Mit der wohl bekanntesten Sinfonie überhaupt eröffnen das Philharmonische Staatsorchester Hamburg und sein Chefdirigent Kent Nagano das digitale Musikfest: »So klopft das Schicksal an die Pforte« – das soll Beethoven über das berühmte »Klopf-Motiv« in seiner Fünften Sinfonie gesagt haben. Dem monumentalen Orchesterhit des frühen 19. Jahrhunderts stellt das Hamburger Orchester eine Uraufführung des schweizerischen Komponisten William Blank voran. Für sein Tripelkonzert »Alisma« kehren mit dem Wiener Klarinettisten Daniel Ottensamer sowie dem kongenialen Duo des Cellisten Jan Vogler und der Geigerin Mira Wang gleich drei hervorragende Solisten in die Elbphilharmonie zurück.
Der Stream von William Blanks Tripelkonzert »Alisma« steht ab dem 6. Juni als separates Video zur Verfügung.
Hinweis: Alle Konzerte des Internationalen Musikfests 2021 stehen als kostenlose Streams zur Verfügung und sind nach der Erstausstrahlung für den gesamten Festivalzeitraum abrufbar.
»Beethovens Musik bedeutet für mich Mut und Optimismus, Vitalität und Energie, Fülle und Bewegung.«
Kent Nagano
Besetzung
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Jan Vogler Violoncello
Mira Wang Violine
Daniel Ottensamer Klarinette
Dirigent Kent Nagano
Programm
William Blank
Alisma / Tripelkonzert für Violine, Violoncello, Klarinette und Orchester (Uraufführung)
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
Gesamtdauer: ca. 60 Minuten
William Blank: »Alisma« / Tripelkonzert
Die Künstler
PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTER HAMBURG

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Über das Orchester
Das Philharmonische Staatsorchester ist der dienstälteste Klangkörper der Stadt und ist dem Hamburger Publikum nicht nur durch sein umfassendes Konzertprogramm in der Elbphilharmonie, sondern auch aus jährlich rund 200 Opern- und Ballettvorstellungen in der Staatsoper Hamburg bekannt. Seit über 190 Jahren prägt das Orchester den Klang der Hansestadt. Gegründet als »Philharmonische Gesellschaft« wurde es im 19. Jahrhundert zum Treffpunkt bedeutender Musiker wie Johannes Brahms, Franz Liszt und Clara Schumann. Am Pult standen Künstlerpersönlichkeiten wie Piotr I. Tschaikowsky, Richard Strauss, Gustav Mahler und Igor Strawinsky.
Nachdem das Orchester 1908 mit einem Festkonzert die berühmte Hamburger Laeiszhalle eröffnete, wurde es im 20. Jahrhundert unter anderem von Wolfgang Sawallisch, Gerd Albrecht und Ingo Metzmacher geprägt. Im Sommer 2015 übernahm der erfolgreiche amerikanische Dirigent Kent Nagano das Amt des Chefdirigenten des Philharmonischen Staatsorchesters und gleichzeitig des Hamburgischen Generalmusikdirektors. Neben der Fortführung der traditionellen Philharmonischen Konzerte initiierte er mit der »Philharmonischen Akademie« eine neue und experimentierfreudige Konzertreihe, die vom ebenfalls neuen Format »Musik und Wissenschaft« ergänzt wird – eine Kooperation mit der Max-Planck-Gesellschaft.
Neben ihren Diensten in der Oper und der Elbphilharmonie widmen sich die Musikerinnen und Musiker des Orchesters auch der Musikvermittlung und begeistern ihr junges Publikum mit Kindergarten- und Schulbesuchen, Kindereinführungen und Familienkonzerten.
Kent Nagano – Dirigent

