Die Reihe »Elphi at Home« entstand im Frühling 2020. Als die Säle fürs Publikum geschlossen wurden, lud die Elbphilharmonie Künstler ein, Live-Konzerte per Stream aus der Elbphilharmonie zu senden.
Die Künstler
Mit 15 Jahren kam sie aus ihrer Heimat Kirgisistan nach Deutschland, seit der Saison 2018/19 ist sie der neue Star der Hamburger Oper: Katharina Konradi ist die erste Sopranistin ihres Landes, die in allen Bereichen der klassischen Sängerwelt Erfolge feiert, im Lied-, Konzert- und Opernfach. Am Klavier begleitet sie ihr Duopartner Roland Vieweg, der als Dirigent und Korrepetitor arbeitet.
In der Elbphilharmonie sang Katharina Konradi schon mehrfach zu großen Anlässen: Mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester eröffnete sie die Saison 2017/18, stand zum Jahreswechsel 2018/19 in Johann Strauß’ »Die Fledermaus« auf der Bühne und war 2020 an der Seite von Kent Nagano, Iveta Apkalna und dem Philharmonischen Staatsorchester zu erleben. Und auch in der Saison 2020/21 ist sie mehrfach in Hamburg zu Gast – stay tuned!
»Ihre Stimme fließt nur so auf dem Atem, die Koloraturen tropfen und perlen hinreißend.«
Hamburger Abendblatt
Programm
György Kurtág: Attila József-Fragmente
1. Kasasodik a viz (Breiig wird der Schnee)
2. Sokan voltak es korulvettek (Es waren viele, die mich umringten)
Robert Schumann: Sechs Gesänge op.107
1. Herzeleid
2. Die Fensterscheibe
György Kurtág
4. Az ido (Zeit)
17. A kerten, hallatlan semmir idzve (Über dem Garten ein unerhörtes Nichts beschwörend)
Robert Schumann
3. Gärtner
4. Die Spinnerin
György Kurtág
7. Szolj hat, mit tegyek en (Sag, was soll ich tun, dass du mich liebst)
8. A nyarfak kozt ezust habbokkal (Durch die Pappeln, silbernd schäumend)
Robert Schumann
5. Im Wald
György Kurtág
14. Nincs kozom senkihez (Ich hab' mit niemandem zu tun)
10. Tizenot eve irok koltemenyt (Seit fünfzehn Jahren schreibe ich Verse)
11. Oly lagy az este, mint egy szolloszem (Der Abend ist so sanft wie eine Traube)
Robert Schumann
6. Abendlied
Liedtexte
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György Kurtágs »Attila-József-Fragmente« im Wechsel mit Robert Schumanns »Sechs Gesängen op. 107«
György Kurtág: Kasasodik a viz (Breiig wird der Schnee)
Breiig wird der Schnee, festigt sich zu Eis,
und meine Sünden verdichten sich zum Tod.
György Kurtág: Sokan voltak es korulvettek (Es waren viele, die mich umringten)
Es waren viele, die mich umringten
– in meinem Traum – und mich auslachten:
»Ha, ha, ha! Hat etwa er den Schatz,
den es gar nicht gibt?«
Robert Schumann: Herzeleid
Die Weiden lassen matt die Zweige hangen,
Und traurig zieh’n die Wasser hin:
Sie schaute starr hinab mit bleichen Wangen,
Die unglücksel’ge Träumerin.Und ihr entfiel ein Strauß von Immortellen,
Er war so schwer von Tränen ja,
Und leise warnend lispelten die Wellen:
»Ophelia, Ophelia!«
Robert Schumann: Die Fensterscheibe
Die Fenster klär’ ich zum Feiertag,
Dass sich die Sonn’ drin spiegeln mag,
Und klär’ und denke gar mancherlei.
