Immortal melodies, powerful orchestral sounds and great virtuosity: on the first evening of their two-day visit to Hamburg, the Münchner Philharmoniker present three key works from the Russian romantic era. As their special guest: the pianist Alexandre Kantorow. The French shooting star, who has become world-renowned at the latest since his appearance in the opening ceremony of the 2024 Olympic Games, is arranging several concerts at once in Hamburg as a portrait artist this season.
Alexandre Kantorow celebrates the start of his residency this evening with Sergei Rachmaninov’s »Rhapsody on a Theme of Paganini«. Composed for solo piano and orchestra, this exuberant work is captivating in 24 variations with its opulent brilliance, sumptuous tonal colours and breathtaking virtuosity, which really live up to the legendary »Devil’s Violinist« of Paganini.
Under the direction of Russian conductor Tugan Sokhiev, the musicians also present the Polonaise from Tchaikovsky’s triumphant opera »Eugene Onegin« and, with Nikolai Rimsky-Korsakov’s »Scheherazade«, one of the greatest orchestral hits in the history of music. In sound-painting movements and with echoes inspired by the Orient, the composer carries his audience off into the sensual fairytale world of »1001 Nights«.
Alexandre Kantorow at the Elbphilharmonie
As artist-in-residence, Alexandre Kantorow performs a number of concerts in Hamburg in the 2024/25 season.
Elbphilharmonie Session: Alexandre Kantorow in the Elbphilharmonie’s piano storeroom
Performers
Münchner Philharmoniker
Alexandre Kantorow piano
conductor Tugan Sokhiev
Programme
Piotr I. Tschaikowsky
Polonaise / from the opera »Eugen Onegin« op. 24
Sergej Rachmaninow
Rhapsody on a Theme of Paganini for Piano and Orchestra, Op. 43
Encore:
Londonderry Air / Folk song from Ireland »Danny Boy« / Arrangement by Keith Jarrett
– Interval –
Nikolai Rimski-Korsakow
Scheherazade / Symphonic Suite, Op. 35
Encore:
Modest Mussorgsky
Gopak / from the opera »The Fair at Sorochyntsi«
Performers
Alexandre Kantorow :Piano
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About Alexandre Kantorow
Passender hätte der Auftakt der Olympischen Spiele im Juli nicht sein können: Im Regen von Paris performte Alexandre Kantorow vor einem Millionen-Publikum an den Fernsehgeräten in aller Welt Maurice Ravels »Wasserspiele«. Dass dem 27-Jährigen diese Ehre zuteil wurde, ist kein Zufall, zählt er doch zu den erfolgreichsten französischen Pianisten seiner Generation.
Schon mit 16 Jahren debütierte er beim Festival La Folle Journée in Nantes, seitdem spielt er mit den weltweit bedeutendsten Orchestern. 2019 gewann er den ersten Preis und die Goldmedaille beim renommierten Tschaikowsky-Wettbewerb und wurde mit dem Kritikerpreis »Révélation Musicale de l’année« ausgezeichnet. Ein Jahr später erhielt er gleich zwei »Victoires de la Musique Classique« für die Aufnahme des Jahres und als Solist des Jahres, 2023 folgte der renommierte Gilmore Artist Award. Solo-Abende führten ihn zu zahlreichen internationalen Festivals und in die bekanntesten Konzertsäle Europas, darunter das Concertgebouw in Amsterdam, das Konzerthaus Berlin und das BOZAR in Brüssel. 2022 war er mit den Münchner Philharmonikern unter Thomas Hengelbrock und Sergej Rachmaninows Erstem Klavierkonzert in der Elbphilharmonie zu Gast, 2023 war er dort als »Fast-Lane«-Künstler mit einem Solo-Programm im Kleinen Saal zu erleben und spielte für die »Elbphilharmonie Sessions« ein Stück von Franz Liszts ein. Höhepunkte der laufenden Saison sind Konzerte mit dem Orchestre de Paris, der Royal Stockholm Philharmonic und der Staatskapelle Berlin. Als Kammermusikpartner arbeitet Kantorow regelmäßig mit Musikern wie Renaud Capuçon, Victor Julien-Laferrière, Daniel Lozakovich und Matthias Goerne zusammen.
