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Geschichten erzählen

Programmhefte, Einführungen oder Mediatheksartikel: Die Redaktion der Elbphilharmonie produziert Information über Musik in jedem nur denkbaren Format.

Text: Hanno Grahl, 4. September 2024


Johannes Brahms, der alte Gourmand, soll einmal gesagt haben, über Musik zu schreiben, sei wie ein Abendessen zu erzählen. Ob’s stimmt? Jedenfalls ist es das täglich Brot für die Redakteur:innen der Elbphilharmonie, und die empfinden es ganz und gar nicht als irgendwie unbefriedigend, Tag für Tag Text um Text für die verschiedenen Medien des Hauses zu verfassen. Zumal die Vielfalt der Veranstaltungen, über die sie schreiben, Herausforderung und schöne Abwechslung zugleich darstellt: Heute ein Abendprogramm über eine Mahler-Sinfonie, morgen eine Einführung in hindustanische Ragas, dann ein Heft zu Haydn-Streichquartetten und eines über einen Jazz-Newcomer. Dazwischen vielleicht noch eine Ankündigung für ein Familienkonzert, ein Interview mit dem Komponisten einer Uraufführung – und immer wieder auch Beiträge für die Mediathek oder fürs Elbphilharmonie Magazin.

Team Elbphilharmonie

Auch die Videoreihe »Team Elbphilharmonie« stellt die verschiedenen Abteilungen des Konzerthauses vor – und die Menschen, die dort arbeiten.

Musik näher bringen :Simon Chlosta legt viel Wert auf die Verständlichkeit der Texte

Dabei hat alles ganz überschaubar angefangen: Vor der Eröffnung der Elbphilharmonie 2017, als noch alle Konzerte des hausinternen Veranstalters HamburgMusik in der Laeiszhalle stattgefunden haben, bestand die Redaktion nur aus einer einzigen Person, dem heutigen Teamleiter Clemens Matuschek. 2014 kam Simon Chlosta dazu: Als Volontär hat er angefangen, kurz bevor es im neuen Haus losging, wurde er übernommen, mittlerweile ist er der stellvertretende Redaktionsleiter. Sein Kerngeschäft sind die weißen Programmhefte geblieben, die bei den Konzerten an jedem Saaleingang kostenlos verteilt werden. Waren es vor der Eröffnung der Elbphilharmonie zwischen fünfzig und sechzig Hefte pro Saison, sind es mittlerweile rund zweihundert.

Dementsprechend ist das Redaktionsteam über die Jahre auf sieben Mitglieder angewachsen. Wichtig ist für Chlosta vor allem eines: »Wir legen viel Wert auf die Verständlichkeit der Texte. Sie sollen absoluten Einsteigern, die zum ersten Mal in so einem Konzert sind, die Musik näherbringen, aber auch unser erfahrenes Publikum ansprechen. Es geht also darum, eine gute Balance zu halten und interessante Geschichten zu erzählen. Wir möchten den Leuten etwas mitgeben, das sie einerseits unterhält und andererseits die Hintergründe des Konzerts erklärt. Denn es gibt genügend Stücke und Programme, die relativ anspruchsvoll sind, wo viel dahintersteckt, und das wollen wir den Besuchern, so gut es geht, vermitteln.«

Simon Chlosta
Simon Chlosta © Gesche Jäger

Der Umfang der Hefte reicht vom vierseitigen Programm für Kinderkonzerte über die typischerweise sechzehn bis zwanzig Seiten für den klassischen Sinfonieabend bis hin zum ausgewachsenen Festivalkatalog. Den Rekord brach jüngst die Begleitpublikation zu André Hellers Reflektor-Festival, die mit ihren 92 Seiten fast schon Buchformat hatte. Solche großen Hefte haben dann auch schnell eine Auflage von 7.000 bis 11.000 Exemplaren.