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Über Kent Nagano
Als »unaufdringlichen Star unter den Dirigenten« betitelte ihn »Die Zeit«: Kent Nagano gehört zu den herausragenden Persönlichkeiten der internationalen Musikszene. Der gebürtige Kalifornier mit japanischen Wurzeln hat sich insbesondere als Experte für die großen Orchesterwerke des 20. Jahrhunderts einen Namen gemacht. Seit 2015 ist er Hamburgischer Generalmusikdirektor und Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters – zwei Ämter, in denen er einmal mehr unter Beweis stellt, dass er nicht nur auf die großen Konzertbühnen gehört, sondern auch ein hervorragender Operndirigent ist. Mit seinem visionären Verständnis von Klang hat der mehrfache Grammy-Gewinner die ohnehin schon große stilistische Breite des Hamburger Orchesters nochmals erweitert.
Als Ehrendirigent ist Kent Nagano gleich mehreren renommierten Orchestern verbunden, darunter das Concerto Köln, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und seit Frühling 2021 auch das Orchestre symphonique de Montréal, dessen Leitung er über 14 Jahre lang innehatte. Während dieser Jahre war er zudem Chefdirigent beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin sowie anschließend von 2006 bis 2013 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Höhepunkte der vergangenen Saisons in Hamburg waren Aufführungen von Alban Bergs »Lulu« und George Benjamins »Lessons in Love and Violence« sowie einige viel beachtete Uraufführungen wie Toshio Hosokawas Oper »Stilles Meer« und Jörg Widmanns Oratorium »Arche« anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der Elbphilharmonie im Januar 2017.
Jan Vogler – Violoncello

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Über Jan Vogler
Die New York Times bewundert das »lyrische Gespür« seines Cellospiels, das Gramophone Magazin lobt seine »schwindelerregende Virtuosität«, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung attestiert ihm die Gabe, »sein Cello wie eine Singstimme sprechen lassen zu können«. Der deutsche Cellist Jan Vogler gehört zu den ganz Großen seines Fachs. Als Solist arbeitet er zusammen mit namhaften Orchestern wie dem New York Philharmonic, dem Gewandhausorchester Leipzig und dem London Philharmonic Orchestra. Mit seinem außergewöhnlichen technischen Vermögen konnte er die Grenzen des Cello-Klangs neu ausloten und macht damit immer wieder auch zeitgenössische Komponisten auf sich aufmerksam. Gleich mehrere Neudenker der Gegenwart komponierten Werke für ihn, darunter Jörg Widmann und Wolfgang Rihm, der ihm und seiner Frau, Mira Wang, ein Doppelkonzert widmete.
Neben der klassischen Konzerttätigkeit entwickelte Jan Vogler mit dem Schauspieler Bill Murray das erfolgreiche musikalisch-literarische Projekt »Bill Murray, Jan Vogler & Friends – New Worlds«, das 2017 auch in der Elbphilharmonie für viel Beifall sorgte. Außerdem leitet er seit 2008 die renommierten Dresdner Musikfestspiele und ist bereits seit 20 Jahren der künstlerische Leiter vom berühmten Moritzburg Festival. Nicht umsonst wurde dieser Vollblutmusiker also mit Preisen überhäuft, darunter der Europäische Musikpreis und der Erich-Kästner-Preis für Toleranz, Humanität und Völkerverständigung.
Jan Vogler spielt das Stradivari-Cello »Castelbarco/Fau« von 1707.
Mira Wang – Violine

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Über Mira Wang
Die in China geborene Geigerin Mira Wang spielte sich nach ihrem Studium beim legendären Geiger Roman Totenberg als Gewinnerin von zahlreichen Wettbewerb auf die großen Bühnen der Welt. Zu ihren frühen Erfolgen gehören erste Preise bei den bedeutenden Violin-Wettbewerben in Genf und Neuseeland. Als Solistin wurde sie seither von führenden Orchestern eingeladen wie der Staatskapelle Dresden, dem Singapore Symphony Orchestra und dem Hong Kong Philharmonic Orchestra. Als gefragte Kammermusikpartnerin arbietet sie mit namhaften Künstlern zusammen, darunter auch mit ihrem Mann, dem Cellisten Jan Vogler. Mit gemeinsamen CD-Einspielungen erntet das erfolgreiche Musikerpaar Lobeshymen der internationalen Kritik – »geschmeidig, elegant, brilliant« titelt das Magazin »The Strad« über die Aufnahme von Brahms’ Doppelkonzert. Zu den Höhepunkten von Wangs Konzerttätigkeit zählen die Uraufführung des Violinkonzertes »Spring in Dresden« von Chen Yi gemeinsam mit der Staatskapelle Dresden unter Iván Fischer sowie ihre Auftritte als Gastsolistin beim American Symphony Orchestra, unter anderem mit »Chain 2« von Witold Lutosławski. Zu ihren wichtigsten CD-Aufnahmen gehören Einspielungen der Violinkonzerte von Camille Saint-Saëns mit der Radio Philharmonie des NDR und von Sergej Prokofjew mit der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken.
Neben ihrer eigenen Konzerttätigkeit widmet sich die in New York lebende Geigerin auch der Musikvermittlung und leitet seit 2014 die Moritzburg Festival Akademie für junge Musiker.
Mira Wang spielt auf der Violine »Ex-Joachim« von Antonio Stradivari aus dem Jahre 1708.
Daniel Ottensamer – Klarinette