Tugan Sokhiev :Conductor
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About Tugan Sokhiev
Tugan Sokhiev dirigiert regelmäßig Orchester wie die Wiener, Berliner und Münchner Philharmoniker, die Dresdner und Berliner Staatskapelle, das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das Gewandhausorchester und das Philharmonia Orchestra. Er wird von den besten Klangkörpern der USA eingeladen, darunter das New York Philharmonic und das Philadelphia Orchestra und gastiert jede Saison beim NHK Symphonieorchester in Tokio.
Als Musikdirektor des Orchestre National du Capitole de Toulouse leitete Sokhiev von 2008 bis 2022 zahlreiche gefeierte Konzerte, mehrere Uraufführungen und eine Vielzahl von Auslandstourneen, die das Orchester zu internationaler Bekanntheit führten. Von 2014 bis 2022 war er Musikdirektor und Chefdirigent des Bolschoi-Theaters in Moskau, wo er unter anderem eine umjubelte Neuproduktion von Richard Strauss’ Salome dirigierte. Außerdem gastierte er an der Metropolitan Opera New York und erhielt enormes Lob für seine Aufführung von Sergej Prokofjews »Die Liebe zu den drei Orangen« mit dem Mahler Chamber Orchestra beim Festival in Aix-en-Provence – eine Produktion, die er anschließend auch am Teatro Real in Madrid leitete.
Zu den Höhepunkten der aktuellen Saison gehören Sokhievs Debüt beim Orchestre de l’Opéra National de Paris, Gastkonzerte in Europa mit der Staatskapelle Dresden sowie das Sommernachtskonzert mit den Wiener Philharmonikern. Zudem wird er eine Neuproduktion von Piotr Tschaikowsky »Jolanthe« an der Wiener Staatsoper dirigieren. Die Münchner Philharmoniker leitet er im Anschluss an die Konzerte in Hamburg auch auf einer ausgedehnten Konzertreise mit Auftritten in Europa und Asien.
Seine reichhaltige und vielfältige Diskografie spielte Sokhiev bei den Labeln Naïve Classique, Warner Classics und Sony Classical ein. Derzeit arbeitet er für eine DVD-Reihe mit EuroArts zusammen. Als einer der letzten Schüler des legendären Lehrers Ilya Mussin am St. Petersburger Konservatorium ist Sokhiev bestrebt, sein Können an Nachwuchstalente weiterzugeben. Er gründete eine Dirigierakademie in Toulouse und arbeitet mit den jungen Musiker:innen der Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker zusammen. Er ist Schirmherr des Philharmonic Brass Education System und hat an der ersten CD-Aufnahme von The Philharmonic Brass mitgewirkt.
Munich Philharmonic
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About the orchestra
Seit 1893 bereichern die Münchner Philharmoniker das Musikleben weit über die Bayerische Landeshauptstadt hinaus. In der traditionsreichen Geschichte wechselte der Klangkörper zweimal den Namen und schrieb sich mit bedeutenden Konzerten in die Musikgeschichte ein: Gustav Mahler hob 1901 mit dem damaligen »Kaim-Orchester« seine Vierte Sinfonie aus der Taufe, die Achte folgte 1910 mit dem »Orchester des Musikvereins München«. Ihren heutigen Namen erhielten die Münchner Philharmoniker 1928. Neben Mahler standen Felix Weingartner, Wilhelm Furtwängler und Bruno Walter am Pult des Orchesters – alle international berühmte Dirigenten ihrer Zeit. 1979 wurde Sergiu Celibidache zum Generalmusikdirektor ernannt und prägte mit seinen legendären Bruckner-Konzerten eine ganze Ära der Orchestergeschichte. Ihm folgten James Levine, Christian Thielemann und Valery Gergiev, von dem sich der Klangkörper 2022 trennte.
