Jess Gillam: Begeisterung und Mitgefühl
»Gillam verbreitet Freude«, so lautet die einfachste und zugleich treffendste Kritik, die über die Saxofonistin Jess Gillam geschrieben worden ist. Die Britin ist die neue Botschafterin des Saxofons. Sie performt Bach und Bowie, Schostakowitsch und Radiohead und moderiert auf BBC Radio 3 ihre eigene Wochenshow mit klassischer Musik. All das tut sie nicht nur mit unbestreitbarer Virtuosität, sondern auch mit einer so ansteckenden Begeisterung, dass sich die Schar ihrer (auch jungen) Fans in den letzten Jahren vervielfacht hat: 30.000 Follower auf Instagram, eine Viertelmillion monatliche Aufrufe auf Spotify. Gillam will das Saxofon in all seiner Vielfalt zeigen und dabei alle mitnehmen. Modern ist das zweifellos. Ihr aber geht es um etwas anderes: »Unsere wichtigste Aufgabe ist in meinen Augen, mitfühlend und empathisch zu sein. Für mein Publikum versuche ich, eine magische Welt zu erschaffen – eine andere Wirklichkeit.«

Cristina Gómez Godoy: Reife und Balance
»Es ist ganz einfach: Wer es schafft, einen Draht zum Publikum zu finden, ist für mich modern«, sagt Cristina Gómez Godoy. Für die Oboistin aus Andalusien wurde ein Traum wahr, als sie mit 21 Jahren in die Staatskapelle Berlin berufen wurde. Seit zehn Jahren spielt sie dort Erste Oboe, unterrichtet parallel an der Uni, gibt Meisterklassen und gastiert als Solistin bei anderen Orchestern. Ob sie auch ein Privatleben hat? Gómez Godoy schmunzelt. »Es ist sicherlich schwieriger geworden mit der Work-Life-Balance.« Druck empfindet sie auch durch die sozialen Medien. »Wie leicht stellt sich das Gefühl ein, man müsse pausenlos arbeiten und posten, um erfolgreich zu sein. Sicher haben diese Plattformen enorm dazu beigetragen, Musik zugänglicher zu machen. Was man online aber nicht kaufen kann, ist Reife. Dafür muss man die Welt sehen, neugierig sein, mit Menschen – auch anderer Generationen – sprechen, reisen, manchmal auch leiden. Und das braucht Zeit.«

Caspar Vinzens: Qualitätsbewusstsein
Caspar Vinzens ist noch keine 30, spielt aber schon fast sein halbes Leben lang im Aris Quartett. Vier Jugendliche waren sie damals; ein Lehrer an der Musikhochschule steckte sie kurzerhand zusammen. Das Experiment entpuppte sich als Glücksfall: Anna KatharinA, CaspaR, NoémI und LukaS – kurz »Aris« – wuchsen zusammen, wurden im Quartett erwachsen. Modern sein beginnt für Vinzens vielleicht auch deshalb bei der Ensemblekultur: »Wir sind eine demokratische Gruppe; wichtige Entscheidungen werden nur einstimmig getroffen.« Modern sein bedeutet heute aber auch, sich auf Instagram und Youtube zu präsentieren. »Junge Menschen zu erreichen, das ist ein ganz großes Thema. Allerdings erregt in den sozialen Medien oft nicht die beste Qualität am meisten Aufmerksamkeit, sondern die effektivste Selbstdarstellung. Inhalte verflachen und Algorithmen bestimmen, was sich verkaufen lässt.« Das Repertoire seines Quartetts bleibt davon unberührt. »Ich lasse mich lieber als ›unmodern‹ bezeichnen, als auf Meilensteine der Musikgeschichte zu verzichten.«

