Elbphilharmonie Großer Saal / Chicago Symphony Orchestra

Die Akustik in der Elbphilharmonie

Die häufigsten Fragen zur Akustik im Großen Saal.

Funktioniert das überhaupt, ein Konzerthaus mitten im Hafen?

Ja, denn die Architektur der Elbphilharmonie trickst den Umgebungslärm – Schiffsschrauben, Signalhörner, Hafengeräusche aller Art – clever aus. Der Große und der Kleine Saal sind doppelwandig konstruiert: Die Außenschale besteht aus Stahlbeton und ist Teil des Gesamtgebäudes.

Die Innenschale ist nicht mit ihr verbunden, sondern ruht auf großen Federpaketen, die die Säle vollständig von der Außenwelt abschotten. Beim Großen Saal sind es 362, beim Kleinen 56 Federpakete. Diese akustische Entkopplung garantiert einen von allen äußeren Geräuschen ungestörten Konzertgenuss. Umgekehrt dringt auch keine Musik nach außen, und Hotelgäste und Anwohner können ruhig schlafen.

Chicago Symphony Orchestra / Riccardo Muti
Chicago Symphony Orchestra / Riccardo Muti © Todd Rosenberg Photography

Inwiefern unterscheiden sich die beiden Säle voneinander?

Die Elbphilharmonie birgt das Beste aus zwei (Konzerthaus-)Welten: einen Weinbergsaal und ein Schuhschachtelsaal. Weinbergsaal sagen Fachleute zu jenen Sälen, bei denen die Sitzbereiche für das Publikum ähnlich wie die Terrassen eines Weinberges ansteigend rund um die Bühne angeordnet sind. Schuhschachtel nennen sie alle Räume mit rechteckigem Grundriss, bei denen die Bühne an einer der Schmalseiten liegt.

Der Große Saal folgt dem Weinberg-Prinzip, das erstmals der Architekt Hans Scharoun beim Bau der Berliner Philharmonie in den frühen 60er-Jahren angewendet hat. Seither sind Säle wie etwa die Suntory Hall in Tokio, die Walt Disney Concert Hall in Los Angeles, die Philharmonie de Paris und viele weitere Säle in der ganzen Welt in dieser Bauweise entstanden. Der Kleine Saal der Elbphilharmonie ist eine klassische Schuhschachtel, die sowohl flach als auch mit ansteigender Tribüne bespielt werden kann.

Kleiner Saal
Kleiner Saal © Michael Zapf

Warum ist der Große Saal ein Weinbergsaal?

Darauf gibt es mehrere Antworten. Ein Weinbergsaal hat den grundsätzlichen Vorteil, dass die Zuhörer näher am Geschehen sind als in großen Schuhschachteln wie etwa dem Wiener Musikverein. Mit der Laeiszhalle hat Hamburg bereits einen hervorragenden großen Schuhschachtel-Saal. Dort liegen allerdings viele Plätze weit weg von der Bühne, und rund 500 Plätze in den Rängen haben nur einen schlechten oder gar keinen Blick auf die Bühne.

Im ovalen Rund des Großen Saals der Elbphilharmonie dagegen ist kein Sitzplatz weiter als 30 Meter vom Dirigentenpult entfernt. Außerdem sieht man, bedingt durch die runde Anordnung, immer auch andere Konzertgäste. Das verstärkt das Gemeinschaftsgefühl beim Musikhören. Der Saal rückt optisch und vom Erleben her die Musik in die Mitte des Geschehens und macht damit deutlich, dass auch die klassische Musik nichts Elitäres ist, sondern in die Mitte der Gesellschaft gehört.

Die Terrassen des Großen Saals
Die Terrassen des Großen Saals © Mario Lüder

Warum ist der Große Saal so steil?

Das liegt am Grundriss des Kaispeichers, auf den der Glasaufbau bündig aufsetzt. Um die gewünschte Menge an Sitzplätzen unterzubringen und gleichzeitig auf allen Plätzen einen guten Klang und eine gute Sicht zu gewährleisten, mussten die Architekten des Büros Herzog & de Meuron den Saal relativ steil in die Höhe bauen. Zugänge zum Saal gibt es im 12., 13., 15. und 16. Stock.

Was sind die Besonderheiten des Klangs im Großen Saal?

Die Akustik des Großen Saales ist sehr räumlich und transparent. Das bedeutet, dass alle klanglichen Feinheiten besonders gut wahrgenommen werden können – auch die Ungewollten, wie etwa kleine Fehler oder Geräusche aus dem Publikum.

Wer sich als Musiker auf den Saal eingestellt hat, kann hier aufs Intimste musizieren ohne fürchten zu müssen, dass der Klang auf der Strecke bleibt. Gleichzeitig ist auch im lautesten Orchester-Fortissimo noch immer ein differenzierter Höreindruck möglich.