Im Februar 2023 ernannten die Münchner Philharmoniker Lahav Shani zu ihrem neuen Chefdirigenten. Er tritt sein Amt im September 2026 an, dirigiert aber schon in dieser Spielzeit sechs verschiedene Programme unter dem Motto »Träume« und leitet auch die Konzerte bei »Klassik am Odeonsplatz«. Weitere Highlights der Saison sind Konzerte mit Barbara Hannigan, Mirga Gražinytė-Tyla, John Adams, Andris Nelsons und Thomas Hengelbrock. 2004 wurde Zubin Mehta zum ersten Ehrendirigenten in der Geschichte der Münchner Philharmoniker ernannt. Zusammen mit dem Orchester führte er Anfang dieses Jahres einen gefeierten Brahms-Zyklus auf, der inzwischen beim hauseigenen Label MPHIL auf CD erschienen ist. Im Mai 2025 kehrt er mit Werken von Joseph Haydn und Gustav Mahler ans Pult zurück.
Mit der Akustik in der Elbphilharmonie sind die Münchner Philharmoniker bestens vertraut. Zum einen sind sie seit der Eröffnung 2017 beinahe jährlich an der Elbe zu Gast, zum anderen wurde ihre derzeitige Spielstätte, die Isarphilharmonie, ebenfalls von dem renommierten Akustiker Yasuhisa Toyota und dessen Büro Nagata Acoustics vermessen. Nahbar sein und neue Wege gehen, so lautet das neue Motto der Münchner Philharmoniker. Neue Formate wie »MPhil late« und die »Wandelkonzerte« schaffen Zugangspunkte für neugieriges Publikum. Mit »Spielfeld Klassik« bietet der Klangkörper ein umfangreiches Vermittlungsangebot für alle Generationen, das jährlich ca. 35.000 Interessierte aller Altersklassen erreicht.
OHRWURM VORAUS :About the programme
Klanggewaltig, farbenprächtig und mit Melodien von unwiderstehlicher Schönheit – so präsentiert sich die russische Musik heute Abend. Ihr Geheimnis liegt in der Verschmelzung zweier großer Musik-Kulturen. Anfang des 19. Jahrhunderts standen im Russischen Kaiserreich fast ausschließlich Werke westeuropäischer Komponisten auf dem Programm: Oratorien wie Joseph Haydns »Schöpfung« oder Georg Friedrich Händels »Messiah« begeisterten das Publikum, hinzu kamen französische und italienische Opern; in den 1820er-Jahren landeten außerdem immer öfter Sinfonien von Ludwig van Beethoven auf den Spielplänen.
Erst 1836 gelang es Michail Glinka mit »Ein Leben für den Zaren«, das Publikum mit einem dezidiert russischen Werk in russischer Sprache und mit volkstümlichen Elementen zu überzeugen. Damit handelte er sich nicht nur den Ruf als »Vater der russischen Musik« ein, sondern avancierte zugleich zum Fixstern für nachfolgende Komponisten. Umso bezeichnender, dass der Rezensent der Uraufführung ausgerechnet seine Internationalität hervorhob: »In alle Geheimnisse des italienischen Gesangs und der deutschen Harmonielehre eingeweiht, drang der Komponist tief in den Charakter der russischen Melodie ein!« Die besondere Liebe zur Melodie haben sich viele russische Komponisten bei Glinka abgeschaut. Vor allem Piotr Tschaikowsky gilt als ausgezeichneter »Melodiker«, und auch in den heutigen Werken von Sergej Rachmaninow und Nikolai Rimski-Korsakow zeigt sich, warum die beiden ebenfalls völlig zu Recht zu den Komponisten mit den schönsten Melodien überhaupt zählen. Ohrwürmer, wohin man hört!
