»Es sind alles Stücke, die ich bis jetzt noch nie aufgeführt habe, nirgendwo.«
Matthias Goerne
»Brahms und Hamburg – das macht irgendwie Sinn«, erklärt Matthias Goerne. Der erfolgreiche Bariton hat mit seinem langjährigen Klavierpartner Alexander Schmalcz fünf Lieder des Hamburger Komponisten in der Elbphilharmonie aufgenommen. Über seine Auswahl erklärt er, dass ihn besonders die melancholischen Lieder von Brahms berühren, »die verbunden sind mit einer dunklen Stimmung«.
Der gebürtige Weimarer gehört zu den vielseitigsten und weltweit gefragtesten Sängern seines Stimmfachs. Mit seinen sensiblen Lied-Interpretationen und seiner außergewöhnlich warmen und flexiblen Stimme zieht er überall sein Publikum in den Bann. »Eine Stimme, die süchtig macht«, heißt es in der Kritik. Mit seinen fünf Brahms-Liedern stellt der ehemalige Residenz-Künstler der Elbphilharmonie das wieder einmal unter Beweis.

Brahms: Sonntag op. 47/3
Die dunkle Stimmung bei Brahms – nicht immer heißt das tiefe Verzweiflung. Denn genauso tragisch kann es sein, wenn ein hingebungsvoll verliebter junger Mann die unbekannte Angebetete nur aus der Ferne beobachten kann. »Wollte Gott, wollte Gott, ich wär’ heute bei ihr!« sehnt er sich in Brahms Lied »Sonntag«.
Matthias Goerne singt »Sonntag« von Johannes Brahms
-
Liedtext:
Sonntag
Johann Ludwig Uhland
So hab’ ich doch die ganze Woche
Mein feines Liebchen nicht geseh’n,
Ich sah es an einem Sonntag
Wohl vor der Türe steh’n:
Das tausendschöne Jungfräulein,
Das tausendschöne Herzelein,
Wollte Gott, wollte Gott, ich wär’ heute bei ihr!So will mir doch die ganze Woche
Das Lachen nicht vergeh’n,
Ich sah es an einem Sonntag
Wohl in die Kirche geh’n:
Das tausendschöne Jungfräulein,
Das tausendschöne Herzelein,
Wollte Gott, wollte Gott, ich wär’ heute bei ihr!
Brahms: Der Gang zum Liebchen op. 48/1
Die innere Unruhe des gehetzten Liebenden in Brahms’Lied »Der Gang zum Liebchen« lässt Goernes flexible Stimme den Zuhörer unmittelbar mitfühlen. Ob der so getriebene Wanderer wirklich unterwegs zu seinem Liebchen ist oder ob er seine letzte Chance schon verpasste, bleibt offen.
Matthias Goerne singt »Der Gang zum Liebchen« von Johannes Brahms
-
Liedtext:
Der Gang zum Liebchen
Josef Wenzig
Es glänzt der Mond nieder,
Ich sollte doch wieder
Zu meinem Liebchen,
Wie mag es ihr gehn?Ach weh, sie verzaget
Und klaget, und klaget,
Daß sie mich nimmer
Im Leben wird sehn!Es ging der Mond unter,
Ich eilte doch munter,
Und eilte daß keiner
Mein Liebchen entführt.Ihr Täubchen, o girret,
Ihr Lüftchen, o schwirret,
Daß keiner mein Liebchen,
Mein Liebchen entführt!
Brahms: Serenade op. 70/3
»Warum einsam und stumm zärtliche Seelen immer sich quälen« – so die schmerzvolle Frage in Brahms’ »Serenade«. Sie erklingt in einer scheinbar erschöpften, ruhigen Melodie, begleitet von einer verspielt eleganten Klavierbegleitung.
Matthias Goerne singt »Serenade« von Johannes Brahms
-
Liedtext:
Serenade
Johann Wolfgang von Goethe
Liebliches Kind,
Kannst du mir sagen,
Sagen warum
Einsam und stumm
Zärtliche Seelen
Immer sich quälen,
Selbst sich betrüben
Und ihr Vergnügen
Immer nur ahnen
Da, wo sie nicht sind;
Kannst du mir’s sagen,
Liebliches Kind?
Brahms: An den Mond op. 71/2
Der Mond – ein zentrales Motiv in vielen Gedichten der Romantik: Er erhellt die Nacht und ist doch selber eigentlich dunkel. In Brahms’ ausdrucksstarkem Lied »An den Mond« wird der Himmelskörper zum Verbündeten eines unglücklich Liebenden.
Matthias Goerne singt »An den Mond« von Johannes Brahms
-
Liedtext:
An den Mond
Karl Joseph Simrock
Silbermond mit bleichen Strahlen
pflegst du Wald und Feld zu malen,
gibst den Bergen, gibst den Talen
der Empfindung Seufzer ein.
Sei Vertrauter meiner Schmerzen,
Segler in der Lüfte See:
Sag' ihr, die ich trag' im Herzen,
wie mich tötet Liebesweh.
Sag' ihr, über tausend Meilen
sehne sich mein Herz nach ihr.
"Keine Ferne kann es heilen,
nur ein holder Blick von dir."
Sag' ihr, daß zu Tod getroffen
diese Hülle bald zerfällt;
nur ein schmeichlerisches Hoffen
sei's, das sie zusammenhält.
Brahms: Sommerfäden op. 72/2
»Fetzen goldener Liebesträume«, die sich als Illusionen entpuppen – voller Bitterkeit wird das menschliche Fühlen in Brahms »Sommerfäden« als »Hirngespinst« bezeichnet. Um diese Resignation auszudrücken, zieht Goerne die tiefen Register seiner Stimme und zeigt, wie intensiv »leise« klingen kann.
Matthias Goerne singt »Sommerfäden« von Johannes Brahms
-
Liedtext:
Sommerfäden
Karl August Candidus
Sommerfäden hin und wieder
Fliegen von den Himmeln nieder;
Sind den Menschen Hirngespinnste,
Fetzen goldner Liebesträume.An die Stauden, an die Bäume
Haben sie sich dort verfangen;
Hochselbsteigene Gewinnste
Sehen wir darunter hangen.