Hört man wirklich auf allen Plätzen gleich gut?

Es gibt im Saal keine schlechten Plätze, allerdings hängt der jeweilige Höreindruck ganz von dem auf der Bühne Dargebotenen ab. Von den 2.100 Plätzen im Großen Saal liegen ca. 300 hinter der Bühne, weitere rund 250 seitlich vom rückwärtigen Bühnenbereich. Die Plätze direkt an der Bühne, die den geringsten Abstand zum Orchester haben, weisen die größten Unterschiede im Höreindruck auf.

Je nachdem, welcher Orchestergruppe man am nächsten sitzt, treten die Hörner, die Kontrabässe, das Blech oder das Schlagwerk im Klangbild stärker hervor als auf Plätzen vor der Bühne. Weiter oben im Saal mischt sich der Klang zu einem ausgeglichenen Gesamteindruck.

Die Musik ist doch dafür komponiert, dass das Publikum vor dem Orchester sitzt?

Das stimmt im Prinzip, trotzdem haben die Plätze hinter der Bühne für viele Besucher einen besonderen Reiz, weil man nahe dran ist und den Dirigenten von vorn sehen kann. Die ungewohnte Nähe zum Orchester ermöglicht ein beinahe partizipatives Musikerlebnis: Man kann den Musikern buchstäblich in die Noten gucken, man sieht, wie die Schlagwerker ihre Schlägel sortieren, was der Pauker mit seinen Füßen treibt oder was Kontrabassisten so alles auf dem Stuhl neben sich ablegen (zum Beispiel das Kolophonium, mit dem sie das Bogenhaar einstreichen). Und man hört das Orchester so intensiv wie die Sängerinnen und Sänger in einem Chor, der bei großer Besetzung die gleichen Plätze direkt hinter dem Orchester einnimmt.

Großer Saal
Großer Saal © Maxim Schulz

Wie ist das mit Gesang im Großen Saal?

Die menschliche Stimme hat einen deutlich engeren Abstrahlwinkel als die meisten Instrumente, daher kommt der Klang hinter einer Sängerin oder einem Sänger gedämpfter an. Wenn gleichzeitig ein großes Orchester spielt, kann es in einem Weinbergsaal passieren, dass ein vor dem Orchester singender Solist dahinter nicht mehr gut zu hören ist.

Dieses strukturelle Handicap kann vermieden werden, indem Sänger bei groß besetzten Orchesterwerken nicht vorn an der Rampe beim Dirigenten stehen, sondern erhöht hinter dem Orchester. Dadurch deckt der Abstrahlwinkel der Gesangsstimme einen größeren Saalbereich ab, es können also mehr Menschen den Gesang direkt frontal hören. Das Publikum hinter der Bühne sitzt nahe genug am Solisten, um ihn auch von hinten gut zu hören.

musicAeterna chorus of Perm Opera
musicAeterna chorus of Perm Opera © Claudia Höhne

Wieso gibt es dann so viel Vokalmusik in der Elbphilharmonie?

Weil der genannte strukturelle Nachteil bei den meisten anderen Formen der Vokalmusik kaum ins Gewicht fällt. Chöre – vom Kammerchor bis zu wahren Hundertschaften von Sängern – klingen im Saal ausgezeichnet. Große Chöre platzieren sich in den Sitzreihen hinter der Bühne oder stehen am hinteren Bühnenrund und sind dann von dahinter Sitzenden gut zu hören. Kammerchöre, die von entsprechend schmaler besetzten (Kammer-)Orchestern begleitet werden, können sich mittiger positionieren, weil der Orchesterklang sie nicht überdeckt.

NDR Elbphilharmonie Orchester / Krzysztof Urbański
NDR Elbphilharmonie Orchester / Krzysztof Urbański © Daniel Dittus

Da hängen doch Mikrofone im Saal, warum werden die Sänger dann nicht verstärkt?

Die Mikrofone dienen lediglich der Aufnahme für Radio- oder CD-Produktionen sowie für Internet-Livestreams.  Der Große Saal ist für den natürlichen Klang akustischer Musik gebaut, klassische Konzerte werden daher prinzipiell nicht verstärkt (es sei denn, es ist vom Komponisten so vorgesehen). Für Sprechstimmen dagegen ist eine Verstärkung in aller Regel nötig, dafür müssen allerdings Lautsprecher auf der Bühne aufgestellt werden. Die oberen Ränge werden von Lautsprechern beschallt, die aus der Mitte des Reflektors über der Bühne ausfahren.

Warum sind die Wände im Große Saal nicht aus Holz, das klingt doch besser?