TSCHAIKOWSKY: POLONAISE AUS DER OPER »EUGEN ONEGIN«
Piotr Tschaikowsky war gerade zehn Jahre alt, als er Glinkas »Ein Leben für den Zaren« zum ersten Mal hörte. Seitdem ließ ihn die Oper nicht mehr los: mit 32 schrieb er eine lebhafte Rezension über sie, mit 43 nahm er sich ihren Schluss-Chor für eine Bearbeitung vor. Und auch in seinen eigenen Opern ging er den Weg fort, den Glinka einst geebnet hatte. Als Absolvent des Konservatoriums in St. Petersburg war er mit den Regeln und Gesetzen der europäischen Kunstmusik bestens vertraut.
Nach dem Studium wurde er sogar selbst zum Professor am Konservatorium in Moskau berufen und unterrichtete dort Komposition nach westeuropäischem Vorbild. Bei der Auswahl seiner Opern-Sujets setzte er aber, wie Glinka auch, auf russische Stoffe. Seine wohl bekannteste Oper »Eugen Onegin« entstand nach einem Roman von Alexander Puschkin während der größten persönlichen Krise seines Lebens. Um seine Homosexualität zu verstecken und den gesellschaftlichen Erwartungen seiner Familie gerecht zu werden, heiratete Tschaikowsky 1877 seine ehemalige Schülerin Antonina Miljukowa.
Doch die Zweck-Ehe endete im Fiasko: Nur einen Monat nach der Hochzeit floh er aus dem gemeinsamen Haus zu seiner Schwester und reichte die Scheidung ein, in die seine Frau allerdings niemals einwilligte. Der peinliche Rosenkrieg blieb auch seinen Kollegen nicht verborgen.
Um dem Getuschel zu entgehen, reiste Tschaikowsky für einige Zeit ins Ausland, und machte sich schließlich als Komponist selbstständig. Im Jahr darauf entstanden zwei seiner vielleicht bekanntesten Werke: Die Vierte Sinfonie und die Oper »Eugen Onegin«. Darin verliebt sich die junge Tatjana, Tochter einer Gutsbesitzerin, in den adligen Eugen Onegin und gesteht ihm ihre Liebe. Onegin weist sie jedoch zurück, weil er wegen seines sprunghaften Wesens nicht für die Ehe geeignet sei. Nach rastlosen Reisejahren kehrt er müde und erschöpft nach Russland zurück und trifft bei einem Ball erneut auf Tatjana, die inzwischen aber mit dem Gastgeber, einem angesehenen Fürsten, verheiratet ist. Nun ist es Onegin, der Tatjana seine Liebe gesteht, doch sie ist nicht bereit, die alten Wunden wieder aufzureißen und entscheidet sich für ihren Gatten. Die berühmte Polonaise eröffnet den dritten Akt der Oper und markiert den Moment des Wiedersehens. Verheißungsvolle Fanfaren laden zum Tanz, doch zwischen den schwungvollen Melodien tritt immer wieder Onegins Schwermut zutage.
RACHMANINOW: RHAPSODIE ÜBER EIN THEMA VON PAGANINI
Sergej Rachmaninow war zwar erst 20 Jahre alt, als Tschaikowsky im Herbst 1893 verstarb, dennoch waren sich die beiden künstlerisch verbunden. Nachdem Tschaikowsky seine private Krise überwunden und seinen Ruf mit einer Reihe erfolgreicher Werke rehabilitiert hatte, genoss er eine beispiellose Autorität. Wer bei ihm Gehör fand, konnte einer aussichtsreichen Karriere entgegensehen. Der hochbegabte Rachmaninow gehörte zum Kreis der Auserwählten. 1889 erhielt er für einige kleinere Klavierstücke von Tschaikowsky die Bestnote 5+, mehr noch: die Note war von allen Seiten mit zusätzlichen Pluszeichen verziert. Was für ein Ritterschlag!