Da geht er stolz vorbei!So sehr muss ich da erschrocken sein,
Dass ich gleich brach in die Scheiben hinein,
Und gleich auch kam das Blut gerannt
Rot über meine Hand.Und mag sie auch bluten, meine Hand,
Und mag mich auch schmerzen der böse Brand,
Hast einen Blick doch heraufgeschickt,
Als laut das Glas geknickt.Und in die Augen dir hab’ ich geseh’n;
Ach Gott, wie lang ist es nicht gescheh’n!
Hast mich ja nicht einmal angeblickt,
Als leis mein Herz geknickt!
György Kurtág: Az ido (Zeit)
Die Zeit reift, sich windend wie die Bohne.
György Kurtág: A kerten, hallatlan semmir idzve
(Über dem Garten, ein unerhörtes Nichts beschwörend)
Über dem Garten, ein unerhörtes Nichts beschwörend,
düstert Hitze. Ungeheuer.
Die Zweige halten Spinnweben in ihren runzligen Händen,
gelangweilt winkt das Laub.
Robert Schumann: Der Gärtner
Auf ihrem Leibrösslein
So weiß wie der Schnee,
Die schönste Prinzessin
Reit’t durch die Allee.Der Weg, den das Rösslein
Hintanzet so hold,
Der Sand, den ich streute,
Er blinket wie Gold!Du rosenfarb’s Hütlein
Wohl auf und wohl ab,
O wirf eine Feder,
Verstohlen herab!Und willst du dagegen
Eine Blüte von mir,
Nimm tausend für eine,
Nimm alle dafür!
Robert Schumann: Die Spinnerin
Auf dem Dorf in den Spinnstuben
Sind lustig die Mädchen.
Hat jedes seinen Herzbuben,
Wie flink geht das Rädchen!Spinnt jedes am Brautschatz,
Dass der Liebste sich freut.
Nicht lange, so gibt es
Ein Hochzeitsgeläut!Kein’ Seel’, die mir gut ist,
Kommt mit mir zu plaudern;
Gar schwül mir zu Mut ist,
Und die Hände zaudern.Und die Tränen mir rinnen
Leis übers Gesicht.
Wofür soll ich spinnen,
Ich weiß es ja nicht!
György Kurtág: Szolj hat, mit tegyek en (Sag, was soll ich tun, dass du mich liebst)
Sag, was soll ich tun, dass du mich liebst,
wenn ich weine, du nicht lachst?
Wie ein Motor, der, schon angesprungen,
keinen Weg hat und nicht fahren kann,
so bin ich, und wäre ich nur mutiger,
dann spräch’ ich unsinnige Worte.
György Kurtág: A nyarfak kozt ezust habbokkal
(Durch die Pappeln, silbernd schäumend)
Durch die Pappeln, silbern schäumend,
fließt ein süßer Hauch.
Darin badet mit gold’nen Gliedern
der gewaltige Sommer.
Robert Schumann: Im Wald
Ich zieh’ so allein in den Wald hinein.
O sieh zwei Falter fliegen!
Sie tummeln sich durch die Luft,
Und wenn sie ruh’n, so wiegen
Sie sich in der Blumen Duft,
Und ich bin so allein, voll Pein.Ich zieh’ so allein in den Wald hinein.
O sieh zwei Vöglein erschrocken
Entstieben dem warmen Nest!
Doch singen und suchen und locken
Sie hoch sich im Geäst,
Und ich bin so allein, voll Pein.Ich zieh’ so allein in den Wald hinein.
O sieh zwei Rehe zieh’n
An der grünen Halde zumal!
Und wie sie mich seh’n, entflieh’n
Sie fern in Berg und Tal,
Und ich bin so allein, voll Pein.
György Kurtág: Nincs kozom senkihez (Ich hab’ mit niemandem zu tun)
Ich hab’ mit niemandem zu tun.
Mein Wort, ein schwebender Schimmelpilz.
Bin wie die Kälte, hell und schwer.
György Kurtág: Tizenot eve irok koltemenyt
(Seit fünfzehn Jahren schreibe ich Verse)
Seit fünfzehn Jahren schreib ich Verse,
und jetzt, da man mich Dichter nennt,
da steh’ ich an der Ecke des Eisenwerks
und hab’ kein Wort für Mond und Himmel.
