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Alban Bergs »Wozzeck«: Schlüsselwerk der Moderne

Mit seiner 1925 uraufgeführten Oper betrat Alban Berg Neuland – sowohl inhaltlich als auch musikalisch.

Text: Simon Chlosta, 17. April 2025

Alban Bergs Karriere als Komponist nahm spät Fahrt auf. Lange hatte sich der Österreicher als Lehrer und Musikjournalist über Wasser gehalten. Seine Werke waren fast ausschließlich in einem obskuren »Verein für musikalische Privataufführungen« gespielt worden, gegründet von seinem kultisch verehrten Lehrer Arnold Schönberg und von vielen belächelt als Sammelbecken exzentrischer Neutöner.

Hier erklang bevorzugt Zwölftonmusik – Stücke also, die nicht auf konventionellen Melodien und Harmonien basieren, sondern auf Tonreihen, die alle zwölf Halbtöne des europäischen Musiksystems in mehr oder weniger beliebiger Reihenfolge enthalten. Leicht ins Ohr gehen diese Werke, die prototypisch für die sogenannte »Neue Musik« stehen nicht gerade, weshalb Bergs Musik nach seinem Tod von den Nationalsozialisten als »entartet« gebrandmarkt und verboten wurde.

Seine zweite Oper, die 1937 uraufgeführte, unvollendet gebliebene »Lulu« nach Texten von Frank Wedekind, komponierte Berg nahezu ausschließlich nach diesem Prinzip. Seine erste hingegen, die dreiaktige Oper »Wozzeck« nach Georg Büchner, ist eher als Vorläufer dieser Kompositionstechnik zu sehen und ging als erstes abendfüllendes atonales, also frei von jeglichen harmonischen Strukturen, Bühnenwerk in die Musikgeschichte ein.

Wozzeck-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen 2017

Die Vorlage

Inspiriert ist »Wozzeck« – beziehungsweise »Woyzeck«, wie das Fragment gebliebene Drama Büchners heißt – von der historisch wahren Geschichte des wegen Mordes an seiner Geliebten zum Tode verurteilten Soldaten Johann Christian Woyzeck. Die abweichende Schreibweise basiert auf einer frühen Ausgabe des Dramas, die später aufgrund vieler Eingriffe in den Text stark kritisiert wurde. Als Berg 1920 auf eine kritische Edition stieß, war die Arbeit jedoch so weit fortgeschritten, dass er es bei dem veralteten Text beließ.

Bei Büchner (und Berg) liest sich die Geschichte so: Der Soldat Franz Woyzeck lebt mit seiner Geliebten Marie und mit ihrem unehelichen Kind in einfachen Verhältnissen. Um seinen geringen Sold aufzubessern, begibt er sich in die Hände eines skrupellosen Doktors, der ihn für wissenschaftliche Experimente missbraucht. Ausgebeutet und öffentlich gedemütigt, muss er außerdem erfahren, dass Marie eine Affäre mit einem Tambourmajor hat. Innere Stimmen befehlen ihm, die treulose Geliebte zu töten. Woyzeck besorgt sich ein Messer und ersticht Marie auf einem abendlichen Spaziergang.

Obwohl bereits 1837 entstanden – kurz vor Büchners frühem Tod im Alter von gerade einmal 23 Jahren – kam »Woyzeck« erst 1913 zur Uraufführung. Ein Jahr später wohnte Alban Berg der Wiener Erstaufführung bei, die ihn unmittelbar zu seiner Oper anregte. Der eigentliche Kompositionsprozess zog sich dann aber noch über viele Jahre hin, nicht zuletzt, weil Berg zwischen 1915 und 1918 als Schreiber in der österreichischen Armee diente. 1917 konnte er die Textfassung abschließen, auch mit der Komposition begann er bereits in den beiden letzten Kriegsjahren, doch fertig wurde die Oper erst 1921. Nachdem vorab einige Ausschnitte zur Aufführung gelangt waren, fand die eigentliche Uraufführung schließlich im Dezember 1925 in der Staatsoper Unter den Linden in Berlin statt.

Alban Berg bei der Arbeit
Alban Berg bei der Arbeit Alban Berg bei der Arbeit

Die Oper

Aus Büchners offenem Drama mit eher loser Szenenfolge schuf der Komponist drei dramatisch verdichtete Akte mit je fünf Szenen, denen er eine strenge architektonische Form zugrunde legte. So besteht der erste Akt aus fünf Charakterstücken, die die Hauptpersonen vorstellen, der zweite wiederum ist nach Art einer Sinfonie gestaltet – eigentlich ja eine rein instrumentale Gattung. Hörbar ist dies zwar praktisch nicht, jedoch dienten die Formen dazu, der harmonischen Freiheit der Musik einen Zusammenhang zu geben. Der dritte Akt besteht schließlich aus fünf »Inventionen«, denen jeweils ganz verschiedene musikalische Gestaltungsprinzipien zugrunde liegen. Zusammengehalten wird das alles durch ein äußerst differenziertes Geflecht von Leitmotiven, wie man es aus den Wagnerschen Musikdramen kennt (das musikalische Ergebnis klingt selbstverständlich etwas anders).

Wozzeck-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen 2017 mit Matthias Goerne als Wozzeck und Asmik Grigorian als Marie
Wozzeck-Inszenierung bei den Salzburger Festspielen 2017 mit Matthias Goerne als Wozzeck und Asmik Grigorian als Marie

Auch inhaltlich betrat Berg mit seiner Oper Neuland, denn dass Menschen der untersten sozialen Schicht als Protagonist:innen auf die Bühne traten, sah man bislang nur selten im Musiktheater. Sowohl musikalisch als auch in sozialer Hinsicht stellt Wozzeck so ein expressionistisch übersteigertes Bekenntniswerk dar, in das überdies auch persönliche Leiderfahrungen des Komponisten eingegangen sind. »Steckt doch auch ein Stück von mir in seiner Figur, seit ich ebenso abhängig von verhassten Menschen, gebunden, kränklich, unfrei, resigniert, ja gedemütigt, diese Kriegsjahre verbringe. Ohne diesen Militärdienst wäre ich gesund wie früher.«

Aufgrund seiner Komplexität und Schwierigkeit galt »Wozzeck« zunächst nur als schwer aufführbar. Heute gilt die Oper jedoch als einer der wichtigsten Beiträge zur Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts und als Schlüsselwerk der Moderne.

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