Der große Durchbruch gelang im April 1893, wenige Wochen nach seinem 20. Geburtstag mit der Oper Aleko. Im Sommer komponierte er die Sinfonische Dichtung »Der Fels« und widmete sie seinem großen Vorbild Tschaikowsky. Dieser fühlte sich geehrt und versprach, die Uraufführung zu besuchen. Doch die sollte er nicht mehr erleben. Geschockt von Tschaikowskys plötzlichem Tod griff Rachmaninow zur Feder und begann »in Erinnerung an einen großen Künstler« mit der Komposition eines elegischen Klaviertrios. Im zweiten Satz verwendete er ein Thema aus »Der Fels« und verarbeitete es in mehreren Variationen, um damit seinem geschätzten Mentor zu gedenken.
Vier Jahrzehnte später wendete Rachmaninow diese Technik in der »Rhapsodie über ein Thema von Paganini« erneut an. Niccolò Paganini zählte schon zu Lebzeiten zu den berüchtigtsten Virtuosen überhaupt. Der Geiger und Komponist aus Genua geriet bei so manchen Zeitgenossen gar unter Verdacht, mit dem Teufel höchstpersönlich in Verbindung zu stehen – anders konnten sie sich sein irrwitziges Können nicht erklären.
Kein Wunder also, dass Komponisten seine Stücke gerne zum Anlass nahmen, um sich selbst als brillante Meister ihres Instruments in Szene zu setzen. Rachmaninow, der Russland nach der Oktoberrevolution 1917 für immer verlassen und eine beeindruckende Karriere als Pianist hingelegt hatte, schrieb seine Rhapsodie im Sommer 1934 in seiner Villa »Senar« in der Schweiz. Umgeben von der Natur am Vierwaldstättersee komponierte er 24 Variationen über Paganinis berühmte »Caprice Nr. 24«, die er im November desselben Jahres selbst uraufführte. Noch bevor das Thema im Orchester zu hören ist, leitet die erste Variation mit einzelnen Motiv-Bruchstücken das Geschehen ein. Nach fünf virtuosen Variationen des Klaviers beginnt im Fagott die siebte Variation. Parallel erklingt im Klavier eine Melodie aus der lateinischen Messe. Es ist das Dies Irae, das in der Totenmesse den Tag des jüngsten Gerichts ankündigt, womit Rachmaninow geschickt auf den vermeintlichen Teufelspakt des Virtuosen anspielt. Es entspinnt sich ein makabrer Tanz, während dessen das Motiv auch ins Orchester wandert.
Im weiteren Verlauf ficht Rachmaninow den dämonischen Konflikt weiter aus und steuert die Musik mit sehnsuchtsvoll-verträumten Melodien auf ihren absoluten Höhepunkt in der berühmten 18. Variation zu. Was als zartes Lied im Klavier beginnt, bauscht sich zum betörenden Orchesterklang auf und sinkt anschließend wieder in sich zusammen. Nach kurzem Innehalten rauscht die Musik ihrem Ende entgegen. Ein letztes Aufbäumen des Dies Irae im Orchester, und die Musik kehrt unvermittelt ins Nichts zurück, aus dem sie am Anfang gekommen war.
RIMSKI-KORSAKOW: SCHEHERAZADE
So Europa-freundlich wie Tschaikowsky und Rachmaninow waren in Russland bei Weitem nicht alle Komponisten. Eine einflussreiche Gruppe von fünf Komponisten, die von der Presse bald nur noch das »mächtige Häuflein« genannt wurde, wollte eine neue russische Musik schreiben, die auf traditionellen Volksliedern und -tänzen basieren sollte, frei von jeglichen französischen, italienischen oder sonst irgendwelchen Einflüssen. Tschaikowsky war dieser Gruppe, zu der neben Modest Mussorgsky und Milij Balakirew auch Nikolai Rimski-Korsakow gehörte, schon zu westlich eingestellt. Mit der Zeit freundete sich Rimski-Korsakow jedoch entgegen seiner früheren Ideale mit Tschaikowsky an und wurde selbst einer der einflussreichsten Lehrer in Russland. Ab 1871 hatte er sogar eine Professur am ehemals so kritisch beäugten St. Petersburger Konservatorium inne. Neben dem Hummelflug ist die Scheherazade eines seiner bekanntesten Werke. 1888 unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt, erzählt sie die Geschichten von Tausendundeine Nacht, die es Rimski-Korsakow, der in jungen Jahren selbst zur See gefahren war, besonders angetan hatte. Im frühen 18. Jahrhundert wurden Teile der umfassenden Sammlung in französischer Sprache veröffentlicht und lösten schnell einen Orient-Hype in ganz Europa aus, der lange anhielt.