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Über Daniel Ottensamer
Als Solo-Klarinettist eines der renommiertesten Orchester überhaupt, ist Daniel Ottensamer auf den großen Bühnen der Welt zu Hause. Im Alter von 20 Jahren wurde der österreichische Youngster bei den Wiener Philharmonikern aufgenommen und nur drei Jahre später zum Solo-Klarinettisten befördert. Und damit nicht genug: Bald stellte ihn das gefeierte Orchester sogar als Solisten in die Bühnenmitte, wo er zum Beispiel mit Carl Nielsens Klarinettenkonzert brillierte – »mit größter Virtuosität, prägnanter Gestaltung und wundervollem Ton«, jubelte die Kritik.
Inzwischen gehört der junge Ausnahmemusiker international zu den gefragten Künstlern seines Fachs. Als leidenschaftlicher Kammermusiker findet er sich mit Partnern wie Daniel Barenboim, Julian Rachlin und Thomas Hampson zusammen.
Darüber hinaus spielt sich der mehrfach ausgezeichnete Klarinettist auch als Gründungsmitglied der »Philharmonix« in die Herzen seines Publikums. Dieses innovative und unterhaltsame Allstar-Ensemble der Berliner und Wiener Philharmoniker konnte sich ebenfalls bereits über mehrere Preise wie den Opus Klassik freuen. Nach eigenen Angaben spielen die sieben Weltklassemusiker alles, worauf sie schon immer mal Lust hatten – von Klassik über Jazz und Klezmer bis hin zu Pop und Swing.
Zur Musik
William Blank: »Alisma« / Tripelkonzert
Wenn es um Tripelkonzerte geht, führt an Beethoven kein Weg vorbei – war er doch der Erste, der dieses Format auf die Bühne brachte. Klaviertrios (Werke für Geige, Cello und Klavier) gab es zwar vorher schon, ebenso Solokonzerte, in denen ein oder zwei Solisten vom Orchester begleitet werden – aber ein konzertierendes Trio mit Begleitung war neu. Kein Wunder also, dass sich Beethovens Publikum 1804 teilweise noch überfordert fühlte von der Komplexität und Dichte des Tripelkonzertes: »Zu viele Passagen, in denen alle drei gleichzeitig spielen und die mit der Zeit für den Zuhörer und für den Spieler ermüdend sind«, bemängelte ein Konzertkritiker 1808.
Nach diesem schwierigen Start ist Beethovens Tripelkonzert heute von den Konzertprogrammen nicht mehr wegzudenken. Zu Recht, meint auch der schweizerische Komponist William Blank: »Die Musik ist faszinierend und Beethovens musikalische Sprache ist einzigartig«, schwärmt er und erklärt, dass es ihm nicht leicht fiel, sich mit dem Auftrag zu einem Tripelkonzert an dieses Erbe heranzuwagen.

