Julia Kadel

»Wir suchen immer nach Magie!«

Über die Kunst, loszulassen: 5 Fragen an die Jazzpianistin Julia Kadel

Mit knapp 27 Jahren gelang Julia Kadel, was fast sechs Jahrzehnte lang keine deutsche Musikerin schaffte: Sie veröffentlichte 2014 ihre erste CD beim legendären Jazz-Label Blue Note.

Mit ihrem Trio spielt sie bei Live-Auftritten oft drauflos, ohne Ablaufplan. Ihre Improvisationen feiern das Unberechenbare. Und wo Risiken eingegangen werden, entsteht Reibung, aber auch Begegnung. In jedem Fall etwas durch und durch Echtes, ob auf der Bühne oder gemeinsam mit dem Publikum. »Eine Art Zuhause«, meint Julia Kadel, »wo man sein kann, wie man ist.«

Julia Kadel
Julia Kadel © Timo Jäger

»Es gibt immer einen Moment der Unsicherheit. Aber den brauchen wir, um uns frei zu fühlen.«

1

Wie würdest Du Deine eigene Musik beschreiben? Was treibt Dich darin an?

»Antreiben« ist ein gutes Wort. Ich habe diesen permanenten inneren Antrieb, etwas zu erschaffen, mich kreativ zu äußern. Meine Musik ist sehr persönlich und authentisch. Sie ist zwingend so, wie sie ist, zu 100 Prozent. Ich erzähle von meinem Leben, von allem, was mich beschäftigt, was mich beeindruckt und fasziniert. Gleichzeitig entwickeln sich meine Kompositionen immer weiter, durchlaufen verschiedene Ebenen und Abstraktionsgrade.

2

Für Dein Trio komponierst Du nicht nur, ihr improvisiert auch zusammen. Eure Musik passiere einfach, hast Du einmal gesagt. Wie schafft man das, auf der Bühne vor Publikum nichts zu wollen, nichts zu planen?

Genau das ist die große Kunst. Nichts wollen, nichts forcieren. Auf der aktuellen Platte (Anm.: »Kaskaden« erschien am 6.9.2019) haben wir ein Stück danach benannt: »Nothing to Force«. Musiker*innen, die improvisieren, üben das ein Leben lang. Es gibt immer einen Moment der Unsicherheit. Aber den brauchen wir, um uns frei zu fühlen. Nur dann schaffen wir etwas, was authentisch ist im jeweiligen Moment. So gesehen ist es für uns vielleicht sogar die sicherste Musik, die wir machen können.

Improvisieren ist so gewaltig, weil man in jedem Moment alle Möglichkeiten hat. Man sucht zu dritt gleichzeitig in einem ständigen Prozess des Moments nach Energie. Nach Magie, nach Schönheit, nach Hässlichkeit, nach Kraft. Nach etwas Wahrem. Und alle treffen Entscheidungen nach ihren intuitiven Neigungen. Und dann passiert, was eben passiert.

Julia Kadel Trio Julia Kadel Trio © Lisa Wassmann

»Nichts wollen, nichts forcieren – das ist die große Kunst. Je mehr man die Dinge geschehen lässt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Magisches passiert.«

Wir suchen immer nach Magie in der Musik. Das bedeutet erstmal: loslassen und sich selbst zuhören im Moment des Spielens. Je mehr man die Dinge geschehen lässt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Magisches passiert. Denn wenn ich den Verlauf gezielt steuern will, dann funktioniert es definitiv nicht. Ich habe akzeptieren gelernt, dass alles, was passiert, gut ist. Und dann muss man herausfinden: Was wird jetzt als nächstes gebraucht? Das hängt auch immer vom Publikum ab.

Die Aufmerksamkeit des Publikums ist etwas extrem Wertvolles: Die Menschen begegnen dir unvoreingenommen und man kann sich zeigen, wie man ist. Das ist eine sehr besondere soziale und energetische Situation – das macht süchtig.

Dokumentation über Julia Kadel

»Wir suchen immer nach Magie in der Musik. Das bedeutet erstmal: loslassen und sich selbst zuhören im Moment des Spielens.«

3

Bei aller Freiheit: Gibt es ungeschriebene Regeln, wenn ihr gemeinsam auf die Bühne tretet?

Bei Musiker*innen, die gut zusammen funktionieren, gibt es immer unausgesprochene Regeln, die alle befolgen. Vor allem musikalisches Erfahrungswissen, das uns alle zusammen schlauer macht; was funktioniert energetisch, stilistisch bei uns, und was nicht.

Ich glaube auch, dass Talent viel mit dem Befolgen intuitiver Regeln zu tun hat, die man selbst entwickelt. Man ist sich ihrer nicht immer bewusst, befolgt sie aber beim Komponieren und Spielen. Vielleicht ist das Wort »Neigungen« sogar noch treffender: In einer guten Band entwickelt man auch ein intuitives Gespür für die Neigungen der anderen in ihrem Spiel und geht sensibel darauf ein.

Spotify Playlist

Frauen im Jazz

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4

Hat sich über die Jahre etwas verändert in eurem Zusammenspiel?

Mittlerweile verstehen wir uns ohne Worte, das ging mit der Zeit immer besser. Aber noch heute verändert sich ständig etwas. Alle bringen ihre eigene Musikalität mit, Einflüsse durch andere Projekte und durch die Musik, die wir hören.

Gerade weil unsere Musik so beweglich und flexibel ist, macht sich das sofort bemerkbar: Wenn wir zwei Konzerte mit der gleichen Setlist spielen, klingen sie trotzdem völlig verschieden. Und beim Improvisieren ist natürlich sowieso immer alles anders: Wir komponieren im Moment. Wir reagieren aufs Publikum, auf den Raum, die Zeit. Mut zum Risiko ist uns wichtig, so bleibt vieles offen.

Julia Kadel Trio
Julia Kadel Trio © Lisa Wassmann

5

Bevor Du Dich für die Musik entschieden hast, hast Du drei Jahre lang Psychologie studiert. Wie kam dann der Gesinnungswechsel?

Zu dieser Lebensphase kann ich wirklich sagen: Manchmal muss man das eine machen, um zu merken, dass man das andere machen muss. Psychologie hat mich brennend interessiert, also habe ich mich nach dem Abitur intensiv dem Studium gewidmet.

Gleichzeitig belegte ich aber schon Jazzkurse im Nebenfach – und irgendwann war mir klar: Wenn Du den Traum »Musik« in diesem Leben verwirklichen willst, dann muss es jetzt sein. Sonst ist es zu spät. Dieser Gedanke hat mich so angetrieben, dass ich mich umso intensiver der Musik gewidmet habe – mit Nachdruck, mit diesem unbedingten Willen, den ich vorher nicht hatte.

Interview: Laura Etspüler, Stand: 20.08.2019

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