Seit der Eröffnung 2017 wurden mehr als 1,5 Millionen Programmhefte gedruckt. Für manche Besucher sind sie richtige Sammlerstücke. Ein Gast konnte beim letzten Reflektor-Festival nicht nach Hamburg reisen; weil er aber bisher bei jedem vorherigen dabei war, bat er die Redaktion um ein Exemplar für seine Sammlung. »Solche Anfragen bekommen wir relativ häufig«, sagt Simon Chlosta, »gerade auch von Abonnenten und Touristen, die ihr Heft vielleicht verloren haben, es aber gern als Andenken mit nach Hause nehmen möchten. Das freut mich natürlich.« Ab und zu erreichen die Redaktion aber auch skurril anmutende Leserbriefe. »Einmal hat sich jemand beschwert, dass unsere Programmhefte schlecht riechen würden. Tatsächlich lag das an der roten Farbe, die sehr geruchsintensiv ist. Die haben wir seither nicht mehr benutzt «, erzählt Chlosta.

Andere Hinweise führten sogar zu einer Änderung im Layout: »Es gab aus dem Publikum Rückmeldungen, dass die Gesangstexte schlecht lesbar wären. Die waren früher grau hinterlegt – das haben wir dann geändert.« Mit den meisten Komponisten, über die Chlosta im Alltag schreibt, kann er naturgemäß nicht mehr selbst über ihre Musik sprechen. Gerade deswegen zählen persönliche Begegnungen mit noch lebenden Künstlern oft zu den schönsten Erlebnissen. So durfte er seine Lieblingskomponistin Sofia Gubaidulina für ein Interview in ihrem Haus vor den Toren Hamburgs besuchen. Und von Arvo Pärt bekam er für ein Porträt, das er über den großen estnischen Komponisten geschrieben hatte, durch dessen Verleger ein Kompliment vermittelt. »Da habe ich mich sehr geehrt gefühlt.«

Kostenlose Programmhefte

© Thomas Leidig

Schon gewusst? Bei Veranstaltungen der HamburgMusik sind die Programme übrigens immer kostenlos, und stehen außerdem bereits ein paar Tage vor dem Konzerttermin als Download auf der Veranstaltungsseite zur Verfügung.

Zwischen Print und Audio :Ivana Rajič schreibt zum Lesen und zum Hören

In der Redaktion, die Teil der Marketing-Abteilung ist, werden nicht nur Abendprogrammhefte erstellt. Auch Monatsvorschauen, Newsletter, Flyer, Ankündigungstexte für die Webseite oder das Jahrbuch werden hier geschrieben oder bei externen Autoren in Auftrag gegeben. Und die digitale Sparte wird immer umfangreicher. Ivana Rajič ist seit März 2023 Teil der Redaktion und brachte ihre Erfahrung vom Pierre-Boulez-Saal in Berlin mit, wo sie zuvor gearbeitet hat. »Vor allem die Elbphilharmonie, ihre besondere Architektur und das tolle Programm, aber auch die Stadt selbst«, hätten sie nach Hamburg geführt: »Ich habe sieben Jahre in Berlin gewohnt und hatte einfach mal Lust auf einen Tapetenwechsel.« Neben den Texten für die Printprodukte produziert Rajič auch das neue Audioformat »Auftakt« und gibt gelegentlich unmittelbar vor den Konzerten Einführungen fürs Publikum.

Auftakt: Schönbergs »Gurre-Lieder« :11. & 13. September

Grundsätzlich geht sie an all ihre Formate ähnlich heran: »Ich höre mir erst einmal die Musik an und notiere mir Dinge, die ich selbst interessant finde. Die verschiedenen Medien bieten einem dann aber ganz unterschiedliche Möglichkeiten.« Der Vorteil der Audioformate etwa sei es, dass man die besprochenen Beispiele direkt einspielen kann. »Außerdem kann man mit Klängen, Effekten und sprecherischen Mitteln arbeiten, um eine Stimmung hervorzurufen. Die Schwierigkeit bei den Audio-Einführungen wiederum ist, dass man sich sehr knapp halten, den Inhalt wirklich auf den Punkt bringen muss.«

»Ich führe sehr gerne Interviews und Gespräche, weil man immer etwas Neues dazulernt und eine neue Perspektive gewinnt.«

Ivana Rajič
Ivana Rajič © Gesche Jäger

Auch im »Elbphilharmonie Magazin« ist Ivana Rajič regelmäßig präsent: In der Rubrik »Umgehört« stellt sie jeweils sieben ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern eine Frage zu einem bestimmten Thema. Da kommen die unterschiedlichsten Antworten und Ansichten zurück – und genau das reizt sie daran. »Ich führe sehr gerne Interviews und Gespräche, weil man immer etwas Neues dazulernt und eine neue Perspektive gewinnt, was ich sehr bereichernd finde.«

