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Stichwort »Brücken« – die Playlist

Die Playlist rund um das Thema »Brücken« – aus dem Musiklexikon des Elbphilharmonie Magazins.

JAMES BROWN: SEX MACHINE

Testosteron, Adrenalin, Schweiß – die Musik von James Brown ist nichts für Weicheier. Sein Funk steigerte alles ins Extrem: markantere Riffs, treibendere Grooves, härtere Bläserakzente. Den Gesang reduzierte Brown auf Wortfetzen, Ächzen und Kreischen; zudem provozierte er durch seine ekstatische Bühnenperformance, sein Eintreten für die Black-Power-Bewegung und seine zur Schau gestellte Sexualität. All diese Zutaten finden sich im Song »Sex Machine«. Charakteristisch ist hier auch Browns Dialog mit der Band, im Intro und beim Übergang zum Mittelteil, den er mit dem Zuruf »Take ’em to the Bridge!« einleitet. Tatsächlich bezeichnet man einen Formteil in einer anderen Harmonie als »Bridge«, entweder (im Jazz) den B-Teil im Standard-Schema AABA oder (im Pop bzw. bei James Brown) den C-Teil neben Strophe und Refrain. Das Prinzip geht auf die mittelalterlichen Troubadoure zurück, die ihn »Steg« nannten – und die sich angesichts von James Browns Ekstase wohl panisch bekreuzigt hätten.

Dies ist ein Artikel aus dem Elbphilharmonie Magazin (Ausgabe 01/2019), das drei Mal pro Jahr erscheint.

KENNETH J. ALFORD: COLONEL BOGEY MARCH

In dem Spielfim »Die Brücke am Kwai« aus dem Jahr 1957 sollen britische Kriegsgefangene eine hölzerne Eisenbahnbrücke über den Fluss bauen. Die Mammutproduktion gewann sieben Oscars, unter anderem als bester Film und für den Hauptdarsteller Alec Guinness. Für die Eröffnungsszene griff Regisseur David Lean zu einem Trick: Da die pittoresk zerlumpten Komparsen nicht im Gleichschritt marschieren konnten, ließ er sie den »Colonel Bogey March« pfeifen, einen bekannten Militärmarsch aus dem Ersten Weltkrieg. Der Titel bezieht sich auf einen angeblichen Oberst und begeisterten Golfer, der seinen Caddie mit einem Pfiff im charakteristischen Terz-Intervall vor anfliegenden Bällen zu warnen pflegte. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Melodie mit dem Spotttext »Hitler has only got one ball« unterlegt, und die Verwendung im Film etablierte den Marsch endgültig als Symbol der britischen »stiff upper lip«.

SIMON & GARFUNKEL: BRIDGE OVER TROUBLED WATER

Paul Simon und Art Garfunkel durften jahrzehntelang in keiner Plattensammlung fehlen. Mit ihren klaren, leicht melancholischen Stimmen landeten die beiden New Yorker Schulfreunde Hit auf Hit: »The Sound of Silence«, »Mrs. Robinson«, »The Boxer« und 1970 »Bridge over Troubled Water«. Obwohl Paul Simon den Song schrieb, bestand er darauf, dass Art Garfunkel ihn »wie ein weißer Chorknabe« singen solle. Mit Erfolg: Die Single verkaufte sich über sechs Millionen Mal und wurde oft gecovert, etwa von Elvis und Aretha Franklin. Inspiriert ist der Song von einem Negro Spiritual aus der Zeit des Sezessionskriegs. Doch während im Original Gott als »Brücke über aufgewühltes Wasser« fungiert (aus dem Sklavendasein in die Freiheit), ist es bei Simon & Garfunkel das lyrische Ich, das sich als Rückhalt anbietet. Genützt hat diese Freundschaftsbeteuerung nichts: Kurz nach der Veröffentlichung zerstritt sich das Duo auf Jahrzehnte.

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Elbphilharmonie Magazin | Brücken

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None © Gilda Fernandez

BENJAMIN BRITTEN: VARIATIONS ON A THEME OF FRANK BRIDGE

»Wenn man Brittens Anmerkungen glauben darf, muss Bridge ein toller Mann gewesen sein.«

»Er war ein vorzüglicher Bratschist und ein Komponist, der immer vom Instrument her dachte. Darum lässt sich seine Musik so wunderbar spielen.« So beschrieb der Komponist Benjamin Britten seinen hochverehrten Lehrer Frank Bridge (1879 – 1941), der der englischen Musik aus der Spätromantik in die Moderne verhalf und von dem Britten zwei wichtige Dinge lernte: Kompositionstechnik und ästhetische Konsequenz. Brittens Bewunderung für seinen Mentor schlug sich in einer Folge von Variationen über eine Melodie
von Bridge nieder, wobei jede einen Aspekt von dessen Persönlichkeit reflektiert. Und wenn man Brittens Anmerkungen zu den einzelnen Abschnitten glauben darf, muss Bridge ein toller Mann gewesen sein: integer, energisch, charmant, humorvoll, traditionsbewusst, enthusiastisch, lebhaft, sympathisch, kenntnisreich, liebenswert.

