NDR Elbphilharmonie Orchester
Video on Demand vom 31.12.2021
verfügbar bis 31.12.2031

Happy New Year!

Silvesterkonzert im Livestream: Das NDR Elbphilharmonie Orchester und Alan Gilbert präsentieren ein musikalisches Feuerwerk zum Jahreswechsel.

Seit der Eröffnung der Elbphilharmonie gehören die grandiosen Silvesterkonzerte des NDR Elbphilharmonie Orchesters zu den Höhepunkten der Saison. Auch in diesem Jahr lassen das Orchester und sein Chefdirigent Alan Gilbert im Großen Saal die Funken fliegen: Das schmissige Konzertprogramm sorgt zwischen Antonín Dvořáks überschäumender »Karneval«-Ouvertüre, Sergej Rachmaninows eindrucksvollen »Sinfonischen Tänzen« und George Gershwins Evergreen »Rhapsody in Blue« für jede Menge Abwechslung und Feierlaune. Als Stargast greift der japanische Pianist Makoto Ozone in die Tasten. Happy New Year!

Elbphilharmonie Hamburg
Elbphilharmonie Hamburg © Axel Heimken

Besetzung

NDR Elbphilharmonie Orchester

Makoto Ozone Klavier

Dirigent Alan Gilbert

Programm

Antonín Dvořák
Karneval / Konzertouvertüre op. 92

John Adams
The Chairman Dances / Foxtrott für Orchester

George Gershwin
Rhapsody in Blue (Fassung für Klavier und Orchester)

- Pause -

Sergej Rachmaninow
Sinfonische Tänze op. 45

 

Die Künstler

Alan Gilbert – Dirigent

Alan Gilbert
Alan Gilbert © Peter Hundert

Makoto Ozone – Klavier

Makoto Ozone
Makoto Ozone © Kazashito Nakamura

NDR Elbphilharmonie Orchester

NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Elbphilharmonie Orchester © Nikolaj Lund

Born in the USA :Über das Programm

Nur zwei gebürtige Amerikaner stehen am heutigen Abend auf dem Programm (und einer am Dirigentenpult des NDR Elbphilharmonie Orchesters), und dennoch bilden die USA so etwas wie das geheime Motto des Konzerts. Denn eine zentrale Rolle spielte das Land für alle vertretenen Komponisten, die sich vom »melting pot« zu reizvollen stilistischen Experimenten inspirieren ließen und so die Musikgeschichte um ganz neue Wege bereicherten. Umso schöner, dass es Alan Gilbert – der 2009 als erster gebürtiger New Yorker Chefdirigent des New York Philharmonic wurde – gelungen ist, etwas von der berühmten amerikanischen Offenheit und Lockerheit in diese musikalische Feier des Jahreswechsels einfließen zu lassen.

ANTONÍN DVOŘÁK: KARNEVAL

Geboren 1841 als Sohn eines Metzgers in einem kleinen Dorf vor den Toren Prags, ahnte der junge Antonín Dvořák wohl kaum, dass ihn seine Laufbahn einmal über den Großen Teich bis ins ferne New York führen würde. Fahrt nahm seine Karriere durch die Fürsprache von Johannes Brahms auf. Dvořák lernte viel von ihm, ging aber seinen eigenen Weg, indem er die Volksmusik seiner Heimat in seine Werke einfließen ließ. So avancierte er zur Galionsfigur eines neuen tschechischen Nationalstils. Genau das war der Grund, warum ihn Jeannette Thurber, Präsidentin des New Yorker National Conservatory of Music, 1892 als Direktor an ihr Haus verpflichtete. Dvořáks Mission: eine ureigene amerikanische Musik zu entwickeln und die intellektuelle Abhängigkeit von Europa zu beenden.

Tatsächlich beschäftigte er sich vor Ort mit den Gesängen der amerikanischen Ureinwohner und den Spirituals der schwarzen Plantagenarbeiter. Sie flossen etwa ein in seine Sinfonie »Aus der Neuen Welt«, die seither als Gründungsdokument der amerikanischen Klassik gilt – die tschechische Herkunft ihres Schöpfers allerdings nicht verleugnen kann.

