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Allison Miller im Portrait

Die Schlagzeugerin Allison Miller spielt mit dem Lux Quartet im Geiste einer uralten Utopie des Jazz.

Text: Tom R. Schulz, Stand: 01.01.2025

 

Allison Miller ist eine gesegnete Schlagzeugerin. Sie ist dem Ruf der Trommel von klein auf gefolgt, unbeirrbar und allem Anschein nach überwiegend fröhlich. Sie wollte nie etwas anderes werden als Drummerin, wurde dabei klug und zurückhaltend von ihrer Familie unterstützt und erwies sich selbst als hinreichend zäh gegenüber den Widrigkeiten, die der Topos »Jazz und Frau« mit sich bringt, sobald die beiden Wörter einmal nicht männliche Projektionen beflügeln, sondern die Frau selbst zum Subjekt des Jazz wird, und dann noch am Schlagzeug.

Miller liefert den Bands, in denen sie spielt, ein aus cleveren, anstrengungslos fließenden Grooves gewebtes, funkelndes und sehr belastbares Netz, auf dem die Kolleginnen und Kollegen ihr eigenes improvisatorisches Gewicht nach Belieben zum Tanzen bringen können. Ihre Geschichte und ihr So-Sein in der Männerwelt des Jazz belebt aber auch den Puls der gegenwärtigen Geschlechterdebatten. Fangen wir deshalb bei Adam und Eva an und bei der unseligen Spaltung der postparadiesischen menschlichen Herrschaftsgeschichte in Matriarchat und Patriarchat.

»When the Drummers were women«

Im Garten Eden gab es, wie man hört, von allem reichlich, aber es sind zu wenige Details aus dem Paradies überliefert, als dass man wüsste, ob sich das erste Paar der Menschheit die Zeit süßen Nichtstuns bisweilen auch mit Trommeln vertrieb. Nach männlichem Selbstver­ständnis aber besteht kein Zweifel: Hätte es im Paradies eine Ur-Trommel gegeben, geschlagen hätte sie Adam, nicht Eva. Zumindest wäre es kaum einem Maler vergangener Jahrhunderte eingefallen, dieses archaische In­stru­ment in den Händen der Frau zu imaginieren. Vielleicht hätte er sie zu Adams Primal-Beats tanzend ge­zeigt. Aber dass sie selbst solche Beats produziert, das war von den Herren der Schöpfung nicht vorgesehen. Und das ist es, seien wir ehrlich, in History vielfach bis heute nicht.

Herstory geht freilich anders. Die großartige Rahmentrommlerin Layne Redmond aus den USA erzählt in ihrem musikfeministischen Standardwerk »When the Drummers Were Women« (1997) davon, wie die in der Hand gehaltene und mal mit den Händen, mal mit einem Schlägel ge­spielte Rahmentrommel in vorchristlichen Kulturen von Frauen gespielt wurde, und zwar nur von Frauen – Priesterinnen, Schamaninnen, Heilerinnen. Mirjam, die Schwester des Mose, führte damit den Freudentanz nach der gelungenen Flucht aus Ägypten an. Dass auch Männer sich dem warmen Klang der Trommel gern anvertrauten, wenn Frauenhände sie bearbeiteten, ist über­aus plausibel. Tief drinnen ist ein Trommelschlag nichts anderes als eine Veräußerlichung des Herzschlags. Und den hören männliche wie weibliche Föten allein im Leib ihrer Mutter. Die Urerfahrung des Rhythmus ist weiblich.

Allison Miller
Allison Miller © Erika Kapin Photography

Allison Miller kann bestimmt auch auf der Rahmentrommel feine Rhythmen und Klänge zaubern, spielt aber in aller Regel ein klassisches Jazz-Drumset. Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert, wo der Anblick einer Frau mit Trommelstöcken hinter dem, was derbere Männer gern Schießbude nennen, zwar immer noch die Aus­nahme ist, aber nicht mehr ganz so selten wie noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Bei Miller trifft der Begriff Schlagzeug spielen den Sachverhalt präzis, denn diese Schlagzeugerin spielt ihr Instrument wirklich. Nichts an dem, was sie tut, sieht nach Arbeit aus. Typisch für Frauen in Männerberufen. Sie müssen besser sein als ein Kerl, dürfen das aber um Gottes willen keinen Mann merken lassen. Allison Miller, diese kleine Person mit dem Kraut-und-Rüben-Haarschnitt des ewigen Punks, trommelt anscheinend in paradiesischer Selbstver­gessenheit und doch mit allen Finessen. Sie verbreitet immer Freude, wie komplex und verwickelt auch sein mag, was sie gerade mit ihren vier voneinander beneidenswert unabhängigen Extremitäten spielt.

Wer genau hinsieht, bemerkt ihre etwas altmodische Handhaltung. Links steckt der Trommelstock nicht in gerader Verlängerung des Unterarms in der Faust, sondern er liegt quer, sodass die Sticks links und rechts beim Wirbel nicht parallel aufs Fell treffen. Diese Haltung verrät alte Militärtrommler- und Jazzer-Schule à la Gene Krupa oder Buddy Rich. Gelernt hat Allison Miller bei Walter Salb in Washington, einem der zahllosen ebenso ­unbekannten wie bedeutenden Lehrer, die ihr Können und Wissen weitergeben, ohne selbst je eine nennenswerte Bühnenkarriere gehabt zu haben.

