Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe umkreist Themen, die ans Innerste gehen: Einsamkeit und Verzweiflung, Freude und Glückseligkeit. Musik, die unter die Haut geht. Mit Bachs letztem großen Vokalwerk, das jeden Rahmen kirchlicher Liturgie sprengt, begeben sich Thomas Hengelbrock und seine Balthasar-Neumann-Ensembles auf eine Reise zu den existentiellen Fragen des Lebens.
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»Die h-Moll-Messe ist für mich ohne Frage das bedeutendste Werk der Musikgeschichte.«
Thomas Hengelbrock
»Ein Vermächtnis der Musikgeschichte« :Thomas Hengelbrock im Interview
Bachs Meisterwerk :Die h-Moll-Messe und ihre Entstehung
»Die Dimensionen der h-Moll-Messe sind zu gewaltig, als dass sie in einem Gottesdienst hätte aufgeführt werden können.«
Thomas Hengelbrock
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Das größte musikalische Kunstwerk aller Zeiten (1 von 4)
»Euer Königlichen Hoheit überreiche ich in tiefster Devotion gegenwärtige geringe Arbeit von derjenigen Wissenschaft, welche ich in der Musik erlangt habe; mit ganz untertänigster Bitte, Sie wollen dieselbe nicht nach der schlechten Komposition ansehen, sondern nach Euer Gnaden weltberühmter Milde.«
Betont bescheidene Worte, die Johann Sebastian Bach im Juli des Jahres 1733 an seinen neuen sächsischen Landesherrn Friedrich August II. richtet. Bei der »geringen Arbeit«, handelt es sich um einen Kyrie- und einen Gloria-Satz, schlicht als Missa zusammengefasst. Entstanden waren sie im Frühjahr während der verordneten Landestrauer für den verstorbenen König August des Starken, die das öffentliche Musizieren für sechs Monate untersagte und den Komponisten somit unerwartet von seinen zeitraubenden Pflichten als Leipziger Thomaskantor entband.
Johann Sebastian Bach: Porträt von Elias Gottlob Hausmann, 1746. © Stadtgeschichtliches Museum Leipzig Der devote Tonfall, den Bach in seinem Schreiben anschlägt, passt so gar nicht zu der Wertschätzung, die das Werk im Laufe der Zeit erhielt. Denn bei der »schlechten Komposition« handelt es sich um nichts Geringeres als den ersten Teil der h-Moll-Messe, die heute nicht nur Bachs meistgespieltes Großwerk ist, sondern auch als »größtes musikalisches Kunstwerk aller Zeiten und Völker« (so der Verleger Hans Georg Nägeli) gepriesen wird. Was also macht dieses Werk so besonders?
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Der lange Weg zur großen Messe (2 von 4)
Da wäre zunächst einmal die vertrackte Entstehungsgeschichte, die bis kurz vor Bachs Tod dauert. Die Erweiterung der zwei Sätze erfolgt zwischen August 1748 und Oktober 1749 vor dem Hintergrund einer ausgedehnten Beschäftigung des Komponisten mit lateinischer Kirchenmusik. Lange wurde sogar bezweifelt, dass es sich um ein zusammenhängendes Werk handele, das man als Ganzes im Konzertsaal aufführen könne.
Diese Ansicht gilt inzwischen als widerlegt. Zwar fehlt der Gesamtpartitur ein übergeordneter Titel (der durch die Tonart geprägte Name geht auf Carl Friedrich Zelter zurück), jedoch sprechen musikalische Verweise innerhalb der Komposition, die Nummerierung der Blätter sowie sein Signum »Fine. DSGL« nach dem Schlussstrich für ein Gesamtwerk. Heute darf man also getrost von »der« h-Moll-Messe sprechen.
Bachs Signum »Fine. DSGL« (Deo Soli Gloria, Gott allein zur Ehre) am Ende der h-Moll-Messe:
Bachs Signum »Fine. DSGL« (Deo Soli Gloria, Gott allein zur Ehre) am Ende der h-Moll-Messe © Stadtbibliothek Berlin Darüber hinaus ist es aber vor allem der musikalische Gehalt, der die Messe auszeichnet. Der ästhetische Grundsatz, die ganze Summe seines Könnens in einer Komposition abzubilden, dürfte auch für die Fortsetzung der Messe maßgeblich gewesen sein, die nicht ohne Grund als sein »Opus summum« bezeichnet wird.
