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Stichwort »Utopie« – die Playlist

Die Playlist rund um das Thema »Utopie« – aus dem Musiklexikon des Elbphilharmonie Magazins.

LUDWIG VAN BEETHOVEN: ODE TO JOY

»Alle Menschen werden Brüder« – wenn das keine Utopie ist! Jahrelang hatte Beethoven am Finalsatz seiner Neunten Sinfonie herumgebastelt, ohne eine plausible Schlussgeste zu finden. Dann erinnerte er sich an Friedrich Schillers Ode »An die Freude«, die er schon in jungen Jahren als Klavierlied hatte vertonen wollen, und die Sache war geritzt.

Macht nichts, dass Schiller das Gedicht mit all seinem Pathos ein bisschen peinlich war – heute darf die Sinfonie bei keinem Staatsaktfehlen, sie erklang zum Fall der Berliner Mauer und beim Hamburger G-20-Gipfel in der Elbphilharmonie (vor mutmaßlich deutlich weniger euphorischem Publikum). Tatsächlich war Beethoven ein glühender Anhänger demokratischer Ideale, wie sie während der Französischen Revolution für einen Wimpernschlag der Zeitgeschichte umsetzbar schienen. Und diesen Glauben, diesen Willen, den spürt man noch heute.

Dies ist ein Artikel aus dem Elbphilharmonie Magazin (2/2018).

Go down Moses

Für die Millionen schwarzafrikanischer Sklaven, die unter unwürdigen Bedingungen auf amerikanischen Plantagen schufteten, bot das Alte Testament reichlich Identifikationsfiguren – etwa in Person von Moses. Wenn Gott sein Volk Israel damals aus der Gefangenschaft in Ägypten gerettet hatte, bestand ja noch Hoffnung auf die eigene Freiheit: »Let my People go!«

Gleichzeitig boten die christlichen Spirituals die Möglichkeit, kulturelle Traditionen aus der verlorenen Heimat jenseits des Atlantiks zu bewahren: Call-and-Response-Gesang, starke Rhythmen und Tonskalen mit »Blue Notes«, die sich auf den Klaviaturen der weißen Herren nicht nachspielen ließen. Gruppen wie die Fisk Jubilee Singers sorgten später für die  Verbreitung durch Schallplatten – und legten so einen wichtigen Grundstein für den Blues und alle weiteren genuin amerikanischen Stile.

Spotify-Playlist

Elbphilharmonie Magazin | Utopie

Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer / ca. 1810
Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer / ca. 1810 Caspar David Friedrich: Der Mönch am Meer / ca. 1810

KARLHEINZ STOCKHAUSEN: HYMNEN

»Amerika, Land der Flüchtlinge, der Vertriebenen, der Zusammengewürfelten: Ich habe Dir diese Musik auf den Leib geschrieben. Du könntest ein Modell für die ganze Welt werden, wenn du so lebtest, wie diese Musik ankündigt.«

Karlheinz Stockhausen, 1971

Er ist der Pionier der elektronischen Musik und der vielleicht bedeutendste Komponist des 20. Jahrhunderts: Karlheinz Stockhausen. Mit seinen Werken beeinflusste er unter anderem die Beatles, Pink Floyd, Frank Zappa und Kraftwerk und machte die Technomusik überhaupt erst möglich.

Dabei musste er im Bastelkeller des WDR in Köln noch selbst in Wandschrankgröße zusammenlöten, was mittlerweile in jedem Smartphone steckt. So sehr man heute seiner elektronischen Musik ihre Entstehungszeit anhört, so zeitlos modern sind doch die Konzepte dahinter. Das gilt etwa für »Hymnen« von 1967, in dem Stockhausen rund 40 verschiedene Nationalhymnen verarbeitet und so seine Vision einer völkerverbindenden Weltmusik vorstellt.

