Vivi Vassileva

Vivi Vassileva im Portrait

Die junge Schlagzeugerin setzte früh ihren eigenen Kopf durch. Jetzt zeigt sie, dass man auf ihrem Instrument auch ganz anders spielen kann als einfach nur schnell und laut.

Wie entscheidet man sich eigentlich für ein Instrument? Warum nimmt man ausgerechnet Klavierunterricht, lernt Akkordeon, Trompete, Gitarre? Oft ist es schlicht Zufall: Irgendwo steht noch ein altes Pianino herum, schon der Onkel hat Cello gespielt, die örtliche Blaskapelle braucht dringend jemanden fürs Kornett, die Musikschullehrerin empfiehlt die Geige, weil das Kind ein gutes Gehör habe.

Dabei ist das eine so wichtige, lebensbestimmende Wahl! Mit ihr entscheidet sich, ob aus einem kleinen Talent ein großer Künstler wird, ob die Mensch-Instrument- Paarung zumindest auch nach Jahren noch Spaß macht, oder ob der Frust schon bald so wächst, dass man lieber wieder auf dem Sportplatz bolzen geht. Und trotzdem: In den allermeisten Fällen ist diese wichtige Entscheidung fremdbestimmt.

Eine gute Entscheidung :Vivi Vassilevas Weg zum Schlagzeug

Nicht so bei Vivi Vassileva. Sie setzte früh ihren eigenen Kopf durch. Als sie 1994 im nordfränkischen Hof auf die Welt kommt, ist um sie herum schon alles voller Musik. Ihr Vater, der wie die Mutter aus Bulgarien stammt, spielt Geige bei den Hofer Symphonikern, ihre drei älteren Geschwister ebenfalls. Natürlich bekommt auch Vivi von ihrem Vater Geigenunterricht. Und sie stellt sich nicht schlecht an, es funktioniert. Aber der Funke springt am Ende doch nicht über. Als sie acht Jahre alt war, traf sie bei einem Familienurlaub am Schwarzen Meer auf Menschen, die am Strand Handtrommel spielten. Die Faszination war so groß, dass sie schon bald Abend für Abend mittendrin saß und allen etwas vortrommelte. Für sie war die Sache nun klar: Sie wollte Schlagzeugerin werden.

Vivi Vassileva
Vivi Vassileva © Julia Wesely / Wiener Konzerthaus

»Es wird nie langweilig«

Ihre Eltern dagegen waren nicht überzeugt von dieser Wahl und ließen ihre Tochter lange betteln, bis sie schließlich doch nachgaben. Denn Vassileva blieb hartnäckig und bestand auf ihrem Wunsch. So bekam sie schließlich Unterricht bei Claudio Estay, einem Schlagwerker aus Chile, der heute im Bayerischen Staatsorchester spielt. Er brachte seiner Schülerin zuerst die riesige Welt der südamerikanischen Schlagzeugmusik nahe. Ein großes Glück, sagt Vassileva heute. So habe sie früh erkannt, dass wirklich jede Kultur der Welt ihre ganz eigene Schlagzeugtradition und auch einzigartige Instrumente habe. Für sie ist das bis heute das beste Argument für ihre Wahl. »Beim Schlagzeug wird’s nie langweilig, weil man an allen Instrumenten fit sein muss. Wenn man Marimba geübt hat, hat man noch lange nicht kleine Trommel geübt. Und die Handtrommeln haben auch wieder eine andere Technik.«

 

»Wir Schlagzeuger spielen jeden Tag um die fünf, sechs komplett verschiedene Techniken und Instrumente.«

Vivi Vassileva

 

Auch bei der Werkauswahl sieht sie Schlagzeuger vor ganz andere Herausforderungen gestellt als andere Instrumentalisten: »Jedes Jahr werden 200, 300 neue Werke für Perkussionsinstrumente geschrieben. So stammen die meisten Werke aus meinem Repertoire tatsächlich von heute lebenden Komponisten und sind in enger Absprache mit Schlagzeugern entstanden. Wir sind Pioniere. Wir denken anders, wir erforschen Klangmöglichkeiten, wir kombinieren.«

Vivi Vassileva
Vivi Vassileva © Hugo Thomassen Adams

So romantisch wie eine Geige

Zuletzt war Vassileva Meisterschülerin von Martin Grubinger am Salzburger Mozarteum. Die Pfade, die er einst mit Körpereinsatz, Kraft und Schweiß in den Klassikdschungel geschlagen hat, sind für sie jetzt der große Spielplatz, den sie mit Begeisterung, viel Energie und vor allem mit neuen Ideen für sich entdeckt.

