibt es Leuten Kraft.«

Çiğdem Aslan

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Sie sind mit Musik aufgewachsen. Bedeutet sie Ihnen heute das Gleiche wie in Ihrer Kindheit?

Als Kind hörte ich vor allem alevitische Musik, Folksongs, manchmal Protestlieder auf Türkisch oder Kurdisch. In Istanbul lernte ich dann später auch andere Genres kennen. Ich brauche immer Musik um mich rum, das hat sich nicht geändert, nur das Drumherum.

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Die Städte, in denen Sie gelebt haben?

Ja, Istanbul, London… Jede Stadt, in der ich gelebt habe, hat meinen Gesang, meinen Auftritt beeinflusst. Neue Leute zu treffen, ihre Geschichten zu hören, das andere Klima, andere tägliche Routinen, die vielen unterschiedlichen Musik-Erfahrungen: Das alles hat mich positiv verändert.

»Blues der Großstadt« in der Elbphilharmonie

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