Polarlichter

»Glauben« in der Musik

Auch in der Musik gilt: Erst der Glaube macht uns zum Menschen.

Glauben Sie, es regnet morgen? Glauben Sie, es gibt ein Leben nach dem Tod? Glauben Sie an Gott?

Es ist ein vielschichtiges kleines Wort: glauben. Natürlich wird es zuvorderst mit der Religion assoziiert, mit dem Bekenntnis des Glaubens. Doch bei näherem Hinsehen offenbaren sich viele weitere Annäherungen. Glauben fängt da an, wo wissen aufhört, wo logisch denken nicht hinkommt, wo sich meinen mit hoffen gegen zweifeln verbündet. Eine extrem bedeutsame Sphäre für den letztlich doch ziemlich irrationalen Menschen.

Ich denke, also bin ich

Der Philosoph René Descartes ließ sie vor lauter Aufklärungsethos völlig außer Acht, als er einst postulierte: »Ich denke, also bin ich.« Schade eigentlich. Vielleicht hätte »Ich glaube, also bin ich« unser Menschsein noch etwas besser auf den Punkt gebracht.

Frans Hals: Portrait von René Descartes
Frans Hals: Portrait von René Descartes © Wikimedia Commons

Stichwort »Glauben«

Es gibt nichts, wozu die Musik nichts zu sagen hätte. Aus dem Musiklexikon der Elbphilharmonie.

»Musik ohne Glauben hat keinen Grund zu existieren.«

Sofia Gubaidulina

Glauben im Abendland: Christentum

Ein zentraler, aber weiß Gott nicht der einzige Aspekt von »glauben« ist naturgemäß der christliche Glaube, der das Abendland wesentlich prägte. In der Musik schlug er sich primär in Form von Kompositionen für den kirchlichen Rahmen nieder, etwa in der »Glagolitischen Messe« von Leoš Janáček.

Große Bedeutung hat der christliche Glaube auch für Sofia Gubaidulina, die bedeutendste russische Komponistin unserer Zeit, die seit Mitte der 90er Jahre in der Nähe von Hamburg lebt. Für sie ist er Fundament ihres Lebens und Schaffens: »Musik ohne Glauben hat keinen Grund zu existieren.« Daraus schöpft sie einen sehr zugänglichen Klang, der Spiritualität ebenso widerspiegelt wie die Lust an plastischer Klangmalerei.

Sofia Gubaidulina: Offertorium

Wer’s glaubt

»Wer’s glaubt, wird selig« – mit diesem bissigen, im Kern womöglich aber auch neidischen Kommentar reagieren Zyniker auf alle Arten spiritueller Heilsversprechen. Sie treten Glaubens-Idolen eher mild-ironisch gegenüber (wie der Jazzpianist Stefano Bollani, der das Musical »Jesus Christ Superstar« humorvoll filetiert) oder dekonstruieren sie als Götzen (wie die Bigband Flat Earth Society, die afrikanische Diktatoren als »Boggamasta« schmäht).

Flat Earth Society / David Bovée
Flat Earth Society / David Bovée © Jan Gitanes

Sie glauben stattdessen an gar nichts, oder nur an die klare, unbestechliche Wissenschaft. Goethes »Faust« ist so jemand, der angesichts der berühmten Gretchenfrage nach der Religion ausweicht und bedauert: »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.« Ihm, Faust, hätte wahrscheinlich die Produktion »Genesis« gefallen – es handelt sich hier weniger um ein Konzert als vielmehr um ein Experiment: Die Musiker vom Ensemble Decoder haben sich im April 2020 eine Woche lang in eine Lagerhalle einschließen und von Nutzern am heimischen Bildschirm per Kopf-Kamera und Chat steuern lassen, wie Avatare in einem Computerspiel.

Glaube versetzt Berge, heißt es. Woran auch immer Sie glauben: Die Elbphilharmonie glaubt weiterhin fest an die Musik.

Text: Clemens Matuschek, Stand: 17.7.2020

Aber-Glauben

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