James Dillon

Neu gehört: James Dillon

5 Fragen an die Komponist:innen des Neue-Musik-Festivals »Elbphilharmonie Visions«.

Geht es um Komponist:innen klassischer Musik, denken viele an alte Meister wie Beethoven oder Mozart. Dass auch die Gegenwartsmusik »so reich und vielfältig wie die Menschheit selbst« (Alan Gilbert) sein kann, beweist das Festival »Elbphilharmonie Visions«. Dort steht ausschließlich die Musik zeitgenössischer Komponist:innen auf dem Programm. Das ist nicht nur musikalisch spannend, sondern bietet auch die großartige Chance, den Schöpfern Fragen zu ihren Werken und zum Komponieren selbst zu stellen. Wie funktioniert Komponieren überhaupt? Haben sie vorher schon eine konkrete Vorstellung von dem Werk oder entsteht es erst beim Schreiben? Was für eine Rolle spielt die Umgebung? Und was wünschen sie sich für ihre Musik?

Davon berichten die Komponist:innen des Festivals in Kurzinterviews. In dieser Ausgabe mit James Dillon, der für einen zeitgenössischen Komponisten einen eher ungewöhnlichen Weg ging: Ursprünglich aus dem Rock, Blues und Folk kommend, studierte der vielseitig interessierte Schotte Kunst und Design, Linguistik, Akustik und Mathematik sowie indische Rhythmik und Computermusik. Als Komponist hingegen ist Dillon schon immer Autodidakt – und geht umso unbefangener seiner Wege ...

Wie klingt James Dillon?

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James Dillon
James Dillon James Dillon © Dylan Collar

Wie ausgeprägt ist Ihre innerliche Vorstellung von einem Werk, ehe Sie sich daran machen, es zu komponieren?

Mit einem neuen Werk anzufangen, bedeutet für mich, ein Labyrinth zu betreten. Es kann zum Beispiel einfach mit einer Empfindung beginnen, die nach Form verlangt. Form bedeutet für mich nicht nur das Arrangieren von Material, sondern bedeutet ein Abenteuer, ein Streben voller Risiko, eine Suche nach dem ontologischen Atem des Materials. Die Wirkungen einer musikalischen Sprache entziehen sich einer begrifflichen Bestimmung und lassen sich nicht auf ein Konzept reduzieren. Gelegentlich mag es einen Anflug von »Klarheit« geben, aber oft erzwingt das Betreten des Labyrinths ein Loslassen aller Konzepte.

Welche Rolle spielt das Außermusikalische für Ihr Schaffen?

Da wir der Sprache nicht wirklich entkommen können, können wir auch dem Außermusikalischen nicht entkommen. Musikalische Prozesse mit oder ohne Richtung, explizit oder versteckt, mit oder ohne Zweck, zielgerichtet oder mäandernd, verbinden sich plötzlich wie vom Wind verwehter Sand, der eine gemusterte Spur hinterlässt. Wie die Erinnerung an eine Begegnung mit einer Naturgewalt. Die Struktur der Form sowie die dahinterliegenden Prozesse werden zur Selbstreflexion.

Beim Festival »Elbphilharmonie Visions« wird zeitgenössische Orchestermusik so kompakt und prominent aufs Programm gesetzt wie wohl in keinem anderen Konzerthaus auf der Welt – an neun Abenden erklingen 18 Werke von 18 Komponist:innen. Finden Sie das sinnvoll, oder halten Sie das für die falsche Strategie?

Ich bewundere das Engagement und die Absicht, aber was ist die Bedeutung? Neue Werke unter das Motto »Visionen« zu stellen, suggeriert, dass alle neuen Werke den Status des Visionären haben, was offensichtlich nicht stimmt. Ich würde eine Konzertsaison bevorzugen, die das Visionäre hervorruft durch eine tiefe und kluge Verbindung von Altem und Neuem, in dem die Werke anhand ihrer Beziehung beispielsweise zur Zeit, zur Geschichte oder zum Tod miteinander verbunden werden.

Was braucht die Neue Musik, um die Liebe des Publikums zu gewinnen? 

Leider gibt es darauf keine einfachen Antworten. Zumindest nicht, ohne sich mit den Inhalten und Zielen unserer Bildungssysteme auseinanderzusetzen, die von Utilitarismus und Oberflächlichkeit dominiert werden.

Was wäre Ihr Traum vom Konzertleben – heute und in der nahen Zukunft?

Sobald das Konzertleben zu einer weiteren Ware wird, dann wird es irrelevant und verliert an Intensität. Um Guy Debord zu zitieren, ist der heutige Zustand der historische Moment, »in dem die Ware die Kolonialisierung des kulturellen Lebens vollendet«. Die Herausforderung für kulturelle Einrichtungen besteht darin, diesen Zustand aktiv als solchen zu begreifen. Ein Verständnis, das zunächst die Sinnlosigkeit der Jagd nach Wegwerfbarem erkennt und sowohl Stabilität als auch Bruch als Teil des Wandels begreift. Westliche Kultureinrichtungen müssen den Druck, der ständigen Versessenheit auf Neues, die sich oft einfach in Form des neuesten Gimmicks manifestiert, für sich umwandeln und eine tiefere Beziehung zu ihrer eigenen Tradition eingehen.

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Die Musik von James Dillon bei »Elbphilharmonie Visions«

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