Mit seinem Werk »Alisma« knüpft er zwar an die Grundidee eines vom Orchester begleiteten Trios an, ersetzt allerdings das Klavier durch eine Klarinette als drittes Instrument neben Geige und Cello. Ein Blick in die Partitur lässt erahnen, wie außergewöhnlich und virtuos er dabei den Klang der drei Solo-Instrumente einsetzt. Nicht nur die Solisten, sondern auch die Musiker im Orchester müssen schnell zwischen verschiedenen modernen Spieltechniken wechseln, sodass ein lebendiger und neuartiger Klang entsteht. »Manchmal ergibt sich auch für mich dabei etwas ganz Unvorhergesehenes«, freut sich der Komponist. Vom klassischen Konzert, in dem sich Solo und Begleitung gegenüberstehen, grenzt Blank sich ab, indem er das Orchester klanglich mit dem Trio verschmelzen lässt.
Wer nach der Bedeutung des Titels fragt, bekommt eine überraschend konkrete Antwort, die ein bisschen Flora-Kunde verlangt: Die »Alisma« ist eine Wasserpflanze, deren Blüte immer aus drei Blütenblättern besteht, analog zu den drei Solisten. Außerdem bringt jede Blüte stets sechs Stamen (Staubblätter im Inneren der Blüte) hervor; Blank legte seine Komposition entsprechend in einer dreiteiligen Form mit je sechs Abschnitten an. Neben diesem Zahlenspiel sieht der Komponist in der Blume mit dem langen Stängel aber auch ein schönes Sinnbild für das Konzert – »mit solistischen Stimmen, die scheinbar über dem Orchester schweben, das umgekehrt ihr Nährboden ist.«
Text: Julika von Werder
Von Beethoven und Blütenblättern
William Blank über sein neues Tripelkonzert »Alisma«
Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67
»So pocht das Schicksal an die Pforte!« Beethovens Sekretär und Biograf Anton Schindler hat diesen Satz überliefert. Und obwohl niemand weiß, bei welcher Gelegenheit er ihn aufgeschnappt hat oder ob er ihn am Ende gar selbst erfunden hat, prägt er seither das Bild Beethovens und seiner Fünften Sinfonie, der »Schicksalssinfonie«. Er passt ja auch so schön ins Bild des grimmigen Künstlergenies, das mit seiner aufkommenden Taubheit hadert und »dem Schicksal in den Rachen greifen« will. Dabei lohnt es sich, die Patina und das Pathos abzukratzen und zu schauen, was es mit der Musik und dem berühmten »Klopfmotiv« wirklich auf sich hat.

Worin besteht eigentlich Beethovens Genialität? Das Motiv aus drei Achteln und einer Halben ist an sich ja nichts Besonderes; Haydn benutzt es schon 1765 in seiner 28. Sinfonie. Nun, die Genialität besteht darin, einen ganzen Satz ausschließlich aus diesem Motiv heraus zu entwickeln. In fast jedem der 500 Takte ist es zu hören. Beethoven komponiert, wie Kinder mit Legosteinen bauen: Die erste »Melodie« beispielsweise entsteht zunächst nur durch das Aneinanderreihen des Motivs auf verschiedenen Tonhöhen. Selbst die Begleitung des schlichten Gegenthemas gestaltet Beethoven mit dem Ausgangsmotiv. Die Wucht des vorandrängenden Satzes stockt nur ein einziges Mal: Kurz vor Schluss nimmt sich die Oboe Zeit für eine kleine Kadenz. Im rechteckigen Lego-Bau ist dies die einzige »runde« Stelle. Sie nimmt die Atmosphäre des zweiten Satzes vorweg, der mit seiner innigen Melodie einem beschaulichen Spaziergang gleicht.
Der dritte Satz tritt zunächst auf der Stelle. Die Streicher wirken unruhig, suchend, fragend. Die »Antwort« ertönt in Form einer zackigen Fanfare, deren Rhythmus wieder auf das »Klopfmotiv« verweist. Den Mittelteil bildet eine Fuge – wobei sich Beethoven den Scherz erlaubt, das ruppige Thema der tiefen Streicher mehrfach unvermittelt abbrechen zu lassen, als ob die Musiker sich verspielen würden.
Mindestens so genial wie der Kopfsatz ist dann der Übergang ins Finale. Die Musik zieht sich bis ins Pianissimo zurück, scharrt mit den Hufen und scheint nur auf den passenden Moment zu lauern, um ins strahlende Fortissimo auszubrechen. Zudem kippt die Musik vom finsteren Moll in helles Dur – eine Pointe, die als »per aspera ad astra« (sinngemäß: durch die Finsternis zum Licht) zu einem der wichtigsten ästhetischen Konzepte des Abendlandes geworden ist. Nicht zufällig hat die schmissige Musik ihre Vorbilder in den Freiheitsliedern der Französischen Revolution, die den glühenden Republikaner Beethoven begeisterte. Auf diesen Zusammenhang verweisen auch einige typische Militärinstrumente, die bis dato noch nie im Konzertsaal zu hören waren und die Beethoven als Spezialeffekt verwendet. Stolz schreibt er: »Der letzte Satz ist mit Piccoloflöte und drei Posaunen besetzt– zwar nicht drei Pauken, wird aber mehr Lärm machen als sechs Pauken, und zwar besseren Lärm.«
Text: Clemens Matuschek
Gefördert durch die Kühne-Stiftung, die Behörde für Kultur und Medien Hamburg, die Stiftung Elbphilharmonie und den Förderkreis Internationales Musikfest Hamburg
Stand: 26.04.2021