György Kurtág: Oly lagy az este, mint egy szolloszem
(Der Abend ist so sanft wie eine Traube)
Der Abend ist so sanft wie eine Traube,
er rollt mir weich durch die Erinnerung.
Ein blonder Abend. Doch ich kann mich nicht erinnern ...
Robert Schumann: Abendlied
Es ist so still geworden,
Verrauscht des Abends Weh’n,
Nun hört man aller Orten
Der Engel Füße geh’n,
Rings in die Tiefe senket
Sich Finsternis mit Macht --
Wirf ab, Herz, was dich kränket
Und was dir Bange macht!Nun steh’n im Himmelskreise
Die Stern’ in Majestät;
In gleichem festem Gleise
Der gold’ne Wagen geht.
Und gleich den Sternen lenket
Er deinen Weg durch Nacht –
Wirf ab, Herz, was dich kränket,
Und was dir Bange macht!
In ihren Ohren :Die persönliche Playlist von Katharina Konradi
Interview :mit Katharina Konradi & Roland Vieweg
Wie fühlt es sich für Sie an, ohne Publikum in diesem Saal zu spielen?
Katharina Konradi: Die Situation ist sehr besonders, sehr intim. Die Akustik ist auch jetzt großartig. Ich kenne den Saal gefüllt und auch nur in Verbindung mit anderen Genres, nicht mit einem Liederabend wie heute.
Roland Vieweg: Es ist eine eigenartige, fast sakrale Atmosphäre, auch weil die Akustik unglaublich raumgreifend ist. Beim Spielen kann man den Tönen sehr lang hinterherhören, die man gerade losgelassen hat. Und für mich ist es sehr besonders heute: Ich kenne den Saal eigentlich nur von der anderen Seite, als Zuschauer. Es ist das erste Mal, dass ich einen Fuß auf diese Bühne setze.
Zu dieser Stimmung passt auch das Programm, das Sie beide für Ihr Konzert ausgewählt haben.
Katharina Konradi: Wir fanden, dass sich die A-cappella-Stücke von György Kurtág für diese Situation unglaublich gut eignen. Sie passen zu Schumanns Liedern sowohl musikalisch als auch textlich sehr gut. Bei beiden geht es um Einsamkeit, um die Suche nach Glück und Frieden. Aber am Ende findet man all das doch nicht – davon handelt das letzte Stück, Schumanns »Abendlied«. Im Text heißt es: »Wirf ab, Herz, was dich kränket und was dir bange macht!« Es spannt den Bogen über sämtliche Gefühlsregungen in unserem Programm.
Roland Vieweg: Wir wollen ein großes Stimmungspanorama einfangen. Und durch ihre ganz unterschiedlichen Stilen kommentieren sich die Stücke gegenseitig. Bei Kurtág kehren immer die großen Intervallsprünge wieder, Schumann antwortet mit spröder Melodik und Harmonik. Die beiden Komponenten befruchten sich also gegenseitig.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit momentan?
(beide lachen)
Katharina Konradi: Zu Hause! Wir beschäftigen uns mit musikalischen Aufgaben, die eventuell noch anstehen. Ich hoffe sehr darauf, dass diese Zeit vorübergeht und wir die Musik wieder ganz normal erleben und genießen können. Und machen Dinge, zu denen wir im Alltag nicht kommen.
Roland Vieweg: Man muss dazusagen: Wir leben als verheiratetes Paar unter einem Dach. So konnten wir die Zeit nutzen, um uns mit diesen Stücken zu beschäftigen. Und nur so ist dieses Zusammenkommen auf der Bühne gerade möglich. Einerseits wünscht man sich, dass diese Situation bald endet. Und andererseits können wir aus der momentanen Reduktion auch etwas Positives ziehen, Kraft gewinnen. Das ist wichtig in diesen ungewöhnlichen und schweren Zeiten.
Das Gespräch wurde im April 2020 geführt.