Anna Katharina Wildermuth: Empathie und Offenheit
»Musik beginnt nicht pünktlich um 8 Uhr morgens und hört nicht nach Feierabend auf«, sagt Anna Katharina Wildermuth, die Primaria des Aris Quartetts, übers moderne Künstlerdasein. »Wir sind nie fertig mit Proben und Üben, es gibt fast immer noch etwas, was zu verbessern wäre. Wichtig ist, dass wir unserem Alltag eine Struktur geben. Wann habe ich Zeit für mich? Wann darf ich das Instrument einmal ohne schlechtes Gewissen weglegen?« Zeitgemäß zu sein bedeutet für Wildermuth zweierlei. Erstens: Es braucht Empathie. »In der Kammermusik sind wir darauf gepolt, sozial zu denken, die Einzelinteressen in den Hintergrund zu stellen. Nur so kommen wir vorwärts.« Zweitens: »Offen sein für neue Formate und Ideen«, auf die Bedürfnisse einer rasend sich verändernden Gesellschaft reagieren. »Wir leben in immer komplexeren Zeiten. Wir Musikerinnen können die aktuellen Probleme nicht mehr aus unserem Berufsleben ausblenden.«

James Newby: Eigene Geschichten
Für den britischen Bariton James Newby ist das mächtigste Instrument eines Musikers sein eigener Gefühlshaushalt. »Ich erinnere mich an ein Erlebnis während meines Studiums. Ich war in einem Proberaum und wollte ein Lied üben, aber fühlte mich irgendwie mies. Beim Blick auf den Liedtext begriff ich auf einmal, dass dort exakt beschrieben stand, was ich in dem Moment empfunden habe. Das hat mich umgehauen.« Diesen Effekt will Newby an sein Publikum weitergeben. »Ich versuche, beim Singen meine eigenen Geschichten zu erzählen – wenn ich das tue, bin ich als Künstler zwangsläufig modern. Alles andere als zeitgemäß finde ich dagegen einige Vorgänge in der Opernwelt, etwa wenn sich Weiße das Gesicht schwarz anpinseln. Es muss mehr getan werden gegen Diskriminierung – ob nun rassistischer oder sexistischer Art.«

Diana Tishchenko: Neue Formate
»Wenn ich daran denke, wie wenige Zuhörer die klassische Musik erreicht – verglichen mit Genres wie Pop und Rock –, stellen sich mir viele Fragen.« Die ukrainische Geigerin Diana Tishchenko wird nachdenklich beim Thema Zukunftsmusik. »Ich habe schon oft Dinge gehört wie ›Ich verstehe ja nichts von klassischer Musik‹ oder ›Ich bin nach der Arbeit zu müde für ein Konzert‹. Wir müssen solche Hemmungen abbauen.« Tishchenko träumt von neuen Formaten: weg von der steifen Sitzposition, weg vom verkrampften Image. »Ich mag es zum Beispiel, im Dunkeln zu spielen. Wir hören ganz anders, wenn die Augen nicht so aktiv sind. Ich stelle mir ein Konzert bei Kerzenlicht vor, unterm Sternenhimmel.« So ähnlich hat sie das kürzlich schon in die Tat umgesetzt – am Strand von Royan im Südwesten Frankreichs und auf der unbewohnten griechischen Insel Delos.

Vanessa Porter: Nähe zum Publikum
Höher, schneller, lauter. Vanessa Porter erfüllt kein einziges Schlagzeuger-Klischee. Die Perkussionistin nutzt ihr Instrumentarium wie einen Farbkasten. Mit Gongs, Metallofonen und Trommeln erzählt sie Geschichten, erzeugt Stimmungen wie im Film. Seit Corona wählt sie ihre Programme mit noch mehr Bedacht. »Wir stecken mitten in einer großen Veränderung der Musikbranche. Viele Künstlerinnen und Künstler haben aufgegeben oder umgeschult. Geld für Kunst wird in den nächsten Jahren sicherlich nicht mehr so abrufbar sein wie bisher.« Das kreidet Porter weder der Politik noch dem Publikum an. »Wir Künstler haben zum Teil den Anschluss an die Gesellschaft verloren. Wir halten an einem Konzertformat fest, mit dem viele Leute nichts mehr verbinden.« Was aber braucht eine Künstlerin heute? »Wir müssen wieder Nähe zum Publikum gewinnen«, meint Porter. »Ein Konzert sollte ein Wohlfühlort sein, wie ein guter Film oder ein gutes Buch.«

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