Ein ganz besonderes Interview kam im Vorfeld einer Uraufführung von Jörg Widmann zustande, für das sie mit dem Komponisten telefonierte. »Das Gespräch war auf jeden Fall ein Highlight im letzten Jahr. Als wir uns unterhielten, arbeitete er noch an der Komposition seiner ›Schumannliebe‹, deswegen hatte er auch wirklich nur eine Stunde Zeit für mich.« Und daraus entstanden das Programmheft, ein Interview für die Mediathek sowie eine Audio-Einführung. Rajič versucht, möglichst ökonomisch mit solchen Geschichten umzugehen, und denkt immer gleich mit, welche Kanäle noch von einer Recherche profitieren könnten.

Mediathek und mehr :Julika von Werder entwickelt inhaltliche Strategien

Diese Frage beschäftigt vor allem Julika von Werder. Sie ist für das zuständig, was man heutzutage Storytelling und Content Management nennt. Das bedeutet konkret: Sie überlegt, welche inhaltlichen Schwerpunkte in der Kommunikation gesetzt und welche Projekte medial begleitet werden sollten. Für manche Konzerte ist vielleicht ein erklärendes Video hilfreich, bei anderen bietet sich ein Livestream an. Ausgerechnet während der Corona-Pandemie begann sie ihr Volontariat in der Redaktion: »Das war genau zum Lockdown im November 2021, als gerade alles wieder dicht war. Ich war komplett im Homeoffice und habe viele Kolleginnen und Kollegen nur per Zoom kennengelernt. Und meine ersten beiden Programmhefte habe ich für die Tonne geschrieben.« Durch die Pandemie wurden Livestreams von Konzerten und digitale Inhalte, die das Kulturleben aufrechterhalten sollten, immer wichtiger. Nach und nach übernahm Julika von Werder mehr Aufgaben im digitalen Bereich; mittlerweile leitet sie redaktionell die Mediathek.
 

»Ich liebe die Vielfalt des Hauses und bin begeistert von dem, was hier passiert, und brenne dafür, dass möglichst viele Leute das mitbekommen.«


Als Frau an der Schnittstelle zwischen Print-, Video- und Online-Redaktion, Marketing und Künstlerischer Planung geht es für von Werder immer darum, die Kräfte der Abteilung zu bündeln, Synergien zu schaffen. »Welche Kanäle profitieren von den verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten des Programms? Wenn ich ein Interview für ein Videoformat führe, überlege ich, wie wir das vielleicht in der Redaktion zurückspielen können.« Es geht also immer auch um die medienübergreifende Kommunikation.

Julika von Werder
Julika von Werder © Gesche Jäger

»Ich liebe die Vielfalt des Hauses und finde es unglaublich bereichernd, so tollen Menschen zu begegnen. Ich bin begeistert von dem, was hier passiert, und brenne dafür, dass möglichst viele Leute das mitbekommen.« In Interview- und Einführungsformaten, Konzertmitschnitten, Artikeln und Podcasts wird das kulturelle und musikalische Spektrum der Elbphilharmonie präsentiert.

Ein Beispiel sind die »Elbphilharmonie Sessions«, bei denen Julika von Werder auch die Produktionsleitung übernimmt. In diesem Format spielte schon die Techno-Marching-Band Meute auf dem Dach der Elbphilharmonie, der französische Pianist Alexandre Kantorow im Flügellager, und die multimediale Künstlerin Rosaceae erschuf im Kleinen Saal ihre elektronischen Klangwelten. Der Prozess von der Künstleranfrage über die Buchung der Location, des Filmteams und des Caterings bis hin zur Inszenierung vor Ort liegt dabei mit in den Händen von Julika von Werder.

Aber auch die analoge Welt hat von Werder nicht ganz verlassen, sie schreibt Artikel für das Magazin, Texte für die Monatsprogramme oder Flyer: »Ich habe Lust auf die Vielfalt der Formate. Es macht auch immer wieder Spaß, bei einem Printprodukt dabei zu sein.«

 

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 3/24).

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