Chopin im Salon des Fürsten Anton Radziwiłł (Berlin 1829)

Frédéric Chopin

Er habe dem Klavier die Seele eingehaucht, heißt es: Frédéric Chopin, berühmtester polnischer Komponist aller Zeiten.

Frédéric Chopins Klavierwerke gehören zu den meistgespielten weltweit: Verehrt wird er nicht nur als Meister der Etüden, Walzer und Polonaisen, sondern auch als einer, der dem Klavier aus der Seele schrieb.

Polen: Heimat ohne Zukunft

Frédéric (polnisch: Fryderyk) Chopin wurde 1810 nahe Warschau geboren, zu einer Zeit, in der sein Heimatland Polen längst nicht mehr als souveräner Staat existierte. Jahrzehnte zuvor war die einstige Adelsrepublik von Russland, Preußen und Österreich zerschlagen und aufgeteilt worden. Chopins Kindheit und Jugend war geprägt von wechselnden Pro-forma-Staatsgebilden, zunächst einem französischen Satellitenstaat unter Napoleon, und schließlich von »Kongresspolen« – einem neuerlichen Pseudostaat nach dem Wiener Kongress 1815, kontrolliert durch den russischen Zaren. Die Unterdrückung der Besatzer richtete sich vor allem gegen Intellektuelle und Künstler. Ein schlechter Nährboden für einen jungen Klaviervirtuosen und Komponisten.

»Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen.«

Robert Schumann

Frédéric Chopin: Gemälde von Maria Wodzińska (1836)
Frédéric Chopin: Gemälde von Maria Wodzińska (1836) © Nationalmuseum Warschau

Wie seine Eltern – der Vater Franzose, die Mutter Polin – war Chopin ein glühender Patriot. Das Klima der Unterdrückung zermürbte ihn, und in den Warschauer Salons konnte er sich mit seiner Musik nicht etablieren. So wanderte er mit nicht einmal 20 Jahren nach Wien aus. Die Sorge um sein Volk trieb ihn auch dort um und setzte sich zeit seines Lebens in seiner Musik fort. »Chopins Werke sind unter Blumen eingesenkte Kanonen«, bemerkte der Kollege Robert Schumann einmal, und wunderte sich, dass der russische Regent die düsteren Mazurken und Polonaisen nicht mit einem Spielverbot belegte.

Von Wien nach Paris

Nach nur wenigen Monaten verließ Chopin auch Wien. Ihn zog es nach Frankreich, wohin es nach dem blutig niedergeschlagenen Novemberaufstand in Polen tausende Landsleute verschlagen hatte. Unter ihnen waren auch viele Intellektuelle und Künstler, die in Chopins Musik die urpolnische Sehnsucht nach Freiheit und Souveränität widergespiegelt sahen. Bis heute gilt Chopin in Polen als Nationalheld, auch wenn die Heimat in seinen Werken nur subtil anklingt. In ihnen verarbeitete er beispielsweise polnische Volkslieder, ließ sich in Paris aber auch von Einflüssen aus ganz Westeuropa inspirieren – von der klassischen Tradition, Johann Sebastian Bach etwa, von italienischem Operngesang und von zeitgenössischen Virtuosenstücken.

Piano Man

Ob er nicht auch mal eine Oper schreiben könne, oder wenigstens eine Sinfonie, ein Streichquartett, bestürmten ihn seine Landsleute in Paris. Chopin blieb dabei: Er schrieb (fast) nur fürs Klavier. Doch auf diesem Gebiet schuf er Wegweisendes, seine Etüden und Fingerübungen veränderten das Klavierspiel, den Klavierbau und sogar das Komponieren selbst. Bei Chopin verwandele sich Technik in Poesie, schreibt Eleonore Büning (FAZ), und meint damit beispielsweise seine Etüden. Darin spinnt der Komponist aus stupiden Fingerübungen kunstvolle Motive, deren Charakter wiederum das ganze Stück durchzieht.

Solche subtilen Kunststücke vollführt Chopin in fast jedem seiner Werke. Dazu verwegene Chromatik, haarklein ausgefeilte Details und eine Erfindungsgabe, um die ihn andere Virtuosen beneideten. Anders als der Hansdampf-Pianist Franz Liszt zielte Chopin nicht auf spektakuläre Effekte. Seine Musik wirkt immer wohl bemessen, vornehm, nie obszön, obwohl sie voll waghalsiger Wendungen, Dissonanzen und Akkordverrenkungen ist.

»Hut ab, Ihr Herren, ein Genie. Chopin kann nichts schreiben, wo nicht spätestens nach dem siebten, achten Takt ausgerufen werden muss: Das ist Chopin! «

Robert Schumann, Komponist (1810–1856)

»Das Klavier ist mein zweites Ich.«

Frédéric Chopin

Geliebt und missverstanden

Doch ebendiese Kultiviertheit und Noblesse seines Stils führte zu Vorwürfen aller Art. »Chopin war nur der Virtuose der eleganten Salons«, befand der Kollege Hector Berlioz einmal. Und: »Er brachte sein Leben damit zu, vor sich hin zu sterben«. Tatsächlich hielt sich im 19. Jahrhundert hartnäckig das Bild vom Salon-Dandy und schwermütigen Träumer Chopin, der in seiner Musik den immer gleichen süßlich-resignativen Brei aufwärmte. Für zusätzliche Skepsis sorgte die ungebrochene Beliebtheit seiner Musik bei einem breiten Publikum – so einer konnte schlichtweg kein Genie sein!

Damit wird man dem Komponisten nicht gerecht: Denn Chopin war vor allem eines: radikal. Wochen- und monatelang schliff er an seinen meist kurzen Stücken. Wer sich mit ihnen beschäftigt, findet Etliches, was nicht zum Image eines sentimentalen Träumers passt. »Nicht zum Tanzen«, überschrieb er eine seiner Mazurkas, während er dem Klavier an anderer Stelle – entgegen aller Konvention – unerbittlich jede Virtuosität verweigert. Von Unterhaltungsmusik keine Spur.

Und: Chopins Etüden sind teilweise halsbrecherisch schwer. Selbst sein Freund Franz Liszt, der sonst alles vom Blatt spielte, musste Etüden wie die folgende (Video) ein paar Tage üben.

Etüden op. 10, Nr. 3

Heimkehr post mortem

Als Künstler war Chopin in Paris angekommen. Seinen Unterhalt finanzierte er mit Privatunterricht und Auftritten in den Pariser Salons der Schönen und Reichen. Als Mensch jedoch rang er zeit seines Lebens mit dem Heimweh. Verehrt als virtuoser Pianist, verabscheute er es zugleich, sich vor größerem Publikum zu zeigen. Keine 50 öffentlichen Konzerte gab Chopin in seinem Leben. Jahrelang geplagt von heftigen Hustenanfällen, starb er mit nur 39 Jahren, wahrscheinlich an Tuberkulose. Die polnische Heimat hat er nicht wiedergesehen. Sein Herz allerdings, so hatte er vor seinem Tod verfügt, wurde zurück nach Warschau gebracht.

Autorin: Laura Etspüler, Stand: 18.1.2022

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