Bach vereint in ihr eine Vielfalt von Satzarten, Klang- und Ausdrucksformen, verbindet Altes mit Neuem und macht regen Gebrauch vom damals üblichen »Parodieverfahren«, worunter man (anders als heute) die Umgestaltung eines bereits bestehenden Werks für einen neuen Zweck verstand – für Bach eine dem Komponieren ebenbürtige Tätigkeit.
Als übergeordnetes Prinzip der Messe lässt sich die sukzessive Steigerung des Chorsatzes erkennen. Wie die ersten beiden Sätze ist das Credo fünfstimmig konzipiert; es folgt das sechsstimmige Sanctus und mit der doppelchörig angelegten Achtstimmigkeit des Osanna schließlich der Höhepunkt.
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Musik, die süchtig macht (3 von 4)
Innerhalb von Bachs Vokalrepertoire bildet das Kyrie eleison den mit Abstand längsten Eingangschor. Mit diesem groß angelegten Beginn werden Anspruch und ästhetischer Rang des Werks definiert. Darauf folgt im Christe eleison ein Duett der zwei Soprane – ein Symbol für Christus als zweite Person der Dreifaltigkeit. Einen starken Kontrast bildet das Gloria: Hier setzt Bach zum Chor erstmals das ganze Orchester ein, das nun eigenständige Stimmen spielt.
Das Credo beginnt mit einer siebenstimmigen Fuge; bei der Melodie selbst handelt es sich um einen gregorianischen Choral. Es endet mit einem jubelnden Schlusschor, von dem Joachim Kaiser schrieb, es mache »garantiert h-Moll-Messen-süchtig«.
Beim Sanctus verwendet Bach einen Satz, den er ursprünglich für den Leipziger Weihnachtsgottesdienst 1724 geschrieben hatte. Der Chor ist vom ersten Takt an präsent und bestimmt damit den liturgischen Charakter dieses Satzes. Osanna und Benedictus trennt Bach – der lutherischen Tradition folgend – davon ab, sodass hier beide Konfessionen überschneiden.
Für die Vertonung des Agnus Dei wählt Bach ein Alt-Solo, das mit g-Moll zum ersten Mal eine b-Tonart in die Messe bringt. Bach hebt damit den expressiven Charakter des Satzes hervor und schafft so ein Gegengewicht zum sonst überwiegenden D-Dur. Im Dona nobis pacem greift Bach auf das Gratias des Gloria-Teils zurück. Indem er beim zweiten Thema die Wortreihenfolge umdreht (pacem dona nobis), betont er besonders das Wort »Frieden«.
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Außerhalb jeder Konfession (4 von 4)
Warum genau der alternde Komponist die Vollendung der Messe in Angriff nahm, ist nicht bekannt. Oft wurde daher angenommen, dass es sich um ein inneres Anliegen Bachs gehandelt haben muss und die Messe mehr als ein abstraktes Ideenkunstwerk zu verstehen ist, so wie die beinah zeitgleich entstandene »Kunst der Fuge«. Tatsächlich scheint es, als habe Bach mit der h-Moll-Messe ein über- oder außerkonfessionelles Werk geschrieben.
Jahrzehntelang nur in Teilen aufgeführt – selbst Mendelssohn schreckte 1838 aufgrund der hohen technischen Anforderungen vor einer Gesamtaufführung zurück – avancierte die h-Moll-Messe nach dem Zweiten Weltkrieg zum meistgespielten Großwerk Bachs (noch vor der Matthäus-Passion). Diesen Rang hat sie bis heute inne.