Antonín Dvořák
Antonín Dvořák © Wikimedia Commons

Kurz vor seiner Abreise brachte Dvořák in Prag sein neuestes Werk heraus: eine Trilogie mit dem Titel »Natur, Leben und Liebe«, die er gleich bei seinem ersten Konzert in der New Yorker Carnegie Hall als Begrüßung aufs Programm setzte. Letztlich veröffentlichte er die Teile als einzelne Konzertouvertüren unter neuen Namen; aus »Liebe« wurde »Othello« und aus »Leben« der »Karneval«. Mit seiner ausgelassenen Stimmung eignet sich das Stück wunderbar als Opener eines Konzerts zum Jahreswechsel. Der Mittelteil schlägt aber auch nachdenkliche Töne an: Nach Auskunft des Komponisten zeigt er einen einsamen nächtlichen Spaziergänger, der das bunte Treiben durch die Fensterscheiben beobachtet. Eine Metapher dafür, dass das Leben nicht nur aus Party besteht – und auch sehr schnell lahmgelegt werden kann ...

JOHN ADAMS: THE CHAIRMAN DANCES

Ein genuin amerikanischer Komponist, noch dazu einer der wichtigsten lebenden überhaupt, ist John Adams. Er begann als Klarinettist beim Boston Symphony Orchestra und lebt heute in San Francisco. Regelmäßig schreibt er Auftragswerke für Orchester in aller Welt, erhielt mehrere Grammys und sogar den Pulitzer Preis für Musik. Adams ist einer der Gründerväter der Minimal Music, die in den 1960er Jahren entstand und auf sogenannten »Patterns« beruht. Es handelt sich dabei um kleine, an sich simple Motivschnipsel wie etwa Dreiklänge, die stetig wiederholt werden und so einen faszinierenden motorischen Drive entwickeln – zumal, wenn sie sich leicht gegeneinander verschieben.

Alan Gilbert und John Adams in der Elbphilharmonie 2017
Alan Gilbert und John Adams in der Elbphilharmonie 2017 © Claudia Höhne

Diesem Stil folgt auch Adams Stück »The Chairman Dances«. Es stammt aus seiner Oper »Nixon in China«, die den ersten Staatsbesuch eines US-Präsidenten in der Volksrepublik China 1972 ironisch kommentierte – ein typisches Thema für den politisch interessierten Komponisten. Das Wort »Dances « ist hier als Verb zu verstehen, denn die Szene zeigt, wie die Ehefrau von Mao Zedong ein offizielles Bankett sabotiert und eine heiße Striptease-Nummer aufs Parkett legt. Der Große Vorsitzende selbst ist nur in Form eines monumentalen Gemäldes anwesend, doch bald hält er es nicht mehr aus und steigt aus dem Rahmen, um mit seiner Frau einen Foxtrott zu tanzen.

GEORGE GERSHWIN: RHAPSODY IN BLUE

So ehrbar Dvořáks Versuch auch gewesen war, eine amerikanische Musik zu erschaffen – es blieb einem geborenen Amerikaner vorbehalten, dieses Ziel nachhaltig und auf spektakuläre Weise zu erreichen: George Gershwin. Schon seine Biografie ist repräsentativ für den kulturellen Schmelztiegel USA, erblickte er doch 1898 in Brooklyn als Sohn der jüdischen Immigrantenfamilie Gershovitz aus Sankt Petersburg das Licht der Welt, die ihren Nachnamen bald in eine griffigere englische Schreibweise überführte. Die Roaring Twenties erlebte Gershwin auch persönlich hautnah mit. New York war zu einer boomenden Sechs-Millionen-Metropole herangewachsen, die ersten Wolkenkratzer entstanden, Ford Ts knatterten durch die Straßenschluchten.

Im Zeitalter der Prohibition ist Alkohol verboten, was Gangster wie Al Capone und Zehntausende illegale Kneipen hervorbringt. Überhaupt sind die Amerikaner geradezu süchtig nach Unterhaltung. Das Zentrum der US-Musikindustrie liegt in einer Querstraße vom Broadway. Hier haben zahlreiche Musikverlage ihren Sitz, deren Hauspianisten täglich neue Songs produzieren. Einer von ihnen ist Gershwin.