KARAT: ÜBER SIEBEN BRÜCKEN MUSST DU GEHN

Zu den wenigen Dingen, die die DDR überlebt haben, zählt das Lied »Über sieben Brücken musst du gehn« der Ost-Berliner Band Karat, der damit 1978 ihr größter Hit gelang. Komponiert hatte es der Keyboarder Ulrich »Ed« Swillms als Titelsong eines DDR-Fernsehfilms – unter widrigen Umständen: »Ich habe zwei Wochen auf diesen Text gestarrt, bevor er sich auf einmal vertonen ließ«, erinnert er sich. »Aufgenommen werden musste das
Stück morgens zwischen acht und zehn in einem mickrigen Übertragungswagen, der sich großspurig ›Europa-Studio Grünau‹ nannte. Können Sie sich vorstellen, was dabei rauskommt – morgens um acht?« Doch der Song schlug ein. Da die Band aber nicht im kapitalistischen Ausland auftreten durfte, bat Peter Maffay um die Rechte und wird seither oft für den Urheber gehalten. Nicht schlimm, findet Swillms, dem Maffays Stimme ohnehin schon immer besser gefiel.

SUR LE PONT D’AVIGNON

Eines der populärsten französischen Volkslieder beruht auf einem Missverständnis: Denn natürlich tanzte man früher in Avignon nicht auf der Brücke – meilenweit die einzige Möglichkeit, die Rhone zu überqueren, und entsprechend stark frequentiert –, sondern darunter (»sous«). Die mit gut 900 Metern einst längste Brücke Europas überspannte nämlich auch die Flussinsel Île de la Barthelasse, sozusagen die Veddel von Avignon, auf der Jahrmärkte und große Feste stattfanden. Immerhin war die Stadt gut 100 Jahre lang Sitz des Papstes! Leider nahm der für die Wartung des imposanten Bauwerks zuständige König Heinrich IV. diesen Job nicht allzu ernst, sodass die Brücke ab 1603 sukzessive einstürzte. Heute stehen nur noch vier ihrer ursprünglich 22 Bögen. So wandelte sich das Volks- zum Spottlied, denn auf einer Sackgassen-Brücke lässt es sich natürlich prima tanzen.
Für etwas anderes ist sie ohnehin nicht zu gebrauchen.

Pont d'Avignon
Pont d'Avignon © Public Domain

FRANZ SCHUBERT: AUF DER BRUCK

Reingefallen: Mit »Bruck« ist hier gar keine Brücke gemeint, sondern ein Aussichtsberg bei Göttingen, eben die Bruck. Im Text dieses Klavierliedes ist auch nicht von einer Brücke die Rede, sondern von einem Reiter, der durch den Wald nach Hause zu seiner Ehefrau jagt, die er drei Tage lang nicht gesehen hat. Den Galopp des Pferdes hat Schubert womöglich noch eindrucksvoller in Noten gefasst als im »Erlkönig«.. Interessanter ist allerdings die Frage, wie glücklich die Ehe bzw. wie rein das Gewissen des aushäusigen Ehemannes tatsächlich ist – denn die Formulierung »Lust und Leiden, die mein Herz bei ihr bald heilten, bald zerrissen« sowie die dramatischen Harmoniewechsel lassen da durchaus Zweifel aufkommen.

Georg Friedrich Händel: Israel in Egypt

In der Bibel kommen keine Brücken vor. Eine ebenso verblüffende wie bedeutsame Tatsache, denn viele biblische Geschichten würden mit Brücke obsolet: wie Christophorus Jesus über die Furt trägt, wie Jesus übers Wasser wandelt, wie Moses das Rote Meer teilt. Und das wäre doch schade, sowohl in theologischer wie in musikalischer Hinsicht. Letztere Begebenheit etwa wurde gleich mehrfach vertont, unter anderem von Georg Friedrich Händel in seinem Oratorium »Israel in Egypt«. Darin modellierte er den Auszug der Israeliten sinnigerweise als Fuge (von lat. fuga = Flucht). Die Wogen des zurückflutenden Meeres, die den Pharao samt Streitmacht unter sich begraben, schlagen dann mit massiven Chor-Brechern, Paukenrollen und schäumenden Streicherfiguren über der Bühne zusammen. Da hätte man den armen Ägyptern dann doch eine Brücke gewünscht …

Text: Clemens Matuschek, Stand: 5.12.2018

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