Nicht zuletzt will sie dabei auch den leiseren, melodischen Klängen mehr Raum geben: »Ich will zeigen, dass Schlagwerk nicht nur schnell und laut sein kann, sondern dass man auf der Marimba oder dem Vibrafon genauso gut warme, melodiöse und auch romantische Musik machen kann wie zum Beispiel auf einer Geige.«

Interview mit Vivi Vassileva

Der richtige Klang

Zusammen mit dem Gitarristen Lucas Campara Diniz spielt Vivi Piazzolla und Bach, Scarlatti und Debussy. Natürlich nicht auf afrikanischen und orientalischen Trommeln wie Djembe, Darbuka oder Davul, sondern auf einem Marimbafon oder Vibrafon. Wie weich und empfindsam diese großen Instrumente klingen können, hat auch schon Martin Grubinger in seinen Programmen gezeigt. Aber was bei ihm meist die Zugabe ist, das rückt Vassileva in den Fokus. Sie kommt eben aus einem Geigenhaushalt, in dem große Melodiebögen und der romantische Werkkatalog zum guten Ton gehören. Wenn ihr Vater ihr schon nicht das Geigenspiel nahebringen konnte, dann vermittelte er ihr doch ein sehr gutes Gefühl für den richtigen Klang.

© Vivi Vassileva in der Elbphilharmonie, April 2022

Diesen richtigen Klang findet Vassileva sogar auf verbeulten PET-Flaschen. Im vergangenen Jahr brachte sie das »Recycling Concerto« von Gregor A. Mayrhofer zur Uraufführung. Stundenlang saßen der Komponist und die Schlagwerkerin vorher zusammen und überlegten, welcher Müll wohl den besten Klang haben könnte: Korken, Joghurtbecherdeckel, Kaffeekapseln? Die politische Botschaft hinter dem Werk ist offensichtlich, es thematisiert die in den Himmel wachsenden Müllberge unserer Zivilisation.

 

Solche außermusikalischen Themen in ihre künstlerische Arbeit zu integrieren und sich nicht vor den daraus resultierenden Diskussionen zu scheuen, ist Vivi Vassileva ein wichtiges Anliegen. Nicht nur das – es ist in ihren Augen auch notwendig, um klassische Musik lebendig, im Kontakt mit dem aktuellen Geschehen zu halten. Hoffentlich kann sie auch damit ein Vorbild sein für viele kleine Mädchen (und natürlich auch Jungs), die bei der Wahl ihres Instruments genügend Zeit haben, nachsichtige Eltern – und einen eigenen Kopf.


Text: Renske Steen; Stand: 06.09.2022

»Fast Lane« wird unterstützt von Porsche.

Mediathek : Weitere Beiträge

Video abspielen

: Elbphilharmonie Sessions: Pablo Barragán

Für eine ganz besondere »Elbphilharmonie Session« bringt Weltklasse-Klarinettist Pablo Barragán das Hamburger Mahnmal St. Nikolai zum Klingen.

Krieg und Frieden in der Musik

Wie spricht Musik vom Krieg? Und wie klingt Frieden? Ein Essay.

Alan Gilbert dirigiert Beethoven und Schönberg
Video abspielen

Video on Demand vom 3.5.2024 : Alan Gilbert dirigiert Beethoven und Schönberg

Unter der Leitung seines Chefdirigenten präsentiert das NDR Elbphilharmonie Orchester Schönbergs »Ein Überlebender aus Warschau« und Beethovens berühmte Neunte Sinfonie