Avi Avital

Die Mandoline – ein Allrounder

Über das vielseitige Zupfinstrument und darüber, warum es zu Recht zum Instrument des Jahres 2023 gewählt wurde.

Sie ist das, was wahre Auskenner im Sport voller Achtung eine vielseitige Mittelfeldspielerin nennen würden: Sie schießt selten die spektakulären Tore, drängt sich kaum je als Solistin in den Vordergrund und rettet ihre Mannschaft nicht unbedingt mit brutalen Blutgrätschen vor Gegentreffern; dafür aber ist sie, nach allen Seiten agil, beinah universell einsetzbar und bildet so eine sichere, verlässliche Basis, ohne die im Sport wie in der Musik letztlich gar nichts geht.

Mit dieser nicht zu unterschätzenden Qualität hat es die Mandoline auf eine lange, bewegte Geschichte gebracht – und auf eine lebendige Vielfalt in der Gegenwart (die wahre Auskenner natürlich keineswegs überrascht). 2023 ist das Jahr der Mandoline. So hat es der Landesmusikrat Schleswig-Holstein entschieden, der seit 15 Jahren das Instrument des Jahres kürt. Alle weiteren Landesmusikräte haben sich angeschlossen und feiern das Instrument zwölf Monate lang inklusive Schirmherren, Konzerten, Workshops und allem Drum und Dran. Auch in der Elbphilharmonie wird die Mandoline in Szene gesetzt. Und wie es sich für eine vielseitige Mittelfeldspielerin gehört, bieten die einzelnen Konzerte eine erstaunlich breite Palette an Stilen, Epochen und Genres, von Barock und Bluegrass bis hin zum Zupforchester.

Mandolinen-Star Chris Thile

Ein musikalisches Must-Have

Die Mandoline gehört zur Gruppe der Lauten und damit zu einer der ältesten  Instrumentenfamilien, die wir kennen. Seit nachweislich über 5000 Jahren (und vermutlich schon viel länger) existieren Lauten, traditionell bestehend aus einem meist runden oder mandelförmigen Korpus und einem angesetzten Hals mit Bünden, der abgeknickt oder gerade gebaut sein kann. Lange Zeit wurde sie mit einem Plektron gezupft; seit etwa tausend Jahren hat sich allerdings auch eine andere Technik etabliert, in der sie mit den Fingerkuppen gespielt wird.

Seit dem frühen 17. Jahrhundert zählt auch die Mandoline zu dieser über die ganze Welt verteilten Familie der Lauteninstrumente. Entwickelt wurde die kleine Cousine in Italien, wo sie einen wahren Trend auslöste, der schnell in Richtung Paris und später auch nach Wien wanderte. Wer seinerzeit jung und reich war, spielte Mandoline. Die Komponisten schrieben eigens Werke für das modisch-musikalische Must-have, aber natürlich ließ sich auch jeder Gassenhauer und jeder Opern-Schlager ganz hervorragend auf dem handlichen und nicht allzu komplizierten Instrument interpretieren.

Mandoline aus dem 18. Jahrhundert
Mandoline aus dem 18. Jahrhundert © Wikimedia Commons

Wanderlieder und Zupfclubs

Dass die Mandoline vor allem als ein Instrument für Laien und Liebhaber gesehen wird, ist also eine schon sehr früh offenbarte Eigenschaft – die sich seit der vorletzten Jahrhundertwende bis in die Breitentauglichkeit ausweitete. Damals, in den Anfängen der Wandervogel-Bewegung in und um Berlin, entdeckte man die Mandoline als transporttaugliches Wanderlied-Begleitinstrument; wenig später, in den Zwanzigern und Dreißigern, gründeten vor allem Frauen sogenannte Zupfclubs, in denen gemeinsam Mandoline (und die verwandten Instrumente wie Mandola oder Cister) gespielt wurde. Auch nach dem Krieg blieben Mandolinenorchester für Amateure in Ost wie West sehr beliebt.

Mandoline ist nicht gleich Mandoline

Trotz dieser vielen Zupforchester, in denen Menschen miteinander klampfen, die im Zweifel gar nicht Noten lesen können müssen, gibt es bis heute weltweit nur eine einzige Hochschul-Professur für Mandoline, und zwar an der Hochschule für Musik und Theater in Köln. Caterina Lichtenberg ist diese einzige Professorin, und bei ihr dreht sich fast alles um die europäische Mandoline. Dieses Instrument, dessen rund gewölbter Rücken ohne Zargen auf die flache Decke trifft, wird nach seiner Herkunft auch Neapolitanische Mandoline genannt.

Als Gegenstück dazu – und man kann die Grenze wirklich entlang von E- und U-Musik ziehen – gibt es die Flachmandoline: Ende des 19. Jahrhunderts saß in den USA in fast jedem Saloon jemand, der oder die Mandoline spielte. Der berühmte Gitarren-Bauer Orville Gibson erkannte das (für ihn vor allem finanzielle) Potenzial und entwickelte einen Bautyp, der eine flache Decke und einen flachen Boden durch eine Zarge miteinander verbindet, ähnlich wie bei Gitarre und Violine. Dieser Typus war günstiger herzustellen, entsprach im Klang noch mehr den damaligen Gewohnheiten und drängte nach und nach die klassische Mandoline an den Rand.

