Die Reihe: Innerviews
Nach innen – in den »Elbphilharmonie Innerviews« sind Künstler:innen auf ihren ganz eigenen Wegen in der Elbphilharmonie unterwegs und lassen dabei ihren Gedanken freien Lauf. Das Ergebnis: Besondere Einblicke in die Räume des Konzerthauses und ein außergewöhnlich persönliches Kennenlernen der Künstler:innen außerhalb der Bühne. 2022 wurde das Drumset als zum Instrument des Jahres gekürt – Grund genug, einen ganz besonderen Rhythmus-Künstler zu Wort kommen zu lassen.
»In der Musik – vor allem in der Improvisation – werden Geist und Körper manchmal eins«, erklärt Sarathy Korwar. Im Elbphilharmonie Innerview spricht er über die Unmittelbarkeit von Musik, über kulturelle Selbstfindung und darüber, was indische Klassik und Jazz gemeinsam haben. Die Musik und er – sie sind immer in Bewegung. Stillstand gibt’s nicht.
»Ich bin in Indien aufgewachsen und lernte Tabla-Spielen, während ich gleichzeitig The Doors oder Nina Simone hörte.«
Sarathy Korwar
Die Reihe »Elbphilharmonie Innerviews« wird unterstützt von unserem Principal Sponsor Julius Bär.
Elbphilharmonie Innerview mit Sarathy Korwar
Musik kennt keine Grenzen :Sarathy Korwar im Elbphilharmonie Innerview
»My East ist Your West« lautet der Titel eines der Alben von Sarathy Korwar. Ein Gedanke über weltoffene Musikkultur, der bei ihm zum Programm wurde: Mit seinem Indo-Jazz spielte sich der ausgebildete Tabla-Künstler und Schlagzeuger nicht nur in die Londoner Clubs, sondern widmet sich zentralen Fragen rund um Identität, Culture Clash und neuen Wegen.
In den USA geboren, in Indien aufgewachsen, in England gelandet, kombiniert der außergewöhnliche Schlagwerker politischen Rap und traditionelle indische Klänge, Elektro und Jazz, Hip-Hop-Grooves und Straßensounds aus modernen Mega-Metropolen wie Mumbai. So klingt Musik, die keine Grenzen kennt.

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Über klassische indische Musik
Dass die indische Musik auf Europäer so faszinierend wirkt, hat viele Gründe. Während die europäische Musik auf Akkorden basiert, fußt die klassische Musik Indiens einzig auf Melodie und Rhythmus, die entsprechend komplex sein können. Zentrale Bedeutung kommt dabei den Ragas zu. Sie sind mit den europäischen Tonleitern vergleichbar und doch viel mehr: Hierzulande gibt es nur Dur und Moll, im indischen Musiksystem 72 Ragas! Sie bilden die ganze Palette menschlicher Gefühle ab. Das schaffen sie durch kunstvolle Ausgestaltung des Tonvorrats und anhand einer bestimmten Dramaturgie: von der langsamen, improvisierten Einleitung über die Etablierung rhythmischer Muster und Melodien bis zum rasanten Finale.
Die Entstehung des Raga-Systems reicht bis zu 2000 Jahre zurück, an ihrer Wurzel ist die Musik Indiens spirituell: Gott ist Klang und kann im Klang erfahren werden. Das prominenteste indische Instrument ist unbestritten die Sitar. Der legendäre Sitar-Spieler Ravi Shankar öffnete dem Lauten-Instrument in den 1960ern das Tor zur Welt; er inspirierte Klassik-Künstler wie den Geiger Yehudi Menuhin, Jazzer wie Miles Davis und Bands wie die Beatles. Das wichtigste rhythmische »Werkzeug« der nordindischen Musik ist daneben das gestimmte Kesseltrommel-Paar Tabla, das es in den vergangenen Jahrzehnten ebenfalls in die Charts von Jazz bis Pop schaffte. Die Tabla wird mit den Fingern beider Hände gespielt und ermöglicht ein sehr subtiles Feintunen ihrer rhythmischen Klänge.
»Klassische indische Musik und Jazz sind beide im ständigen Wandel und auf Musiker angewiesen, die die Musik neu denken und weiterentwickeln«, meint Sarathy Korwar: »Beide bleiben durch das Prinzip der Improvisation lebendig«. Und so gibt er seiner Lieblingsmusik neues Leben: Dem Jazz schenkt er die kraftvolle Rhythmik Nordindiens, der Klangtradition seiner Heimat würzt er mit dem Feeling der Londoner Clubkultur.
»Sarathy Korwar steht an der Spitze dieser neuen, aufregenden Jazzszene in London. Seine Konzerte gehören zu den spannendsten Shows, die ich je erlebt habe: ein paar akustische Musiker – und ein ganzer Club, der wie wild tanzt.«
Anoushka Shankar

In der Gegenwart :Über die Unmittelbarkeit musikalischer Improvisation
»Improvisation ist ein ganz persönlicher Ausdruck davon, wo ich in diesem Moment gerade stehe. Ehrlich und unmittelbar«, erklärt Sarathy Korwar und beschreibt, wie Körper und Geist dabei eins werden können: »Das passiert nur selten, aber ich strebe immer danach.«
Der besonderen Kraft musikalischer Improvisation widmete der junge Musiker auch sein Upaj Collective, das Jazzmusiker aus Südasien und klassische indische Instrumentalisten vereint. Der Name stammt vom Hindi-Wort »upaj«, das »Improvisation« bedeutet. Mit dieser einzigartigen Formation war er im November auch beim »Reflektor«-Festival von Anoushka Shankar in der Elbphilharmonie zu Gast.

Lebendig bleiben: Improvisation und Weltoffenheit
Der unmittelbare und freie Ausdruck in der Improvisation ist für Sarathy Korwar verwandt mit der einzigartigen Dynamik zwischen kultureller Vielfalt und Selbstdefinition: »In Städten wie London und Hamburg leben viele Menschen, die sehr offen sind, die ständig nach neuen Formen des Miteinanders suchen, immer spontan, immer zugewandt.« Ein schönes Bild: Die Stadt und ihre Menschen improvisieren gemeinsam, wie in der Musik – sie entwickeln sich weiter, bleiben am Leben.
Text: Julika von Werder, Stand: 20.01.2022