Bach vs Graupner: Showdown in Leipzig
Es ist 1722 – und nur einer kann Leipzigs nächster Thomaskantor werden.
Im Konzert
Am 24. Januar präsentierte der NDR Chor zusammen mit dem Alte-Musik-Ensemble Collegium 1704 jene Werke, die Graupner zur Bewerbung in Leipzig vorlegte – und ermöglichte mit zwei »Magnificat«-Vertonungen den direkten Vergleich zwischen beiden Komponisten.
Zum KonzertZwei Komponisten, zwei Rivalen: Johann Sebastian Bach und Christoph Graupner. Heute ist klar, wer am Ende die Nase vorn hatte – wer kennt schließlich Graupner? Doch damals, als die Leipziger Thomaskirche 1722 einen neuen Kantor suchte, der den Thomanerchor leiten und Musik für den Gottesdienst komponieren sollte, sah die Sache anders aus: Graupner war der erklärte Wunschkandidat.

Ein Posten, viele Kandidaten
Als im Sommer 1722 der amtierende Thomaskantor Johann Kuhnau starb, machten sich die Leipziger umgehend auf die Suche nach einem Nachfolger. Christoph Graupner und Johann Sebastian Bach, zwei der erfolgreichsten Komponisten ihrer Epoche, reichten ihre Bewerbung ein. Und noch weitere Komponisten warfen ihren Hut in den Ring.
Die aussichtsreichsten Kandidaten, geordnet nach Alter und Erfolgsaussichten:
- Georg Philipp Telemann (41), Hamburger Stadtkantor und Operndirektor
- Christoph Graupner (39), Darmstädter Hofkapellmeister
- Johann Sebastian Bach (37), Köthener Hofkapellmeister
- Johann Friedrich Fasch (34), der selbst im Thomanerchor gesungen hatte und nun in Diensten des Fürsten von Anhalt-Zerbst stand.
Fleißig soll er sein, aber bitte kein nerviger Künstler
Heutige Musikliebhaber dürfte dieses Ranking befremden. Doch man muss auch die Leipziger Kirchenvorstände verstehen: Ihnen lag nichts an großen Kunstwerken, die vielleicht die Nachwelt begeistern würden, die jedoch wegen ihrer Komplexität schwer aufzuführen waren und womöglich durch allzu eigenwillige Züge die Gläubigen vom Gottesdienst ablenkten. Sie suchten stattdessen einen Kantor, der große Mengen sorgfältig gearbeiteter, aber zweckgebundener Musik produzieren konnte. Und dazu waren die ursprünglich bevorzugten Kandidaten wahrhaft in der Lage. Bachs Kantatenschaffen mag ja mit etwa 200 erhaltenen Werken schon stattlich erscheinen, doch der fleißige Graupner schrieb im Laufe seines Lebens mehr als 1400 Kantaten und Telemann sogar 1750.

Kandidat 1 hat geblufft
Telemann, Wunschkandidat Nr. 1, sagte allerdings bald wieder ab: Der schlaue Fuchs hatte sich nur beworben, um beim Hamburger Senat Druck aufzubauen und eine Gehaltserhöhung durchsetzen zu können. Auch Fasch zog seine Bewerbung zurück, weil er keine Freigabe durch seinen Dienstherrn bekam.
Graupner setzt sich durch – und zieht sich wieder zurück

Blieben Graupner und Bach. Beide erhielten die Möglichkeit, sich mit eigens komponierten Kantaten vorzustellen. So schrieb Graupner zum Weihnachtsfest 1722 ein Magnificat, gefolgt von den beiden Kantaten »Aus der Tiefen rufen wir« und »Lobet den Herrn alle Heiden«, die er am 17. Januar 1723 aufführte. Bach durfte sich am 7. Februar 1723 ebenfalls mit zwei Kantaten (BWV 22 und 23) präsentieren. Der Sieger dieses Duells war – Graupner.
Doch Graupners Arbeitsgeber, Landgraf Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, redete ihm den Wechsel nach Leipzig aus, nicht zuletzt mittels einer Aufbesserung seiner Bezüge. Und so blieb Graupner bis an sein Lebensende in Darmstadt. Johann Sebastian Bach, die ursprünglich dritte Wahl, kam zum Zuge – und wurde der berühmteste Thomaskantor in Leipzigs Musikgeschichte.
Autor: Jürgen Ostmann