Kian Soltani

Kian Soltani im Portrait

Der Star-Cellist wandelt zwischen Traditionen und begeistert mit seinem zartschmelzenden Klang.

Text: Simon Chlosta, Oktober 2025

 

Wenn Kian Soltani reist, was er sehr oft macht, dann stets mit ganz schön viel Tradition im Gepäck. Da wäre zum einen sein Cello, ein Instrument aus dem Hause Stradivari, das den schönen Namen »London ex Boccherini 1694« trägt und das sich tatsächlich einmal im Besitz des berühmten italienischen Komponisten Luigi Boccherini befunden haben soll. Und da wäre zum anderen das immaterielle Erbe, das ihm einerseits durch seine Eltern – eine aus dem Iran nach Österreich eingewanderte Musikerfamilie – vermittelt wurde (dazu später mehr) und andererseits über seinen Lehrer Ivan Monighetti. Dieser war wiederum einer der letzten Schüler von Mstislaw Rostropowitsch, dem berühmtesten Cellisten aller Zeiten, für den unter anderem Komponisten wie Dmitri Schostakowitsch und Sergej Prokofjew ihre Konzerte schrieben.

»Ich fühle mich da sehr verbunden, natürlich auch in einer gewissen Weise stolz«, erzählt Soltani im »Elbphilharmonie Talk« – und berichtet sogleich vom größten Fehler seines Lebens: »Ich habe Rostropowitsch leider nie persönlich kennengelernt, obwohl ich dazu die Gelegenheit gehabt hätte. Er kam während meines Studiums nach Basel und hat mit der ganzen Celloklasse von Monighetti gearbeitet. Aber ich war damals noch in einem Fernstudium und hatte also Schule an dem Tag. Es ist für mich unvorstellbar, dass ich das verpasst habe. Wenn ich irgendwie meinem jüngeren Ich von damals begegnen könnte, ich würde mir selber eine reinhauen.«

In der Saison 2025/26 ist Kian Soltani Residenz-Künstler der Elbphilharmonie. In verschiedensten Besetzungen wird er seine Begeisterung für die Musik und sein Instrument präsentieren. 

Der Weg zum Erfolg

Nun, von diesem Patzer einmal abgesehen, hat Soltani bislang einiges richtig gemacht im Leben. Ob er auch einmal so eine Legende wie Rostropowitsch werden wird, muss sich zwar noch zeigen. Doch immerhin hat er es in jungen Jahren schon zu einem der erfolgreichsten Cellisten seiner Generation gebracht. Die Startchancen dazu standen ja auch nicht schlecht. Soltanis Vater ist Fagottist, die Mutter spielt Harfe. Beide flohen 1979 aus dem Iran nach Österreich, wo Soltani 1992 in Bregenz geboren wird und früh die westliche Klassik in sich aufsaugt.

Mit vier Jahren sitzt er das erste Mal am Cello und verliebt sich in den Klang, der ihn an die menschliche Stimme erinnert. Bereits mit zwölf nimmt er in Basel das Studium bei Monighetti auf. Schnell folgen Erste Preise bei wichtigen Wettbewerben, vor allem aber werden gleich mehrere Größen des Klassik-Betriebs auf den jungen Cellisten aufmerksam: Daniel Barenboim macht ihm zum Stimmführer der Cellogruppe seines West-Eastern Divan Orchestra, Anne-Sophie Mutter nimmt ihn in ihre Stiftung auf und geht mit ihm auf Tournee, und beim Label Deutschen Grammophon unterschreibt er seinen ersten Plattenvertrag. Seither sitzt Soltani als Solist vor den großen Orchestern auf der ganzen Welt. Eine Bilderbuchkarriere, die man fast schon ein bisschen langweilig finden könnte.