George Gershwin
George Gershwin © George Grantham Bain Collection

Einen unerwarteten Schub erfährt seine Kreativität am 3. Januar 1924, als er gerade mit Freunden Billard in seinem Stammclub am Broadway spielt. Plötzlich springt sein Bruder wie von der Tarantel gestochen aus dem Sessel und hält ihm die Tageszeitung hin. Darin kündigt der Bandleader Paul Whiteman für den 12. Februar ein Konzert unter dem Titel »An Experiment in Modern Music« an, in dem auch »eine neue Komposition von George Gershwin erklingen wird, ein Jazz-Concerto«. Das Dumme ist nur: Gershwin weiß noch gar nichts davon.

Aus Angst, dass ihm ein rivalisierender Bandleader seine Idee klaut, hat Whiteman kurzerhand Nägel mit Köpfen gemacht. Also bleibt dem Komponisten nichts anderes übrig, als sich in die Arbeit zu stürzen. In Rekordzeit fabriziert er etwas nie Dagewesenes: ein Klavierkonzert, das Klassik und Jazz vereint und diesen Spagat schon im Titel andeutet. Die »Rhapsody in Blue« ist geboren. Gershwin verwendet darin Blues, Ragtime, Jazz, »die ureigenste amerikanische Musik«, wie er selbst sagt.

 

»Ich verstehe die Rhapsody als ein musikalisches Kaleidoskop dieses Schmelztiegels namens Amerika.«

George Gershwin

 

Die Uraufführung wird ein Triumph für Gershwin. Und das will etwas heißen, sitzen im Publikum doch die Granden der klassischen Musik: Igor Strawinsky, Sergej Rachmaninow, Leopold Stokowski und viele mehr. Das Stück, zunächst für Whitemans 24-köpfige Bigband konzipiert, wird so begeistert gefeiert, dass er (mithilfe von Whitemans Hausarrangeur Ferde Grofé) umgehend eine Version für großes Orchester nachlegt. Der Jazz hat die klassische Konzertbühne erobert, Amerika hat seinen Sound gefunden

SERGEJ RACHMANINOW: SINFONISCHE TÄNZE

Sergej Rachmaninow setzte im Herbst 1909 erstmals Fuß auf amerikanischen Boden. Seine Tournee wurde ein gigantischer Erfolg, nicht zuletzt aufgrund seines brandneuen Dritten Klavierkonzerts. Die Umstände seiner nächsten Atlantiküberquerung 1917 waren weniger erfreulich: Der Komponist, der es in seiner russischen Heimat zu erheblichem Wohlstand gebracht hatte, floh mit seiner Familie vor der bolschewistischen Revolution ins amerikanische Exil. Obwohl er hier viele Bekannte der europäischen Kulturszene wiedertraf, als Pianist nach wie vor hohe Gagen einspielte und bald auch wieder nach Europa reisen konnte, haderte er mit seiner Entwurzelung und komponierte zunächst kaum noch. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zementierte diesen Status noch.

Sergej Rachmaninow
Sergej Rachmaninow © Wikimedia Commons

Als sein letztes großes Werk brachte er 1940 auf Long Island die »Sinfonischen Tänze« zu Papier. Sie bilden eine Art musikalische Autobiografie, einen komponierten Rückblick auf sein bewegtes Leben. Konkret schlägt sich das etwa im ersten Satz durch Zitate aus seiner 50 Jahre zurückliegenden Ersten Sinfonie nieder. Nach einem melancholischen Walzer beruht der letzte Satz maßgeblich auf dem gregorianischen Hymnus »Dies irae«, den Rachmaninow in vielen seiner Stücke verarbeitete. Eher sinfonisch als tänzerisch angelegt, wartet das Werk jedenfalls mit jenen raffiniert-süffigen Klängen auf, die den vielleicht letzten Romantiker auszeichnen und demonstrieren, dass er sich über alle Umstände hinweg Zeit seines Lebens künstlerisch treu blieb.


Text: Clemens Matuschek

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