GIOVANNI PIERLUIGI DA PALESTRINA: MISSA PAPAE MARCELLI

Mitte des 16. Jahrhunderts stand die polyphone Kirchenmusik vor dem Aus: Auf dem Konzil von Trient beschwerten sich zahlreiche Kardinäle darüber, dass der Einsatz mehrerer sich überlagernder Singstimmen sowie langatmiger Verzierungen auf einzelnen Silben die Verständlichkeit des heiligen Textes verhindere.

Das Wort Gottes, von Tonsetzern sabotiert! Zum Gegenbeweis komponierte der pensionierte päpstliche Kapellmeister Palestrina 1562 eine exemplarische Messe, die kunstvoll und textorientiert war und die Kardinäle nachhaltig überzeugte. Obwohl der historische Sachverhalt damit etwas zugespitzt ist, wird Palestrina  seither als »Retter der wahren Kirchenmusik« verehrt – und öffnet auch dem heutigen Hörer noch ein Fenster zu anderen, göttlichen Sphären.

LEONARD BERNSTEIN: WEST SIDE STORY

Ein Liebespaar, das nicht zusammenkommen kann, weil es verfeindeten Clans angehört: 1957 verlegte Leonard Bernstein Shakespeares »Romeo und Julia« in die New Yorker West Side; statt Veroneser Adelsfamilien bekriegen sich dort US-amerikanische Jets und puerto-ricanische Sharks.

Utopisch ist hier wie dort die Handlung, die zwar nicht mit einem Happy End aufwartet, aber die Möglichkeit einer alles überwindenden Liebe ausmalt und in der finalen Versöhnung die Vision einer friedlichen Zukunft präsentiert. Das gilt übrigens auch für die Verbindung der sich sonst eher fremden Genres Klassik, Jazz und Latin, die Bernstein hier so unwiderstehlich zusammenführt, wie es nur wenigen Komponisten vor oder nach ihm gelang.

»All the beautiful sounds of the world in a single word: Maria.«

West Side Story

FREDERIC RZEWSKI: THE PEOPLE UNITED WILL NEVER BE DEFEATED

»El Pueblo unido, jamás será vencido« – Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden! Mit diesem Lied auf den Lippen gingen 1973 Tausende Demonstranten in Chile auf die Straße, um gegen den Militärputsch von General Augusto Pinochet zu protestieren, der mit Unterstützung der USA den demokratisch gewählten, sozialistischen Präsidenten Salvador Allende aus dem Amt gedrängt hatte. Es avancierte fortan zum Symbol des Widerstands gegen Pinochets Terrorregime.

Zwei Jahre später schrieb der US-amerikanische Komponist Frederic Rzewski – selbst Kommunist und Außenseiter der bürgerlichen Musikszene – einen monumentalen Klavierzyklus von 36 Variationen über das Kampflied. Jeweils fünf Variationen widmen sich einem bestimmten pianistischen Aspekt, die sechste fasst sie zusammen. Erst fünf Finger, dann die Faust.

JOHN LENNON: IMAGINE

»Imagine all the people living life in peace«

John Lennon

Keine Staaten, keine Religion, kein Krieg, kein Hunger, kein Besitz, dafür Frieden und die Bruderschaft der Menschheit. Das alles malte John Lennon 1971 in seiner erfolgreichsten Solo-Single »Imagine« aus, begleitet von beruhigend plätschernden Klavierakkorden.

Eine grandiose Vision einer besseren Welt, die möglich wäre, wenn nur genügend Leute  mitmachten? Oder doch nur die grandiose Naivität eines langhaarigen Hippies mit Nickelbrille,
der während des Vietnamkriegs gemeinsam mit seiner Künstlerfrau wochenlang im Bett  Journalisten empfing, um für den Weltfrieden einzuliegen, pardon, -treten? »You may say I’m a Dreamer«, gibt Lennon im Text selbst zu. Doch wenn Utopien sich immer nur an das Planbare, Machbare, vermeintlich Realistische hielten – wären es Fehler! Hyperlink-Referenz ungültig.dann noch Utopien?

Text: Clemens Matuschek

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