Kian Soltani & Mahler Chamber Orchestra
Kian Soltani & Mahler Chamber Orchestra © Carolin Windel

Doch Soltani hält dagegen, wirkt in Interviews so locker wie bodenständig und frei von jeglichen Allüren. Ebenso charmant und unterhaltsam berichtet er auch auf Instagram aus seinem Alltag und Leben als Cellist, was immerhin 104.000 Follower verfolgen – eine für Klassik-Künstler stolze Anzahl. Dazu kommen eine gesunde Portion Pragmatismus und Abenteuerlust, die zu vielen interessanten Projekten neben dem »normalen« Cellospiel geführt haben.

Eines davon ist »Cello Unlimited«, ein Produkt des Corona-Jahres 2020. Damals erstellte Soltani Arrangements der Filmmusiken aus seinen Lieblingsfilmen »Der Herr der Ringe«, »Fluch der Karibik« und »The Da Vinci Code« für ein ganzes Celloorchester, in dem er jede einzelne Stimme (es sind bis zu 40!) selbst spielte, aufnahm und später am Computer übereinanderlegte. »Ich habe keine einzige Note geschrieben, sondern alles nach Gehör gemacht und direkt ins Mikrofon reingespielt«, berichtet er von dem ehrgeizigen Projekt, das später auch als Album erschien. »Es hat mich auch überhaupt nicht interessiert, wie viele Stimmen das werden oder welche davon jetzt Cello eins, zwei oder drei ist. Ich habe immer vier Takte genommen, und erst wenn ich mit diesen vier Takten klanglich wirklich zufrieden war, habe ich die nächsten vier Takte aufgebaut – von unten nach oben wie ein Haus. Und als das ganze Haus stand, habe ich angefangen, es auszuschmücken und wie ein Architekt Stimme für Stimme zusammengebastelt.«

Kian Soltani: »Cello Unlimited«

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Kian Soltani
Kian Soltani Kian Soltani © Marco Borggreve

Was schnell als plattes Cross-Over à la David Garrett hätte enden können, ist im Ergebnis erstaunlich überzeugend geworden und musikalisch geradezu episch. Und so entschied sich Soltani im Anschluss doch noch, Noten zu den Arrangements zu erstellen, sodass er »Cello Unlimited« inzwischen mit einem achtköpfigen Cello-Ensemble auch live auf der Bühne präsentieren kann – angereichert mit weiteren Stimmen vom Band, die er augenzwinkernd seine »Armee von Geistercellisten« nennt.

Künftig möchte Soltani noch weiter gehen und mehr selbst komponieren. »Ich habe schon für ein paar Stücke für Cello-Ensemble und sogar ein kleines Streichquartett geschrieben, und natürlich für Cello solo. Aber für größere Besetzungen bisher noch nicht. Ich müsste schauen, wie ich das angehe.« Inspirieren lassen würde er sich dabei vor allem von der Volksmusik. Und: »Ich würde natürlich mit der Cellostimme beginnen.« Dass bei so vielen Interessen und Konzerten manch anderes auf der Strecke bleibt, liegt fast auf der Hand. Aus diesem Grund gab er zu Beginn dieser Spielzeit seine Tätigkeit als Professor in Wien auf, wo er zwei Jahre lang eine Celloklasse unterrichtete. »Ich musste jetzt einfach den Stecker ziehen und sagen: Es ist besser für alle, wenn ich an der Stelle jetzt eine Pause mache.«

Gleich mehrere seiner Auftritte führen Soltani in der Saison 25/26 nach Hamburg, wo er als Artist in Residence der Elbphilharmonie zumindest ein paar seiner Facetten zeigen kann. Mit dem Mahler Chamber Orchestra spielte er im September bereits ein Cellokonzert von Haydn. Es folgen im Januar Tschaikowskys berühmte »Rokoko-Variationen« (»ein Stück, das einfach alles bietet«) mit dem WDR Sinfonieorchester und, an der Seite des Iceland Symphony Orchestra, im März das Cellokonzert des Polen Witold Lutosławski (»ein Komponist, den ich sehr, sehr liebe und schätze«), mit dem sich Soltani in modernere Klangwelten begibt. Mit dem Geiger Renaud Capuçon und dem Pianisten Mao Fujita widmet er sich im Mai außerdem in einem kammermusikalischen Abend in der Laeiszhalle Klaviertrios von Tschaikowsky und Mendelssohn.