Orville Gibsons Mandoline, US-Patent 1898
Orville Gibsons Mandoline, US-Patent 1898 © Wikimedia Commons

Mike Marshall, der zusammen mit Caterina Lichtenberg in der Elbphilharmonie auftritt, spielt auf genau so einer Flachmandoline. Gemeinsam zupfen sich die beiden durch die Jahrhunderte, von den canzone der ragazzi nobili im Florenz des 17. Jahrhunderts bis hin zu jener Musik, die heute wohl die meisten Menschen mit der Mandoline verbinden: dem Bluegrass. Was klingt wie die Feierabendmusik für Tabak kauende Cowboys nach Dienstschluss in der Bar, ist tatsächlich Ende der 1930er-Jahre in den Bergen rund um Tennessee und Kentucky entstanden, mit Wurzeln in der irischen Folklore ebenso wie in afroamerikanischer Tanzmusik und dem Gospel. Und die Mandoline spielt eine zentrale Rolle in jeder guten Bluegrass-Band. Sie übernimmt entweder die Melodiestimme oder ist zusammen mit dem Kontrabass für den charakteristisch treibenden Rhythmus zuständig.

Mike Marshall und Caterina Lichtenberg spielen Vivaldi

Mandolinen in Brasilien

Weit weniger bekannt ist hierzulande, dass ungefähr zur selben Zeit, da der Bluegrass entstand, 7000 Kilometer weiter südöstlich ein gewisser Jacob Pick Bittencourt das Bandolim für sich entdeckte. So heißt die Mandoline auf Portugiesisch. Eigentlich verdiente Bittencourt sein Geld als Verkäufer, Versicherungsmakler und Polizeisekretär, seine Liebe aber galt der Mandoline, für die er zahllose Kompositionen schrieb. Ihm ist es zu verdanken, dass dieses Instrument eine so wichtige Rolle in der brasilianischen Musik spielt.

Heute ist Hamilton de Holanda einer der berühmtesten Mandolinen-Spieler der Música Popular Brasileira. Zusammen mit dem südafrikanischen Pianisten Nduduzo Makhathini spürt er den afrikanischen Wurzeln im brasilianischen Choro nach, die denen im Bluegrass gar nicht unähnlich sind. Dabei verwendet er eine ungewöhnliche Bauform des Instruments: Während Mandolinen klassischerweise mit vier Saitenpaaren, sogenannten Saitenchoren, bespannt sind, ist sein Bandolim fünfchörig, was es ihm ermöglicht, Melodie und Bassstimme auf einem Instrument zu spielen. Die Stimmung ist aber auch bei de Holandas erweitertem Instrument ganz mandolinenüblich, nämlich im Quintabstand, also wie bei der Geige.

HAMILTON DE HOLANDA & NDUDUZO MAKHATHINI: Routes of Discovery

Tremolo als Markenzeichen

Der historische Grund für die Doppelchörigkeit der Mandoline liegt übrigens ganz einfach in der Steigerung der Lautstärke. Ursprünglich zupfte man die Saitenpaare mit einem Federkiel oder mit den Fingern. Beides schien nicht sonderlich tauglich gewesen zu sein, und so kam im 18. Jahrhundert der Gebrauch des Plektrons auf, kleiner Plättchen aus Schildpatt, später aus Horn und mittlerweile meist aus Kunststoff. Dennoch: Wie bei allen gezupften Instrumenten, verhallt so ein Mandolinenton schnell. Lange ausgehaltene Töne kann man auf diesem Instrument eigentlich gar nicht realisieren.

Seit dem 18. Jahrhundert ist für die Mandoline das Tremolo, also das rasch wiederholte Anschlagen der Saite auf demselben Ton, nachgewiesen. Und längst ist es so etwas wie das Markenzeichen des Instruments.

Großer Mandolinen-Virtuose

Und das führt uns zu einem der derzeit größten Virtuosen der Mandoline, zu Avi Avital. Der 1978 in Israel geborene Musiker vermochte auch das traditionelle Konzertpublikum davon zu überzeugen, die Mandoline als klassisches Instrument ernst zu nehmen. Er spielt das bestehende barocke und klassische Repertoire, arrangiert aber auch Geigensonaten um und bringt zudem viel Folklore mit in seine Programme. Der Mann birst vor Musikalität. Nur eines hat er nie so richtig gelernt: wie man ein Plektrum »richtig« hält. Sein erster Mandolinen-Lehrer in seiner Heimatstadt Be’er Sheva war nämlich ein Geiger und hatte sich als solcher eine ganz individuelle Spieltechnik angeeignet, die er dem jungen Avi vermittelte. Erst viel später, als Student in Padua, lernte Avital durch seinen ersten echten Mandolinen-Lehrer die »korrekte« Handhabung.

Heute findet sich in seinen Hosentaschen stets eine ganze Auswahl verschiedener Plektren, die er dann beim Spielen mal so, mal so einsetzt. Alles ist möglich, alles darf, auch da ist die Mandoline einfach vielseitig.

Avi Avital in der Elbphilharmonie

Text: Renske Steen; Stand: 15.12.2022

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