Da viele Musikinstrumente aus Holz sind, liegt der Schluss nahe, dass Holz besonders gut klingt. Tatsächlich jedoch sollen die Wände eines Konzertsaales nicht selber klingen, sondern die von der Bühne eintreffende Schallenergie kontrolliert in den Saal zurücksenden. Dafür entscheidend ist nicht das an der Oberfläche angebrachte Material, sondern Aufbau und Dichte der Wandkonstruktion sowie die Gestaltung der Wandoberfläche, sodass je nach Position im Saal die verschiedenen Schallfrequenzen gezielt oder gestreut reflektiert oder auch geschluckt werden. 

Für den Großen Saal der Elbphilharmonie haben die Architekten Herzog & de Meuron gemeinsam mit dem Akustiker Yasuhisa Toyota das Konzept der »Weißen Haut« entwickelt, einer im ganzen Saal einheitlichen Wand- und Deckenverkleidung, die die notwendige Dichte und eine präzise definierbare Oberflächenstruktur hat. Je nach Position und Anforderung wird der Schall an flachen Stellen direkt und in den Bereichen mit tiefen Auskerbungen gestreut reflektiert. Die über 10.000 individuell gefrästen Paneele bestehen aus Gipsfaserbeton.

Weiße Haut
Weiße Haut © Gilda Fernandez

Wenn der Saal für akustische Musik gebaut wurde: Weshalb dann überhaupt verstärkte Konzerte?

Weil die Welt der guten Musik nicht nur aus unverstärkter Musik besteht. Jazz etwa ist mittlerweile zu einer der klassischen Musikformen geworden. Er gehört zweifellos in einen Konzertsaal, auch wegen der oft überragenden Fähigkeiten der Interpreten und der Güte der Musik.

Um eine klangliche Balance etwa zwischen einem Flügel, einem Kontrabass und Schlagzeug auf der Bühne herzustellen, ist in einem großen Saal elektroakustische Verstärkung unabdingbar. Dasselbe gilt natürlich bei vielen Spielarten populärer Musik, umso mehr, wenn sie von vornherein auf elektrischen Instrumenten wie E-Gitarren oder Keyboards gespielt wird. Gesang wird in diesen Genres ohnehin fast immer durch Mikrofon verstärkt. Ohne Lautsprecher geht es also nicht.

Lässt sich der Klang bei verstärkten Konzerten im Saal überhaupt kontrollieren?

Verstärkte Musik ist in einem akustisch gut klingenden Saal prinzipiell eine Herausforderung, weil die Musik möglichst gut abgemischt nur aus den Lautsprechern kommen soll. Die Reflexionen der Saalwände, die im Orchesterkonzert erst für den guten Gesamtklang sorgen, sind hier ein Störfaktor.

Hinzu kommen die besonderen Eigenschaften der Elbphilharmonie: Plätze seitlich und hinter der Bühne, die eine 360°-Beschallung notwendig machen sowie die außergewöhnliche Höhe des Raums, die 2 bis 3 Lautsprecherebenen erfordert. Die Anforderungen sind somit auch bei verstärkten Konzerten hoch. Das Tontechnik-Team der Elbphilharmonie hat viel Erfahrung gesammelt und bietet allen Künstlern und Veranstaltern eine entsprechende Ausstattung und Beratung an.

Viele Künstler und Bands vertrauen allerdings dem mitreisenden eigenen Tontechniker. Wenn dieser die Besonderheiten des Saales versteht und beispielweise während des Soundchecks den Klang in den verschiedenen Bereichen des Saales kontrolliert, steht einem guten Konzertklang nichts im Wege.

Was hat es mit den Stoffbannern auf sich, die man manchmal vor der Weißen Haut sieht?

Bei verstärkten Konzerten können an vielen Stellen im Saal Stoffbanner aus dem Boden gefahren werden, die die Reflexionseigenschaften der Saalwände verringern bzw. neutralisieren.

Welche Akustik ist denn nun besser: Weinberg oder Schuhschachtel?

Das ist seriös nicht abschließend zu beantworten. Akustik lässt sich zwar in physikalischen Parametern messen, ist aber grundsätzlich ein subjektives Phänomen. Viele Faktoren spielen zusammen: Größe, Proportionen und Gestaltung des Konzertsaals, verwendete Materialien, ob der Saal voll besetzt ist oder leer. Mindestens ebenso großen Einfluss haben die ausführenden Musiker bzw. das Orchester und der Dirigent oder die Dirigentin und natürlich das Repertoire, das gespielt wird. 

Der Große Saal der Elbphilharmonie ist ein weltweit einzigartiger, faszinierender Raum, der Publikum wie Künstler begeistert – inzwischen schon in über 1.000 unvergesslichen Konzerten. Er hat eine außergewöhnliche Akustik, die für manche Musiker gewöhnungsbedürftig ist. Dafür belohnt er seine »Eroberung« mit phantastischen, intensiven Konzerterlebnissen.

Stand: 25.01.2019

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