Text: Simon Chlosta
Die Künstler
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Thomas Hengelbrock
Thomas Hengelbrock zählt zu den vielseitigsten und interessantesten Künstlern seiner Generation. Ob Barockoper, romantische Sinfonie oder Zeitgenössisches – seine energiegeladenen Auftritte sind stets das Ergebnis einer detaillierten Auseinandersetzung mit dem musikalischen Text und seines Wissens um Sinn und Gehalt der Werke. Mit dem Balthasar-Neumann-Chor und -Ensemble gründete er zwei Originalklang-Spitzenformationen, mit denen er seit über 20 Jahren international Erfolge feiert. Für zahlreiche weitere Orchester wie das Concertgebouworkest und die Wiener Philharmoniker ist er ein gefragter Partner und tritt zudem international als Operndirigent und bei Festivals wie den Salzburger Festspielen auf.
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Balthasar-Neumann-Chor
Als »einen der besten Chöre der Welt« lobte das Gramophone Magazine den Balthasar-Neumann-Chor. Ob Musik aus dem 17. Jahrhundert oder Zeitgenössisches, stets steht für das 1991 gegründete Vokalensemble die Leidenschaft und ein tiefes Verständnis der Musik im Vordergrund. Dabei sind die Sänger auch solistisch zu erleben. Sie präsentieren Bekanntes in neuer Gestalt und verweben Musik mit Literatur oder Tanz. Damit folgen sie den Idealen ihres Namenspatrons: Der Barockarchitekt Balthasar Neumann (1687–1753) steht für mutige Kreativität und ganzheitliche Konzepte, in denen Baukunst, Malerei, Skulpturen und Gärten zusammenspielen.
Der Chor wird regelmäßig in die namhaftesten Konzerthäuser und zu den wichtigsten Festivals eingeladen – zum Schleswig-Holstein Musik Festival und zu den Münchner Opernfestspielen, nach China, Mexiko und in die USA.
Evonik Industries begleitet die Balthasar-Neumann-Ensembles und ermöglicht umfangreiche musikwissenschaftliche Recherchen sowie Projekte in Zeiten der Pandemie.
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Balthasar-Neumann-Ensemble
Das Balthasar-Neumann-Ensemble ist eines der weltweit führenden Originalklangorchester. 1995 von Thomas Hengelbrock gegründet, eröffnet es neue Sichtweisen auf die Musik unterschiedlicher Epochen – vom Frühbarock bis in die Moderne. Das Ensemble aus internationalen Spitzenmusikern wird nicht nur für seine Interpretationen auf authentischem Instrumentarium gefeiert, sondern vor allem für sein ausdrucksstarkes Musizieren auf höchstem Niveau. Dabei wird der Blick auf die Entstehungszeit eines Werkes gerichtet und auf den Instrumenten der jeweiligen Zeit konzertiert. Die Programme gehen oft über das reine Konzert hinaus, setzen die Musik in Beziehung zu anderen Kunstformen wie Tanz und Literatur.
Das Balthasar-Neumann-Ensemble gastiert in den renommiertesten Konzerthäusern Europas, wirkt mit bei internationalen Opernproduktionen von Paris bis Madrid und bei Festivals wie den Salzburger Festspielen.
Evonik Industries begleitet die Balthasar-Neumann-Ensembles und ermöglicht umfangreiche musikwissenschaftliche Recherchen sowie Projekte in Zeiten der Pandemie.
»So unmittelbar sinnlich kann geistliche Musik sein.«
Hamburger Abendblatt
Besetzung
Balthasar-Neumann-Ensemble
Balthasar-Neumann-Chor und -Solisten
Solisten aus dem Balthasar-Neumann-Chor:
Agnes Kvoacs Sopran
Stephanie Firnkes Sopran
Anne Bierwirth Sopran
Bobbie Blommesteijn Sopran
William Shelton Alt
Terry Wey Alt
Jan Petryka Tenor
Jakob Pilgram Tenor
Joachim Höchbauer Bass
Daniel Ochoa Bass
Dirigent Thomas Hengelbrock
Live-Mitschnitt vom 6. Dezember 2020.
Hinweis zur aktuellen Situation: Die Balthasar-Neumann-Ensembles folgen einem strengen Hygiene- und Sicherheitskonzept mit mehrfacher Testung und Quarantäne während des Projektes. Als Folge dieser Maßnahmen können die Sicherheitsabstände auf der Bühne aufgehoben werden.