Ein musikalischer Botschafter

Und dann sind da natürlich noch seine persischen Wurzeln, die im letzten Konzert seiner Residenz eine Rolle spielen werden. Darauf angesprochen, zeichnet Soltani ein differenziertes Bild. »Meine Familie ist noch sehr eng verbunden mit den persischen Wurzeln und der Community hier. Aber ich sehe mich natürlich komplett als Österreicher. Ich sage immer persisch, weil ich persönlich überhaupt keinen Bezug zum geografischen Land Iran habe. Ich bin weder dort geboren, noch habe ich da je gelebt. Aber die persische Kultur, das Essen, die Sprache, die Musik – das haben mir meine Eltern weitergegeben.«

Mit allzu politischen Äußerungen zum Iran und den Protesten der vergangenen Jahre hält er sich denn auch zurück: »Dass ich dazu etwas auf Instagram poste, ist nicht mutig», hat er einmal an anderer Stelle gesagt. Dennoch liest man unter einem seiner Instagram-Postings, in dem ein Ausschnitt seines selbst komponierten »Persian Fire Dance« zu hören ist, folgendes: »Ich weiß, dass nichts, was ich tue, jemals genug sein wird, aber ich werde weiterhin versuchen, einen kleinen Beitrag zu leisten, indem ich bei meinen Konzerten das Bewusstsein dafür schärfe. Wie immer gilt meine volle Unterstützung den Menschen im Iran, die für ihre Freiheiten und Menschenrechte kämpfen.«

Und so ist Soltani doch irgendwie eine Art Botschafter der Kultur und der Menschen jenes Landes geworden, das er seit 20 Jahren nicht mehr betreten hat. Doch er hofft, irgendwann noch einmal dorthin zurückkehren zu können. »Natürlich nicht unter den momentanen Umständen. Aber es wäre mein Traum, eines Tages in einem freien Iran zu spielen.«

Der Übersetzer

Bis es so weit ist, bringt Soltani die persische Musik eben in Europa auf die Bühne. Seit einigen Jahren schon tritt er zusammen mit dem Ensemble Shiraz auf, das sich auf überwiegend traditionellen Instrumenten ebendieser Musik widmet und für europäische Ohren zugänglich macht. Auch sein Vater Khosro Soltani spielt an den Flöteninstrumenten Ney und Duduk darin mit. In Hamburg präsentieren die insgesamt fünf Musiker:innen nun zum Abschluss von Soltanis Residenz Ende Mai das Programm »Persian Night«, das über weite Strecken improvisiert und auswendig gespielt wird. Seine Rolle in diesem Ensemble beschreibt Soltani so: »Ich habe den Zugang eines klassischen Musikers, der diese Musik für sich entdeckt hat. Meine Aufgabe als Cellist ist es, den Dialog zu führen. Ich sehe mich als Kommunikator zwischen Publikum und diesen persischen Meistern auf der Bühne. Und ich sehe mich als jemanden, der zum einen ein westliches Ohr hat und zum anderen ein persisches.«

Sein Ziel sei dabei, beschreibt Soltani, die persische Musik so zu übersetzen, dass sie für ein Publikum in Europa zugänglich wird. »Das ist auch das beste Kriterium, warum ich dafür qualifiziert bin – weil ich mich selbst auch ein bisschen als europäisches Publikum betrachte. Wir haben das Programm jetzt schon öfter ausprobiert, und es wird immer, immer besser und raffinierter. Ich glaube, jetzt haben wir wirklich ein Programm gefunden, das von der Länge und von der Stilistik her so ist, wie ich mir das vorgestellt habe. Es ist absolut maßgeschneidert auf ein Publikum, das in einen normalen Konzertsaal reingeht.« Und falls es doch einmal Verständnisprobleme geben sollte, dann ist da ganz sicher Soltani und hilft bei der Übersetzung.

 

Dieser Artikel erscheint im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 1/26).

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