Wolfgang Rihm

»Was wir tun, ist immer ›jetzt‹«

Der berühmte Komponist Wolfgang Rihm im über seine Musik und seine Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern.

»Beim Ensemble Modern weiß man, dass die Musik auf bestmögliche Weise dargestellt wird«, freut sich Wolfgang Rihm. Er muss es wissen, denn er arbeitet schon mehrere Jahrzehnte mit den international besetzten Neue Musik-Profis zusammen. Pünktlich zum 70. Geburtstag des berühmten Komponisten getaltet das Ensemble ein spannendes Portraitkonzert.

Im Gespräch mit Wolfang Rihm geht es um die Werke des Abends, um die fruchtbare Zusammenarbeit und um seine Wünsche für Nachwuchskomponist:innen.

Interview

Die Zusammenarbeit von Ensemble Modern und Dir besteht seit über vierzig Jahren. Gibt es Momente, die du besonders erinnerst?

Die Eindrücke durchdringen einander. Es gibt aber ein Ensemble-Modern-Grundgefühl: Es ist die Sicherheit, dass die Musik auf bestmögliche Weise dargestellt wird.


Das Ensemble Modern führt die beiden Werke »Abschiedsstücke. Gedichte von Wolf Wondratschek« und »Concerto ›Séraphin‹« auf ...

Im Rückblick wollen mir diese beiden Werke als sehr unterschiedlich erscheinen. Ich bin gespannt, ob dem wirklich so ist.
 

Die »Abschiedsstücke« wurden 1993 vom Ensemble Modern unter der Leitung von George Benjamin in Badenweiler uraufgeführt. Wie kam es damals zur Zusammenarbeit mit Wolf Wondratschek?

Wolf Wondratschek ist wie ich in Karlsruhe aufgewachsen, wir lernten einander aber erst viel später kennen. Er gab mir seine »Mexikanischen Sonette«, ich komponierte daraus einige als die »Lowry-Lieder« – großorchestrale Sachen ... Das war 1987/88. Fünf Jahre später dann die »Abschiedsstücke«. Ein ganz anderes Klangklima. Aber wie? Das könnte ich jetzt gar nicht sagen ... Vielleicht konzertanter – also eigentlich näher am Idiom der »Séraphin-Stücke«?

Wolfgang Rihm
Wolfgang Rihm © Gustavo Alabiso

Das »Concerto ›Séraphin‹« gehört zu einer weitverzweigten Werkfamilie, unter anderem mit »Séraphin« und der »›Séraphin‹-Symphonie«. Die Entwicklung der Stücke ist sicher nicht linear zu betrachten. Würdest Du das »Concerto ›Séraphin‹« als Finalfassung bezeichnen?

Ja. Ich glaube, das ist jetzt ausgereizt. Es gibt genug Musik(en) für einen ganzen »Séraphin-Tag«: Ausgehend von Baudelaires und Artauds Texten über dieses Schattentheater des italienischen Betreibers Serafino (daher der Name) lassen sich theatralische Entwürfe denken, eigentlich ohne Grenzen ... sehr konkret bis sehr abstrakt ... Die Grundidee war es wohl, diesem freien Spiel der Imagination so lange wie möglich zu folgen.


Wie kann man sich die Arbeit an den verschiedenen Entwicklungsstadien vorstellen? Was war das jeweils impulsgebende Moment der nächsten Entwicklungsstufe? Auch »Jagden und Formen« ist eine solche Werkgruppe. Du hast dich selbst einmal als »Landschaftsgärtner« dieser Werklandschaft bezeichnet …

Die Gärtner-Metapher habe ich sicher auf die Gesamtheit meiner unterschiedlichen Projekte und Pläne bezogen. Ich hege deren Wachstum. Wachsen müssen sie schon selber. Das heißt also, ich bin für die Energiezufuhr verantwortlich, für optimales Klima, für ideale Feuchtigkeit und so weiter ... auch Licht und Wärme. Und gelegentlich muss der Boden umgegraben werden. Insektenschutzmittel ... man sagt ja: »Pflanzenschutzmittel« – ich meide sie eher.

Viele Deiner ehemaligen Schüler:innen sind mittlerweile etablierte und renommierte Komponist:innen. Was reizt Dich immer wieder von Neuem, Dich auf die nachfolgenden Generationen einzulassen?

Vielleicht will ich herausfinden, was sie bewegt? Ich weiß es nicht. Ich empfinde mich nicht als geborenen Lehrer, muss mich immer wieder überwinden zum Hineindenken in diese vielen fremden Seelen, aber ich glaube: Dadurch können diese Mut schöpfen zum Eigensinn. Mehr jedenfalls, als wenn ich ein sogenanntes »durchdachtes System« im Angebot hätte.
 

Wolfgang Rihm
Wolfgang Rihm © picture alliance / dpa / Uli Deck

 

Wie blickst Du auf die aktuell junge Komponierendengeneration? Gibt es musikalische Tendenzen, Gemeinsamkeiten, Richtungen?

Manchmal glaube ich einen tiefen Wunsch nach individueller Aussage zu vernehmen. Die wenigsten wollen eigentlich etwas typisch »Jetziges« machen – aber genau das ist das Schwerste: sich ohne Aufwand zu unterscheiden. Dafür gibt es kein Rezept. Aufruhr und Gelassenheit sind nach wie vor nicht leicht zu haben. Schon gar nicht gleichzeitig. Aber was sage ich ...? Was wir tun, ist sowieso immer »JETZT«.


Interview: Ensemble Modern

Ein Beitrag aus dem Ensemble Modern Magazin Nr.56 (2/22)

Podcast »Nebenstimmen« mit Wolfgang Rihm

Im Podcast des Ensemble Modern ist der Posaunist Uwe Dierksen im Gespräch mit Wolfgang Rihm.

Wolfgang Rihm / Uwe Dierksen
Wolfgang Rihm / Uwe Dierksen Wolfgang Rihm / Uwe Dierksen © Ensemble Modern

Schwerpunkt: Wolfgang Rihm :Konzerte in der Elbphilharmonie

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