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Schuberts Sonaten

Aus Beethovens Schatten getreten: Über die Klaviersonaten von Franz Schubert.

»Wer kann nach Beethoven noch etwas machen?«

»Mich soll der Staat erhalten, ich bin zu nichts als zum Komponieren auf die Welt gekommen.« Mit diesen Worten hat sich Franz Schubert treffend selbst charakterisiert: Der sensible Komponist war eine Künstlerseele durch und durch. Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen? – rang Schubert zeit seines kurzen Lebens (er wurde nur 31 Jahre alt) um eine eigene künstlerische Identität. Denn wie viele andere Komponisten der Romantik hatte auch er ein großes Problem: Die große Verehrung für Ludwig van Beethoven lähmte ihn regelrecht, das musikalische Erbe des großen Meisters war erdrückend.

Für Schubert stellte sich diese Problematik umso dringender, da er ja Zeitgenosse Beethovens war und das übergroße Vorbild selbst noch erleben durfte, auch wenn sich die beiden Komponisten wohl nur ein einziges Mal persönlich begegnet sind. »Wer vermag nach Beethoven noch etwas zu machen?« soll er geseufzt haben. Kurzum: Er hatte einen regelrechten »Beethoven-Komplex«.

Gemälde von Josef Abel
Gemälde von Josef Abel © Kunsthistorisches Museum Wien

Gute Voraussetzungen

Dabei waren die Voraussetzungen für seine musikalische Laufbahn gar nicht so schlecht. 1797 als Sohn eines Schuldirektors im heutigen Wiener Stadtteil Lichtental geboren, bekam der kleine Franz schon früh musikalische Grundkenntnisse von seinem Vater vermittelt. Er erhielt Orgel-, Klavier- und Kompositionsunterricht und wurde mit elf Jahren Mitglied im Chor der Wiener Hofkapelle. Zu seinen Lehrern zählte unter anderem Antonio Salieri, und durch das Orchesterspiel lernte er die Instrumentalwerke Haydns und Mozarts kennen.

Schubertiade in Wien, gezeichnet von Moritz von Schwind
Franz Schubert (am Klavier) bei einer Schubertiade in Wien, gezeichnet von Moritz von Schwind © Wikimedia Commons

Schon bald zeigte sich seine Begabung auch im Bereich Komposition. Erste Werke sind bereits aus dem Jahr 1810 überliefert, und mit gerade einmal 17 Jahren schrieb Schubert seine erste Oper, eine Messe, Streichquartette und frühe Meisterwerke wie das Lied »Gretchen am Spinnrade« nach Goethes »Faust«. Ab 1818 organisierte er mit befreundeten Musiker:innen und Literat:innen Veranstaltungen, bei denen seine Werke im privaten Rahmen aufgeführt wurden und die später den Namen »Schubertiade« bekamen – ein Titel, der sich bis heute für Kammermusikfestivals erhalten hat.

Musikalische Dialoge

Schon hier zeigt sich, dass es Schubert vor allem auf den Dialog mit anderen ankam, weshalb er ungewöhnlich viele Lieder komponierte, ebenso Klaviermusik zu vier Händen. Eine Virtuosenkarriere strebte er hingegen nicht an, im Gegensatz etwa zu Mozart ging er auch nicht auf Tournee. Mit Ausnahme weniger Reisen innerhalb Österreichs sowie zwei sommerlichen Aufenthalten auf den ungarischen Residenzen des Grafen Esterházy hat Schubert Wien nie verlassen. Dennoch waren seine Werke durchaus für die Öffentlichkeit bestimmt, was die jahrelange (vergebliche) Suche nach einem Verleger zeigt.

Überbordende Fantasie :Schuberts Sonaten

Auch der Klaviersonate wandte sich Schubert in seinem 17. Lebensjahr zu. Wie für Beethoven stellte diese Gattung für ihn eine Möglichkeit dar, gleichzeitig Persönliches und Allgemeingültiges auszudrücken. Von seinem großen Vorbild löste er sich jedoch recht schnell, denn es gibt einige ganz grundlegende Unterschiede in den Kompositionsweisen der beiden (was im Übrigen auch für die Sinfonien gilt).

Im Gegensatz zu Beethoven legte es Schubert beispielsweise nicht so sehr auf den Widerstreit kontrastierender Themen an. Und während Beethoven mit musikalischen Motiven wie mit Legosteinen hantierte, um daraus einen Satz zu bauen, ließ Schubert lieber seiner überbordenden melodischen und harmonischen Fantasie freien Lauf und entwarf Themen, die fließen, als gäbe es kein Ende. Dafür benötigte Schubert natürlich Raum, weshalb er eine Musik erfand, die das Zeitempfinden oft völlig außer Kraft setzt, vor allem in seinen späten Sonaten. Nicht umsonst sprach Robert Schumann mit Blick auf Schuberts große C-Dur-Sinfonie von einer »himmlischen Länge« seines älteren Kollegen.

Von mehr als 20 begonnenen Sonaten hat Schubert nur zwölf vollendet. Sie werden von der Musikwissenschaft üblicherweise in drei Phasen eingeordnet: eine erste, noch deutlich von Beethoven geprägte; eine mittlere, in der er sich vom Vorbild löste und harmonisch experimentierte; und schließlich die drei letzten Sonaten dem Todesjahr 1828.
 

Text: Simon Chlosta; Stand 18.10. 2022

Die Reihe »Pianomania« präsentiert in der Saison 2022/23 einen umfassenden Querschnitt aus Schuberts Klavierschatz – vier Konzerte, die zeigen, dass Schubert sich keinesfalls hinter Beethoven verstecken musste.

Playlist »Pianomania«: Schubert

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