Józef Chełmoński: Oberek

Die Mazurka

Im Laufe der Jahrhunderte hat sich der polnische Volkstanz vom Dorfplatz in die europäischen Salons geschwungen.

Text: Hanno Grahl, September 2025

 

Bei jedem großen Sportereignis mit polnischer Beteiligung und bei jedem Staatsbesuch hochrangiger Politiker:innen aus Polen erklingt sie: die Mazurka. Ein Volkstanz also, der er es sogar in die Nationalhymne schafft. Viele denken dabei auch Frédéric Chopin, den unangefochtenen Mazurka-König, der den Tanz von den Dörfern in die europäischen Salons geführt hat.

Es gibt kaum eine Gattung, die so eng mit einem Namen in Verbindung gesetzt wird – dabei haben viele weitere Komponist:innen Mazurken geschrieben. In der Reihe »Pianomania« dreht sich alles um den polnischen Tanz abseits Chopins (ihm widmet sich Rafał Blechacz zum Abschluss-Konzert der Reihe). 

Pianomania :Saison 2025/26

Vier Konzerte, ein Thema: Im Fokus steht die Mazurka, ein Volkstanz, durch Chopin und andere virtuos geadelt und verfeinert. Hier wird es rasand und dramatisch, aber auch zart und berührend.

Wo und wie die Mazurka entstand, liegt wie so oft bei Volksmusik im Dunkeln der Geschichte. Vermutlich leitet sich der Name von der Region Masowien rund um Warschau ab. Schriftlich wird der Tanz erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt. Richtig in Schwung kam er jedoch erst 200 Jahre später, als die Mazurka von ländlichen Festen ihren Weg über die Grenzen hinaus antrat. Dabei gibt es nicht die eine Mazurka: Vielmehr ist es ein Oberbegriff für mehrere Tänze, die in Tempo und Charakter variieren – der Kujawiak als langsamster Vertreter, gefolgt von der Mazur bis hin zum schnellen Oberek. Was sie vereint ist der Dreier-Takt.

Für manche Ohren klingt die Mazurka daher vielleicht wie ein etwas holpriger Walzer. Doch genau das ist ihr Geheimnis: der Akzent wechselt zwischen der zweiten oder dritten Zählzeit, die den Tanz lebendig, unerwartet und unverwechselbar macht. Während beim Walzer ein starrer Akzent auf den Tanktanfang legt, springt er in der Mazurka fröhlich hin und her. Nicht zufällig wird dieser spezielle Rhythmus oft als der unbeirrbare und energetische Herzschlag des polnischen Volkes gedeutet.

Frédéric Chopin: Gemälde von Maria Wodzińska (1836)
Frédéric Chopin: Gemälde von Maria Wodzińska (1836) © Nationalmuseum Warschau

Dass die Mazurka zum Symbol nationaler Identität wurde, hat mit der wechselvollen Geschichte Polens zu tun. Über Jahrhunderte hinweg war das Land Besatzungen und Teilungen ausgesetzt. Viele Pol:innen gingen ins Exil, andere organisierten den Widerstand von außen. Der General Jan Henryk Dąbrowski führte polnische Legionen an der Seite Napoleons an. Zu seinen Ehren schrieb der Dichter Józef Wybicki den Text zur heutigen Hymne, die auch »Dąbrowskis Mazurka« genannt wird. Zunächst als Widerstands-Lied gegen die Besatzer, wurde das Lied mit den berühmten Worten »Noch ist Polen nicht verloren« nach dem Ersten Weltkrieg zur offiziellen Hymne des Landes ernannt.

Józef Wybicki: »Mazurek Dąbrowskiego«

Tanz auf dem Klavier

Zu Beginn der 19. Jahrhunderts fand der Tanz schließlich auch die schwarz-weißen Tasten des Klaviers: Erste Sammlungen erschienen im Druck, und Komponist:innen wie Karol Kurpiński oder Maria Szymanowska feierten große Erfolge mit Mazurka-Miniaturen. In einer Zeit, in der Volkstänze ohnehin Konjunktur hatten, eroberte die Mazurka die Salons Europa – allen voran in Paris. Dort glänzten die größten Virtuos:innen ihrer Zeit, darunter auch der junge Chopin. Er verwandelt den Bauerntanz in poetische Miniaturen, voller Sehnsucht nach seiner Heimat, die er nie wieder betreten sollte. So emanzipierten sich die Klavierstücke immer weiter vom ursprünglichen Volkstanz: Aus dem kraftvollen Tanz wurde elegante Klaviermusik. Dass Chopin in diesen kurzen Stücken seine größte Musik komponierte, erkannten schon die Zeitgenossen.

