Britain Calling

Great Britain: Das Land mit Musik

Ein Land, das die Beatles und die »Proms« hervorbrachte, in dem es von Chören nur so wimmelt, um das kann es so schlecht nicht bestellt sein.

Bestandsaufnahme: die britische Musikszene

Es lohnt sich, die britische Musikszene einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn nicht nur in der Popmusik nimmt Großbritannien nach wie vor eine führende Rolle ein. Exzellente Klassik-Interpreten sind hier ebenfalls in Hülle und Fülle anzutreffen, und zwar weit über London hinaus. Als Kulturbotschafter gilt heute etwa das City of Birmingham Symphony Orchestra. Auch dank seiner Präsenz hat sich die Millionenstadt im Herzen Englands vom Industriestandort zur blühenden Kulturmetropole gewandelt; sein Pult diente als Startrampe für Stars wie Simon Rattle und Andris Nelsons. Diese illustre Reihe setzt die aktuelle Chefin Mirga Gražinytė-Tyla fort. Schon jetzt gilt sie als wichtigste Dirigentin der Gegenwart.

Mirga Gražinytė-Tyla über Großbritannien

Auch bei den Komponisten sieht es gut aus. Erst in der Spielzeit 2018/19 war Sir George Benjamin als Residenzkünstler an der Elbphilharmonie zu Gast, ein gefeierter Opernschöpfer.
Die gebürtige Londonerin Rebecca Saunders wurde 2019 mit dem renommierten Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichnet, der als Nobelpreis der Musik gilt.

George Benjamin George Benjamin © Chris Christodoulou
Rebecca Saunders Rebecca Saunders © Astrid Ackermann

Die Mär vom »Land ohne Musik«

Erfreulich ist all das auch, weil England lange als »Land ohne Musik« galt. Diese These setzte der (deutsche) Schriftsteller Oscar Schmitz 1904 mit seinem gleichnamigen Essay in die Welt – und traf damit einen wunden Punkt. Denn es stimmt ja: Nach John Dowland (1563–1626) und Henry Purcell ­(1659–1695), der unter dem Spitznamen »Orpheus Britannicus« gefeiert wurde, gaben fast 200 Jahre lang ausschließlich aus dem Ausland importierte Komponisten wie Georg Friedrich Händel, Johann Christian Bach und Joseph Haydn an der Themse den Ton an.

John Dowland: Flow My Tears

Ändern sollte sich dies erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Mit Komponisten wie Gustav Holst und Ralph Vaughan Williams rückte eine neue Generation nach, die eine »English Musical Renaissance« einleiten wollte. Doch sie orientierte sich vor allem an der deutschen Romantik, was der Literaturnobelpreisträger und nebenberufliche Musikkritiker George Bernard Shaw 1919 denn auch heftig kritisierte. Nur einem Komponisten attestierte er einen genuin britischen Sound: Edward Elgar, dessen »Land of Hope and Glory« bis heute die inoffi­zielle Hymne des Königreichs darstellt.

Da wusste Shaw aber auch noch nichts von dem Genie, das sechs Jahre zuvor in Suffolk das Licht der Welt erblickt hatte: Benjamin Britten. Mit seiner sinnlichen Musik zählt er nach wie vor zu den meistaufgeführten Komponisten der Gegenwart, weit über die Grenzen Großbritanniens hinaus. Auch seine Zeitgenossen Michael ­Tippett und William Walton, der zur Krönung von King George VI. (dem Vater der Queen) einen fest­lichen Marsch beisteuerte, hielten sich von der Nachkriegsavantgarde Kontinentaleuropas fern und kultivierten eine in der Tradition verwurzelte, gemäßigt moderne Tonsprache, die sich bis heute großer Beliebtheit erfreut.

Michael Tippett: A Child of Our Time

Ja, um ein Land, das solche Künstler hervorbringt, kann es nicht schlecht stehen. Nur beim Eurovision Song Contest lief es zuletzt nicht mehr rund: 2019 landete der britische Beitrag auf dem letzten Platz.

Text: Simon Chlosta, Stand: 27.09.2019

Ruf oder Hilferuf?

»This is London calling.« Mit diesem ikonischen Satz begann der BBC World Service seine Radiosendungen – gerade in Kriegs­zeiten ein Symbol der Hoffnung für Menschen in umkämpften Gebieten. Heute spielt sich das große politische Drama auf britischem Boden ab. Und angesichts des drohenden Brexits drängt sich die Lesart der Punkband The Clash auf, deren dystopischer Hit »London calling« weniger Ruf als vielmehr Hilferuf ist.

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