Scheherazade ist die Hauptfigur der Rahmenhandlung. Weil der Sultan alle Frauen, mit denen er eine Nacht verbracht hat, umbringen lässt, versucht sie, sich mit spannenden Geschichten zu retten. Die haben nämlich eine Besonderheit, die heute in keiner Serie mehr fehlen darf: den Cliffhanger. Wenn der Sultan wissen möchte, wie eine Geschichte weitergeht, muss er Scheherazade am Leben lassen. Ursprünglich gab es keine explizite Programmatik, doch auf Anraten seines Freundeskreises gab der Komponist den einzelnen Sätzen Überschriften, die den Zuhörenden eine kleine Idee geben soll, von welchen Bildern die Musik inspiriert ist. Der erste Satz ist mit »Das Meer und das Schiff des Sindbad« verbunden. Hier werden die beiden wichtigsten musikalischen Motive vorgestellt: Der mächtige und ungestüme Sultan gleich zu Beginn von den Blechbläsern sowie die schlaue und fantasiereiche Scheherazade, die durch die Solo-Violine verkörpert wird.
Die beiden Motive tauchen innerhalb des Stücks immer wieder auf und verbinden die einzelnen Sätze miteinander. Sindbads Schiff schwimmt auf den Wogen der Streicher, die sich erst langsam, dann immer schneller auf und ab bewegen. Nach einer kurzen Einleitung, die das Scheherazade-Motiv in Erinnerung ruft, folgt ein längeres Fagott-Solo. Aus dieser Melodie entwickelt sich dann die »Erzählung des Prinzen Kalender «, der sich in die falsche Frau verliebt und deshalb von einem Geist in einen Affen verwandelt wird. Lang gezogenen Streichermelodien verraten gleich in den ersten Takten des dritten Satzes, worum es geht: die Liebe zwischen Prinz und Prinzessin. Ein munterer Tanz in der zweiten Hälfte unterstreicht die glücklichen Gefühle des jungen Paares. Doch dann erklingt zu Beginn des Finales auf einmal drohend das Sultan-Motiv. Die anspruchsvolle Kadenz der Violine zeigt aber, dass Scheherazade im Laufe des Stücks größeres Selbstbewusstsein entwickelt hat. Diese letzte Geschichte beginnt mit einem rauschenden Fest in Bagdad; geschickt verwendet Rimski-Korsakow einfach den Tanz aus dem vorherigen Satz noch einmal. Anschließend taucht das Schiff vom Beginn wieder auf, unausweichlich fährt es auf einen Felsen zu und zerschellt. Rimski-Korsakow hat die vier Geschichten aus der jahrhundertealten Sammlung herausgenommen und in einen neuen Kontext gesetzt. Denn man kann die vier Erzählungen als eine Versinnbildlichung der Situation zwischen dem Sultan und Scheherazade interpretieren. In einen Affen, wie der Prinz Kalender, wird der Sultan zwar nicht verwandelt, doch hat auch er eine enttäuschte Liebe erfahren. Scheherazade zeigt ihm aber, wie er seinen allgemeinen Hass auf Frauen überwinden kann und erzählt ihm von glücklichen Beziehungen und fröhlichen Festen. Damit bricht sie seinen Widerstand – wie der Fels das Schiff.
Text: Dominik Bach / Hanno Grahl