Franz Liszt schwärmte: »Was wäre von den Mazurken zu sagen, diesen kleinen so kapriziösen und doch vollendeten Hauptwerken? Ein Sonett ohne Makel wiegt ein langes Gedicht auf, hat ein Mann gesagt, der eine Autorität im schönsten Jahrhundert der französischen Literatur darstellte. Wir möchten gern den Überschwang auf die Mazurken anwenden und sagen, dass zumindest für uns viele von ihnen lange Opern aufwiegen.«  

Chopin im Salon des Fürsten Anton Radziwiłł (Berlin 1829)
Chopin im Salon des Fürsten Anton Radziwiłł (Berlin 1829) © Gemälde von Henryk Siemiradzki (1887)

In diesem Artikel kann man mehr über Frédéric Chopin, den »Meister der Mazurka«, erfahren.

Die Mazurka tanzt durch ganz Europa

Andere Komponist:innen griffen die Tanzform begeistert auf und so entstand ein ganzes Spektrum an Mazurken, durch persönliche und nationale Stile gefärbt und der Entstehungszeit geprägt. In Deutschland schrieb beispielsweise Clara Schumann bereits als Jugendliche Mazurken in ihren »Soirées musicales« und verband spielerische Eleganz mit folkloristischen Untertönen.

In Frankreich führten Camille Saint-Saëns, Gabriel Fauré und Claude Debussy federnde Klänge fort und integrierten sie in ihren eigenen Stil. Sie haben Chopin, der 1849 starb, nicht mehr kennengelernt – Saint-Saëns war da 14 Jahre alt und Fauré gerade einmal vier. Doch schwebte der Geist Chopins immer noch durch die Salons, wurde hochgehalten von Virtuosen wie Franz Liszt. Viele französische Komponist:innen nahmen zum Beginn ihrer Karriere Chopin zum Vorbild und versuchten sich auch an der Mazurka. Während Saint-Saëns noch stark den romantischen Klangwelten entsprang, emanzipierten sich dessen Schüler Fauré und der spätere Impressionisten-Anführer Debussy klanglich weiter vom polnischen Idol.

Claude Debussy: Mazurka

Auch in Russland wurde die Mazurka von der Volks- in die Kunstmusik überführt. Durch die langjährige Besatzung des Landes kam es zu einem unfreiwilligen Kulturaustausch. Piotr Tschaikowski komponierte eine Mazurka für sein Kinder-Album, Komponisten wie Alexander Skrjabin oder Sergej Rachmaninow führten die Tanzform schließlich in die russiche Musik des 20. Jahrhunderts. Zwar hat Skrjabin keine knapp 60 Mazurken komponiert wie Chopin, aber immerhin 23. Er schrieb sie innerhalb von zehn Jahren, in denen man seine künstlerische Entwicklung von Chopin ausgehend bis zu seiner verkopften lyrisch-mystischen Klangwelt hören kann.

Karol Szymanowski Karol Szymanowski © Polska Biblioteka Muzyczna

»Möge die polnische Musik national sein, aber nicht provinziell«

Karol Szymanowski

Im 20. Jahrhundert war aber vor allen anderen ein polnischer Komponist für die Modernisierung der Mazurka verantwortlich: Karol Szymanowski – nicht verwandt mit Maria Szymanowska. Dieser führte die Mazurka zurück zu ihren volkstümlichen Wurzeln – in Kombination mit einer modernen Harmonisierung führt er den alten Bauerntanz in die Moderne. Bei ihm klingt der Tanz wieder rauer, archaischer. So verband Szymanowski den Tanz wieder mit neuem polnischem Selbstbewusstsein – und führte ihn in ein neues Zeitalter.

Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag in Sanok. Volkstanz Krakowiak
Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag in Sanok. Volkstanz Krakowiak © Silar

In diesem Artikel werden fünf bedeutende Komponisten kurz vorgstellt.

Karol Szymanowski: Mazurka Op. 50 Nr. 13 & op. 64 Nr.11

Die Mazurka ist zugleich folkloristisches Erbe, nationales Symbol und künstlerisches Experimentierfeld. Ihre Geschichte reicht vom Dorfplatz über die Salon Europas bis in die Konzertsäle von heute. Und nie hat sie ihre Energie und Kraft verloren, die viele so sehr lieben und die bis heute fasziniert.

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