Allison Miller
Allison Miller © Erika Kapin Photography

Cowboyhemden, Cowboyboots

Zwei Jahre lang übte Miller auf elterliches Geheiß zu Hause nur auf einem mit Kunststoff überzogenen Pad, was ungefähr so erregend klingt, als würde man auf einen Sack Reis hauen, nur dass die Sticks vom Pad besser retournieren. Miller blieb dran und wurde bald so gut, dass das freudlose Übe-Set einem richtigen Schlagzeug wich. Das Idol ihrer Jugend hieß Tony Williams, ­Drummer des Miles Davis Quintets aus den Sechziger­jahren. Williams war ein Genie am Schlagzeug, intensiv, unergründlich tief und dabei die Musik auf mächtigen Schwingen vor sich her treibend. Ein Erzengel des Jazz.

Allison Miller erzählt in einem Video, sie stamme aus Texas, vielleicht möge sie deshalb Cowboyhemden und Cowboyboots. Aufgewachsen ist sie in der Nähe von Washington D.C. auf einem Bauernhof, wo sie morgens vor der Schule die Ziegen gemolken hat. Sie kleidet sich in einem Stil, den die feministische Szene in den USA dapperQ nennt, wobei das Q für queer steht. Gerade Schnitte, funktional, eher maskuline Anmutung. In einer Geschichte für die Huffington Post hat Miller vor Jahren einmal aufgeschrieben, wie seltsam sie sich in ihren Anfangszeiten als lesbische Schlagzeugerin gefühlt hat. Wie sie jahrelang immer vorne dabei war beim sexistischen Sprücheklopfen mit den Jungs im Tourbus, bis sich all diese kleinen, fiesen Selbstverleugnungsmomente so vor ihr auftürmten, dass sie eines Tages ihre Frau stand und da­gegenhielt. Und überrascht war, wie positiv viele ihrer Mitspieler das aufnahmen. Und wie jene, bei denen es nicht so war, sie einfach aus ihrem Adressbuch aussortierten.

Heute lebt Allison Miller das freie, komplizierte Leben einer bekennenden Feministin, die hauptberuflich überall auf der Welt Jazz spielt, die komponiert, unterrichtet, Aufnahmen anderer produziert und dazu noch zwei Kinder großzieht, allein, nachdem eine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Wenn man sich ihre Lebensumstände vergegenwärtigt und die Aufgeräumtheit, mit der sie sich darin eingerichtet hat, ist man geneigt zu glauben, dass es gesellschaftlich in den letzten 25 Jahren doch ein bisschen vorangegangen ist.

Lux Quartet
Lux Quartet Lux Quartet © Erika Kapin Photography

Jazz als Musik der Freiheit

Der Titel des Debütalbums jener Band, mit der Allison Miller in der Elbphilharmonie im Rahmen des Jazzschlagzeug-Schwerpunkts gastiert, lautet ­»Tomorrowland«. Es ist eine Verheißung, dieses Morgen-Land: Zwei Frauen, die Bandleaderinnen Allison Miller und die Pianistin Myra Melford, spielen im Lux Quartet in der Stammbesetzung mit zwei Männern, dem Bassisten Scott Colley und dem Saxofonisten Dayna Stephens. Gemeinsam fabrizieren sie eine großartig und lässig zwischen Verabredung und Spontaneität changierende Musik. Inside- und Outside-Spiel, wie die Jazzer das nennen, halten sich bei ihnen die Waage. Das Outside-Spiel ist nie be­liebig oder gar ­kakophon, sondern alles zwischen fein­sinnig und ekstatisch. Die Ohren der vier Beteiligten spielen immer mit. Auch das Inside-Spiel bleibt unkonventionell, inspiriert und voller Überraschungen. Alle vier komponieren.

Man kann diese energiegeladene, dabei entspannte und beseelte Musik als aktuellen Kommentar zu jener Utopie hören, für die der Jazz sich immer stark gemacht hat: Gleichgewicht unter den Erdbewohnern, Respekt für alle. Der Jazz des Lux Quartet ist der gelebte Traum von einer Welt, in der Hautfarbe und sexuelle Orien­tierung der Menschen keine Rolle mehr spielen, weil niemand ihretwegen mehr Repressalien ausgesetzt ist; in der Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern herrscht und sich die Generationen untereinander auf Augenhöhe begegnen; in der Dissonanz über lange Zeit auch in ihrer Unaufgelöstheit gefeiert wird und Freiheit immer die des anders Spielenden ist; in der schließlich die Unwiederholbarkeit des Augenblicks zum Altar wird, auf dem für den Moment des Beisammenseins das Ego der beteiligten schöpferischen Individuen einverständig in kollektiven, süßen Rauch aufgeht.

 

Dieser Artikel erschien im Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 1/25).

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